Das Spiel zum Film des Buches

Ich weiß: Man sollte keinen Artikel mit "Ich" beginnen. In diesem Fall sei mir dies verziehen, da es mir unmöglich erscheint, objektiv über das Computerspiel "Blade Runner" zu schreiben. Immerhin handelt es sich dabei um jenes Adventuregame, das mich stärker in seinen Bann zog und fasz9inierte, als es irgendein anderes je vermochte.

Lassen Sie mich einen notwendigen nostalgischen Blick zurückwerfen: Wir schreiben die späten 1990er Jahre und ein Update meines Computersystems schien längst überfällig. Mein PC/XT mit 5,25-Zoll-Diskettenlaufwerk, 8 Megahertz und 640 kByte RAM war ein Überbleibsel aus dem technologischen Neolithikum. Ein neuer Computer musste her! Dank eisernen Sparens – die Griechenland-Methode hatte sich damals aus unerfindlichen Gründen noch nicht durchgesetzt – war dieses Ziel auch alsbald erreicht und Ende 1998 konnte ich mir einen High-Tech-Rechner mit unglaublichen 8 MB RAM und einer 4-Gigabyte-Festplatte zulegen. Ich war der Meinung, das war … spitze!

Was sollte ich mir je Besseres wünschen als diesen Computer, der zweifellos eine wertvolle Investition in die Zukunft sein und noch künftigen Generationen viel Freude bereiten würde? Ein lachhaft naiver Gedanke? Nun: Der Artikelautor hatte wenige Jahre zuvor noch voller Überzeugung für den EU-Beitritt Österreichs gestimmt – und bekanntlich bereitet auch die EU jedem ihrer Mitgliedsstaaten viel, viel Freude! Freilich: Ohne entsprechende Software läuft bei einem Computer ebenso wenig wie bei einem NPD-Mitglied im Oberstübchen. Nebst Betriebssystem, Microsoft Office und anderen Tools gelüstet es den homo ludens der Neuzeit nach spielerischer Zerstreuung. Beim Streifzug durch einen Elektronikladen blieb mein Blick an einem interessanten Cover hängen: "Blade Runner"? Hatte man einen meiner Lieblingsfilme versehentlich in der CD-Rom-Abteilung geparkt? Und warum sah Rick Deckard wie "Rammstein"-Sänger Till Lindemann aus? Der Irrtum klärte sich rasch: Es handelte sich um das Spiel zum Film. Skeptisch, aber wie jedes von zu viel Werbung und Kapitalismus weichgespülte Gehirn interessiert las ich mir die Beschreibung durch. Mehrere unterschiedlich Endszenarien sollte es geben, eine filmreife Atmosphäre und dergleichen mehr an völlig übertrieben scheinenden Versprechen. Meine von der neo-liberalen Werbeindustrie gesteuerten Hände ließen das Spiel dennoch nicht mehr los und zwangen mich, es gemäß der damals gültigen Regel "Sie berühren es, Sie müssen es kaufen" zu erwerben.

 

Zu Hause erwartete mich eine Überraschung: Rund ein halbes Gigabyte an freiem Festplattenspeicher verschlang das auf 4 CD-Roms gelieferte Spiel. Für die Vollinstallation waren über 2 Gigabyte nötig. Egal: Ich hatte Speicher, massenhaft, 4 Gigabyte! Die Installation dauerte zwar länger als der Film "Blade Runner" selbst, doch für die in ihn hineingebutterte Kohle sollte der Rechner ruhig was leisten. Und dann war es endlich soweit: Auf die Festplatte hätte kaum noch ein lolcat-Bild gepasst, Spiel gestartet und in das Game eingetaucht. Man beachte das filmreife Intro:

Intro des Adventuregames "Blade Runner"

Wohlgemerkt: Das Spiel "Blade Runner" datiert aus dem Jahr 1997! Nach diesem Intro war mir klar, einen Glücksgriff gemacht zu haben (das Gleichgewicht des Universums wurde später durch den Kauf von digitalem Müll wieder hergestellt). Kein anderes Adventuregame fesselte mich länger vor den Bildschirm als dieses. Selbst aus einem Abstand von mittlerweile fast zwei Jahrzehnten betrachtet vermag das vom innovativen – und deshalb nicht mehr existenten – Entwicklerstudio "Westwood" produzierte Spiel zu faszinieren.

