Ein charakteristisches Telefonat

Anruf eines Arztes Nachmittag. Er wollte sofort einen Behandlungstermin für seine Frau. Das war nicht möglich und daher mein Angebot für den nächsten Morgen. Um Erste Hilfe zu bieten, erkundigte ich mich, mit welchen Mitteln er seine Frau bisher behandelt hätte. Das ist meine Standardfrage in solchen Situationen. Ich entschließe mich dann, wegen der Erfolglosigkeit der bisherigen Bemühungen, es mit dem Gegenteil zu versuchen.

Rückenschmerz (Bild: Copyright Benjamin Thorn / pixelio.de)

Seine Antwort war, dass neben Voltaren in höchster Dosierung mehrmals täglich Wärme angewendet wird. Heiße Kirschkernsäckchen, Moorpackungen, hautreizende Rheumacremes etc. gehörten zum Repertoire. Deshalb meine konkrete Empfehlung, es doch als Erste Hilfe mit dem Gegenteil, mit Eis zu versuchen.

Der Anrufer reagierte darauf ärgerlich und heftig: "Blödsinn, meine Frau hat ihr Leiden schon seit mehr als 5 Jahren, daher ist es chronisch und muss deshalb mit Wärme behandelt werden". 

Akut und chronisch - offiziell

In erster Linie werden mit den beiden Begriffen zeitliche Krankheitsabläufe beschrieben. "akut" kommt aus dem Lateinischen (acutus = scharf, spitz), während dem Adjektiv "chronisch" die griechische Vokabel "chrónos = die Zeit" zugrunde liegt.

Zeitliche Zuordnungen werden auch bei akutem Geschehen verwendet. Es wird gesagt, dass akute Erkrankungen 3 bis maximal 14 Tage dauern, ehe sie ins Chronische übergehen.

Eine chronisch verlaufende Krankheit erstreckt sich nach offizieller Definition über einen Zeitraum von mehr als vier Wochen. 

In der Praxis werden akute Zustände üblicherweise gedanklich richtig mit entzündlichem Geschehen, "Hitze, Schwellung, Rötung und Schmerz", gleichgesetzt. Entzündungen bedürfen deshalb der Kühlung, während chronische Zustände der Anregung, also Steigerung der Durchblutung, der Wärmebildung und Zufuhr bedürfen. 

Akut und chronisch in der Praxis

Bei beiden Begriffen handelt es sich um statistische Werte, die im Individualfall nicht zutreffen müssen. Dazu folgende Überlegungen:

Jemand setzt sich auf einen "kalten Stein" und erleidet dadurch einen Wärmeverlust im Bereich des unteren Rückens, der sich als heftiger Schmerz, als "Hexenschuss" äußert. Nach gängiger Überlegung ein Geschehen, das der Wärmezufuhr bedarf und bei konsequenter Anwendung der Definition der Begriffe des Chronischen und Akuten, folgerichtig als chronisch eingeordnet werden müsste. Unvorstellbar, nach vorgegebener Definition eine Krankheit mit chronischem Anfang.

Auf den ersten Blick muss das als haarspalterische und für die Praxis unbedeutende Überlegung erscheinen, die ihre Brisanz erst nach weiterer Überlegung entfaltet.

Die Betroffenen versuchen, den erlittenen Wärmeverlust durch Wärmezufuhr auszugleichen. Nach gängiger Logik wird Wärmezufuhr in jeder Form vorgenommen und warme Bäder, Rheumacremes und durchblutungssteigernde Massagen am Ort der Beschwerden eingesetzt. Erfahren wird dabei meist nicht spontane Linderung, sondern im Gegenteil, die Verstärkung der Beschwerden. 

Entmündigen Sie Ihren Körper nicht!

Ein frommer Mensch hat folgendes Gleichnis formuliert: "Gott ist der Kutscher und wir sind die Gäule". Wenn Pferde in andere Richtung gehen wollen, als es der Kutscher will, zieht der kräftig am Zaumzeug und den Zugtieren tut es dann im Maul weh.

