Was ist Anarchie?

Alleine das Wort "Anarchie" lässt an Straßenschlachten, brennende Autos, Steine werfende Gewalttäter und schutzlose Bürger denken. Dabei könnte kaum etwas weiter von der Wirklichkeit entfernt sein, als eben jenes Klischeebild, das uns nicht zufälligerweise eingebläut wurde.Tatsächlich wird der Begriff der Anarchie fast durchwegs falsch verwendet. Und auch wenn dieser Artikel an diesem unerfreulichen Umstand nichts verändern wird, sei auf die wahre Bedeutung des emotional negativ besetzten Wortes hingewiesen.

Anarchie bedeutet nämlich weder Gesetzlosigkeit, noch Willkürherrschaft oder Chaos. Es bedeutet vielmehr "Herrschaftslosigkeit", also die Absenz von Herrschenden und Beherrschten. Bereits daran lässt sich die radikale Idee dahinter erkennen, die jedem Herrschaftssystem eine klare Absage erteilt. Die uns vertraute staatliche Ordnung ist dem Anarchisten ein Dorn im Auge – kein Wunder also, dass sie seit jeher Feindbild jeglicher politischer Systeme waren und noch heute sind.

Eine erschöpfende Darstellung der Prinzipien des Anarchismus würde natürlich zu weit führen, weshalb nur kurz einige der wichtigsten Punkte angerissen werden sollen, um den Diskutanten zumindest einen groben Überblick zu verschaffen, ob Anarchie der pure Alptraum oder nicht vielmehr eine Alternative zum traditionellen Staatsbild darstellte.

Anarchie bedeutet Freiheit von Unterdrückung

Die Basis des Anarchismus bildet ein Bekenntnis zu völliger Freiheit. Demnach ist jeder Mensch frei das zu tun, wonach ihm der Sinn steht. Allerdings darf diese Freiheit nicht dazu missbraucht werden, anderen Menschen zu schaden. Bereits in diesem Punkt erkennt man den Konflikt wider den Staat: Der Staat, gleich welcher Prägung, ist ein oppressives, willkürliches Gebilde, das Millionen Menschen übergestülpt wird. Die Legitimation für die Staatsmacht mag noch so edel erscheinen: Sie ist stets von Willkür und Gewalt begleitet, auch im Falle der Demokratie.

Es mag ein zivilisatorischer Fortschritt sein, seine Unterdrücker und Ausbeuter auswählen zu dürfen, und zweifellos ist unsere heutige Demokratie all den menschenverachtenden Diktaturen der Vergangenheit vorzuziehen. Doch weshalb sollte man nicht den letzten Schritt zur völligen Freiheit wagen? Wir sind es natürlich längst gewohnt, in gängigen politischen Spektren zu denken: Rechts, links, konservativ, sozialistisch, bürgerlich, liberal. Dabei wird allerdings ein ganz bestimmtes Spektrum geflissentlich übergangen: Was, wenn man nichts davon aufoktroyiert bekommen möchte? Freilich: Ausgerechnet diese Wahlmöglichkeit besteht nirgendwo.

Einer seltsamen Logik nach bestimmt jeder von uns sein Schicksal, indem er alle paar Jahre einen Wahlzettel ausfüllt. Seltsam deshalb, da der Einzelne eventuell kein Interesse daran hat, sich beherrschen zu lassen oder dank eines Kreuzchens (ganz nebenher: Ist es nicht bezeichnend, dass über komplexe gesellschaftliche, ökonomische und soziale Themen mit zwei kurzen Strichen entschieden wird?) seine Zustimmung zur beliebigen Ausbeutung seiner Selbst sowie der Mitmenschen erteilen möchte.

Moralische Überlegenheit der Anarchie

In einem solchen System verkommen Eigenverantwortung und Friede zu hohlen Phrasen ohne jegliche reale Bedeutung. Kinder müssen staatliche Schulen besuchen, da ihren Eltern die Fähigkeit abgesprochen wird, sie eigenverantwortlich zu bilden bzw. bilden zu lassen. Diese Schulen werden durch Zwangsabgaben aller – auch jener, die keine Kinder haben oder sie in Privatschulen unterrichten lassen – bezahlt, ebenso wie das Lehrpersonal, das lediglich dem System gegenüber, nicht den Schülern oder ihren Eltern verpflichtet ist. Man stelle sich ein Restaurant vor, das von jedem Bürger, egal, ob er dort speisen möchte oder nicht, Abgaben verlangt und Gerichte zubereitet, die dem Gast unabhängig von seiner Bestellung vorgesetzt werden.