Anders als viele Computerspieladaptionen bekannter Filme konnte "Blade Runner" als eine Art Fortsetzung zu Ridley Scotts Kultwerk betrachtet werden. Die phantastische Atmosphäre des Streifens fand sich auch im Spiel wieder. Mit unglaublich viel Liebe zum Detail wurden die Schauplätze dem Tech-Noir-Stil des Science-Fiction-Klassikers nachempfunden und immer wieder waberte der aus dem Film bekannte Soundtrack im Hintergrund. Der Spieler schlüpfte in die Rolle des Replikantenjägers Ray McCoy, der zunächst lediglich den Überfall auf einen Tierhändler aufklären soll, was ihn jedoch in weiterer Folge auf die Spur eines Komplotts künstlicher Menschen stößt. Gleich Harrison Fords Rick Deckard lernt auch McCoy im Laufe seines gefährlichen Jobs mehr über sich selbst kennen, als ihm lieb sein könnte.

Blade Runner: Das Spiel zum Film

Die Spielesteuerung war denkbar einfach: Sämtliche Befehle erfolgten per Mausklick und Dialoge wurden über mehrere Auswahlmöglichkeiten abgehandelt. Die vorgegaukelte "Entscheidungsfreiheit" existierte natürlich auch in "Blade Runner" nicht. Der Handlungsablauf war linear vorgegeben und Fortschritte beim Aufklären des Falles waren nur dann möglich, wenn man die hierfür nötigen Hinweise aufgespürt hatte. Mitunter wurde diese Aufgabe zu einer Geduldsprobe wenn es beispielsweise galt, einen nur wenige Pixel großen Gegenstand zu finden oder bei der Computeranalyse von Fotos den richtigen Vergrößerungswinkel zu treffen, um interessante Entdeckungen zu machen. Doch die spannende Handlung trieb den Spieler zum größtmöglichen Eifer, das Komplott zu entwirren und die hierfür verantwortlichen Replikanten auszuschalten.

Etwas frustrierend wurde es, wenn man auf Grund der manchmal ungenauen Steuerung einer tödlichen Gefahr nicht mehr rechtzeitig entfliehen konnte. Derlei Ärgerlichkeiten bildeten aber die Ausnahme und die Sonnenseiten überwogen bei weitem. Wobei "Sonnenseiten" in Zusammenhang mit "Blade Runner" natürlich einen irreführenden Ausdruck bildet. Denn gleich dem cineastischen Vorbild schien auch im Spiel niemals die Sonne über dem futuristischen, von Smog verhüllten L.A. Einige Cameos, etwa von Rachael oder Dr. Tyrrell, freuten den Filmfan, ohne ihn von der clever inszenierten Handlung des Adventuregames abzulenken.  Zeit zum Durchatmen verliehen die aufwändig produzierten Zwischensequenzen. Angeblich sollte es insgesamt zwölf unterschiedliche Endsequenzen geben, je nachdem, wie sich der Spieler in bestimmten Situationen entscheidet. Erschießt er einen Replikanten, anstatt ihn laufen zu lassen, konnte dies den weiteren Verlauf verändern.

Allzu harte Detektivarbeit erwartete den Spieler allerdings nicht. Knackige Rätsel waren Mangelware, da sich die entscheidenden Hinweise meist durch Suchen und Fragen stellen aufspüren ließen. Anders als bei klassischen Adventures wie "Baphomets Fluch" oder "Geheimakte Tunguska", mussten keine Gegenstände geschickt kombiniert oder Ablenkungsmanöver gestartet werden. Dafür lud "Blade Runner" zum Genießen der einzigartigen Atmosphäre ein. Jede der Figuren hatte ihren eigenen Charakter und eine professionelle Synchronstimme, was beileibe keine Selbstverständlichkeit im Adventuregenre darstellt.

 

Fazit nach vielen Stunden hinter vorgezogenen Vorhängen und dem Trinken von literweise Kaffee, um wach zu bleiben und ein bisschen näher an die Endsequenzen vorzurücken: Das Aventuregame "Blade Runner" gilt völlig zu Recht als Kult. Die perfekt eingefangene Stimmung des Films, grandiose Zwischensequenzen, hervorragende Sprecher und eine immer wieder mit Überraschungen gespickte Story machten das Game zum Highlight des Genres.

Wer nach dem stunden- oder tagelangen Zocken immer noch nicht genug von der Welt des "Blade Runners" hat, sollte sich die literarische Vorlage von Philip K. Dick nicht entgehen lassen. Zwar hat diese nur wenig mit dem Film – und somit dem Spiel – gemeinsam, aber die überbordende Phantasie des viel zu früh verstorbenen Science-Fiction-Genies eröffnet den Ausblick auf neue, ungewöhnliche Perspektiven. Dass er in keinem seiner Werke jemals den Begriff "Blade Runner" verwendete, trübt das Lesevergnügen natürlich nicht im Geringsten. Trotzdem ziehen Fans den Originaltitel des SF-Klassikers vor, der da lautet: "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?" ("Do Androids Dream of Electric Sheep?"). Und, ja: Philip K. Dick nahm Drogen …

rainerinnreiter, am 08.08.2012
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Bildquelle:
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