Eine Parabel, die auch auf den Organismus zutrifft. Es ist richtig, dass aus Unterkühlung Schmerz entsteht. Es ist jedoch eine Fehlannahme, dass er nun unbedingt der Wärmezufuhr bedarf, denn der Körper hat sofort versucht, diesen Missstand durch Steigerung der Durchblutung abzuhelfen. Wird in dieser Situation weitere Wärme zugeführt, die Durchblutung noch mehr angeregt, ist eine Abflussstörung, eine Stauung, also eine weitere Störung die Folge.

Wichtig zu wissen ...

... dass unser Körper auf jede Anforderung augenblicklich, also spontan reagiert. Angenommen, Sie haben in einem öffentlichen Verkehrsmittel nur noch einen Stehplatz erwischt. Beim Anfahren müssten Sie umfallen, wenn Ihr Körper nicht augenblicklich, sondern erst viel später auf die sich spontan verändernden Einflüsse reagieren würde.

Sinngemäß schnell verhält sich der Organismus auf die unterschiedlichen Anforderungen des täglichen Lebens. Jegliche Steigerung körperlicher Leistungen löst unweigerlich eine Vertiefung der Atmung, Steigerung der Herzleistung, Regulierung des Blutdrucks etc. aus und in kürzester Zeit wird die Durchblutung geforderter Körperteile den aktuellen Anforderungen angepasst. Augen passen sich sekundenschnell unterschiedlichen Lichtverhältnissen an und selbst der Genuss von übertrieben vielem Zucker wird von gesunden Bauchspeicheldrüsen durch sofort vermehrte Insulinausschüttung umgehend kompensiert.

Ebenso schnell reagiert der Körper auch auf therapeutische Reize. Auf Reizsetzungen, die dem aktuellen Zustand angepasst sind, erfolgt spontan eine fühlbare Zustandsverbesserung, während "falsche" Einflüsse zu ebenso spontanen Verschlimmerungen führen. Die Rede, dass die Wirkung von Rehakuren erst Weihnachten eintreten würde, mag zwar stimmen, trifft den Kern der Sache jedoch nicht. Bei dem häufig längerem Zwischenraum zwischen Kur und Wirkung handelt es sich um die vom Organismus benötigte Zeitspanne, um sich von unangepassten (schematischen) therapeutischen Reizen zu erholen. 

Auswirkungen und Kosten

Zurück zur eingangs erwähnten Arztgattin, deren Leiden wie bereits erwähnt seit über 5 Jahren bestanden und deshalb als chronisch eingestuft und mit Wärme und anderen "reizenden" Maßnahmen behandelt wurden. Tatsächlich wurde ihr Körper über diesen langen Zeitraum ständig im Akuten gehalten, ohne jemals die Möglichkeit zu haben sich selbst helfen zu können. Er wurde in seinen Selbstheilungsbestrebungen somit massiv behindert. Es wurden somit Kosten verursacht, die durch eine ihrem Zustand angepasste Behandlung deutlich vermindert oder gar hätten vermieden werden können. 

5 Minuten vor 12

5 Minuten vor 12

Schätzungsweise mussten für die Behandlung dieser Patientin pro Jahr von der gesetzlichen Krankenkasse mindestens 3000 Euro bezahlt werden (Quelle). Angenommen sie teilt ihr Schicksal mit drei Millionen Leidensgenossen, dann ergeben sich daraus jährliche Kosten in Höhe von neun Milliarden Euro (9.000 000 000 €). Selbst unter der Voraussetzung, dass sich durch Anpassung an den jeweils vorliegenden Zustand nur die Hälfte der Kosten vermeiden ließe, verbleibt immer noch ein Einsparungspotential von 4.5 Milliarden Euro.

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Weiteres Info zur Verwendung von Wärme oder Kälte

 

 

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Klaus_Radloff, am 08.02.2013
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