Ironischerweise werden Kinder und Jugendliche stets dazu angehalten, friedvoll zu sein, keine Gewalt anzuwenden, tolerant zu sein. Und das in einem System, das ausschließlich auf Gewalt errichtet wurde!

So schockierend es auch klingen mag: Die Prinzipien des Anarchismus speisen sich aus seiner überlegenen moralischen Position. Der Staat ist ein Sammelsurium der Widersprüche, welche in der reinen Anarchie obsolet wären. Oder kann es als moralisch gerechtfertigt bezeichnet werden, Menschen willkürlich zu Beherrschten zu erklären? Nur, weil man im Staatskonstrukt namens Deutschland oder Österreich geboren wurde, muss man sich dessen Gesetzen unterwerfen, da man ja kraft seiner Geburt "Staatsbürger" sei?

Unterdrücker Staat

Lassen Sie mich diese Absurdität an einem Beispiel erläutern: Angenommen, ich würde Ihre Wohnung mit der Begründung annektieren, dass ich durch die Vorsehung zu Ihrem Kaiser bestimmt sei. Mit Sicherheit würden Sie mich – und zwar zu Recht! – für komplett verrückt halten. Doch ist die Realität so viel anders gestrickt? Nein. Willkürlich wurden und werden Grenzen gezogen, Staaten errichtet oder erobert. Und zwar, ohne dass irgendjemand von uns ausdrücklich seinen Wunsch geäußert hätte, diesem oder jenem Staat untertan sein zu dürfen. Wie kann Legitimation entgegen einem ausdrücklichen Wunsch erfolgen?

Abstruserweise gewährt eben jener alles verschlingende Moloch "Freiheiten". Großmütig "darf" man ausreisen. Freilich nur, wenn eben dies gestattet ist und man über eine teuer erkaufte Legitimation in Form eines Reisepasses (übrigens eine lukrative Erfindung des 20. Jahrhunderts) verfügt. Der Bürger "darf" einen Beruf ergreifen. Allerdings nicht zu jenen Konditionen, die er und der Arbeitgeber vereinbaren – hierfür gibt es natürlich ein Arbeitsrecht, um den Arbeitnehmer vor der Selbstausbeutung zu schützen. Denn: Die Bürger des Staates sind, so lautet die Diktion, Vollidioten, die von ihren staatlichen Erziehungsberechtigten durchs Leben geleitet werden müssen. Eine Bevormundungspolitik, die sich in praktisch sämtlichen Bereichen des Lebens widerspiegelt.

Wir vertrauen – freiwillig oder gezwungenermaßen – unser Wohl und Gedeihen einem System an, das im Laufe seines Bestehens Millionen und Abermillionen seiner eigenen Bürger ermordete (siehe: Geliebter Massenmörder Staat). Aktuell erleben wir den unvermeidlichen finanziellen Kollaps ganzer Staaten, der zu Verelendung, Vermögensvernichtungen und dem Ruin unzähliger Existenzen führen wird. Sollten wir nicht endlich einmal die richtigen Schlüsse daraus ziehen und Anarchie als Alternative ins Auge fassen, anstatt das ganze, traurige Spiel erneut zu beginnen und den nachfolgenden Generationen den in diesem System eingebauten Selbstzerstörungsmechanismus zu hinterlassen?

Was, also, ist Ihre Meinung dazu: Halten Sie Anarchie für einen fürchterlichen Alptraum, der dem Staat sei Dank ein Riegel vorgeschoben ist oder können Sie der Idee selbstbestimmten Lebens nicht vielleicht doch Sympathien abgewinnen?

Ich wünsche Ihnen und mir gehaltvolle Diskussionen!

Autor seit 13 Jahren
815 Seiten
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