Hysterische Ohnmachtsanfälle

Plakat der Aufführung

© Lena Obst

 

Christian (Michael Wenzlaff) ist der Erzeuger des sich ungestüm anmeldenden Nachwuchses, und als Deutscher befindet er sich sogleich in einem kleinen Kulturkampf, nicht zuletzt weil Abraham (Timur Işık) sich aus Selbsterfindungsgründen verbal in ein jüdisches Gewand gehüllt hat und auch mit dem entsprechenden Vokabular und Sendungsbewusstsein hantiert. Sema Poyraz, einigen Theatergängern durch Gastauftritte im Berliner Gorki Theater in Erinnerung, spielt die mächtige Matrone Elif, die bei unangenehmen Vorschlägen hinsichtlich des Neugeborenen in hysterische Ohnmachtsanfälle gerät und nach Luft schnappt. Für sie ist es selbstverständlich, dass das Kind einen türkischen Namen erhält und in Fragen der Beschneidung lässt sie erst gar nicht mit sich diskutieren. Necati Öziri hat in seinen Text alle möglichen Lebensmodelle reingepackt, etwa die homosexuelle Variante: Die Ärztin Jasmin Tarak (Melek Erenay) hat ihre Gefühle mit vorsichtiger Vehemenz an ihre unbedarfte Pflegerin geheftet, und auch Christians neuer Bruder Mohamed (Eray Eğilmez) gesteht sein heimliches Verlangen nach saftigen Männern, ungeachtet seiner Zeugungswut, seines weiblichen Anhangs, der freilich nicht vor Ort ist.

 

Der Crash der Kulturen wird verharmlost

Bei "Vorhaut" handelt sich um ein beinahe klassisches Volkstheater, das nur darstellt, nicht bloßstellt, nicht anprangert oder gar eine unnachgiebige Lebenseinstellung graziös verspottet. Das Thema Beschneidung ist ein durchaus heikles Thema, das die Bereiche körperliche Unversehrtheit und Religionsfreiheit involviert, aber der Regisseur Miraz Bezar möchte eine ernsthafte Debatte vermeiden und lässt alles in Heiterkeit untergehen. Der nächste Lacher ist ihm wichtiger als eine kleine Wunde zu hinterlassen, die zum Reflektieren anregt und die eigene Haltung des Zuschauers herausfordert. Der in der Geburtsstation ausgetragene Crash der Kulturen ist lediglich ein laues Lüftchen mit harmlosen Verbalrundumschlägen, und so wird der Inszenierung der Stachel genommen. Die unangefochtene Chefin Elif geht sogar so weit, im Falle einer Beschneidungsverweigerung den Stiefsohn Christian zu entmachten, aus der Wohnung zu werfen und darüber hinaus dessen Eltern das gleiche Schicksal anzukündigen. Keine feine Sache das, doch die unsägliche Drohung, gar Erpressung muss auch als eine Variante des Spiels hingenommen werden. Was schließlich unter Unmengen von Blut herauskommt – in Abständen klatschen Farbstreifen gegen die Trennwand -, ist ein Zwitterwesen. Ein Junge und ein Mädchen sind entstanden, quasi ein türkisch-germanisches Gemeinschaftsprodukt, das vorerst den Familienfrieden wiederherstellt. Doch es lauert schon das Thema Intersexualität – dies würde eine Fortsetzung der Komödie ermöglichen.

Vorhaut

von Necati Öziri

Regie: Miraz Bezar, Bühne: Katharina Faltner, Kostüm: Sofia Vannini, Dramaturgie: Tunçay Kulaoğlu.

Mit: Lodi Doumit, Eray Eğilmez, Melek Erenay, Timur Işık, Katharina Koch, Sema Poyraz, Michael Wenzlaff.

Ballhaus Naunynstrasse

Uraufführung vom 7. Oktober 2014

Dauer: ca. 80 Minuten, keine Pause

 

 

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