Paradox der Schauspieler

 

Der französische Schriftsteller Denis Diderot schreibt in seinem Text "Über das Paradox des Schauspielers", der Schauspieler müsse Distanz zur Figur halten und selbst unbewegt sein, um das Publikum bewegen zu können. Er beklagte das unausgeglichene Spiel derjenigen Schauspieler, die im Gegensatz dazu aus dem Herzen spielten. Tatsächlich leiden wir mehr mit einer Figur mit, die ihre Tränen unterdrückt als mit einer, die laut schluchzend ihr Leid kund tut. Aber mit welcher Technik sich die Kreativität eines Schauspielers entzünden ließe, so dass er auch noch bei der x-ten Vorstellung bewegend spielen könne, das war zu Diderots Zeiten noch unklar.

Schauspielerei - Verfremdung oder Nachahmung?

 

Auch Brecht plädierte für einen Verfremdungseffekt in der Schauspielkunst. Doch in gewisser Weise ist das Theater und viel mehr noch der Film immer Aristoteles und seiner Idee treu geblieben, dass Schauspiel Nachahmung ist und der Schauspieler in seiner Rolle verschwinden sollte. Stanislawski war klar, wen die Schauspieler dabei nachahmen, nämlich sich selbst. Dass heißt, sie greifen für eine überzeugende und wiederholbare Vorstellung auf ihr Unbewusstes zurück. Stanislawski bemerkte, wie er Momente der Intuition erlebte, in denen sich rational Verstandenes in emotionas Reales verwandelte. Stanislawski vertrat die Meinung, dass ein Schauspieler welcher keinen bewusste Zugang zu seiner unbewussten Kreativität findet in seinem Spiel nur beim oberflächlichen Handwerk und Klischees haften bleiben würde.

Geisteszustand der Schauspieler

 

Doch in welchem Geisteszustand befinden sich Schauspieler innerhalb ihrer Rolle? Tilla Durieux formulierte es in ihren Memoiren so: "...mein Ich stirbt und ich gleite in einen fremden Körper, der meine Bewegungen, den Klang meiner Stimme, selbst meinen Herzschlag regiert. ... am Abend auf der Bühne fliege ich weit fort von allem, ich weiß von der fehlenden vierten Wand, aber ich kenne sie nicht; "die Kulisse ist da, aber ich sehe sie nicht. ... Ich habe mir schon Nägel in den Fuß getreten und merkte es nicht."

 

An dieser Stelle bringt der Theatertheoretiker und Regisseur Jerzy Grotowski den Begriff der Trance ein. "Der Schauspieler macht sich selbst zum vollkommenen Geschenk. Das ist die Technik der "Trance" und die Integration all seiner körperlichen und psychischen Kräfte, die aus den allerintimsten Schichten seines Seins und seiner Instinkte kommen", schreibt er in seinem Aufsatz "Über ein armes Theater".

Warum fiebert das Publikum mit?

 

Aber wie kommt es, dass das Publikum echten Anteil am Geschehen auf der Bühne - oder auch im Film nimmt, wo es doch ganz genau weiß, dass ihm "nur" etwas vorgespielt wird? Dafür gibt es im Bereich der Psychoanalyse kulturwissenschaftliche Theorieansätze, die weiterhelfen können. Der Wechsel zwischen Realität und Fiktionalität wird hier als ein sehr typisches menschliches Phänomen betrachtet. Demnach nehmen wir die Dinge nicht nur so wie sie sind, sondern interpretieren sie mit Hilfe unserer Phantasie immer wieder neu. wir folgen, wie Freud es genannt hat, dem "Lustprinzips" und deuten die oft trostlose Realität um und erfüllen uns auf diese Weise emotional wichtige Wünsche.

Frühe Erlebnisse werden kreativ bearbeitet

 

Auch die Kunst spielt dafür eine bedeutende Rolle, nicht nur für die Künstler selbst. Denn nicht nur die Künstler arbeiten mit ihrem Kunstwerk wichtige Teile ihrer Lebensgeschichte ab, indem sie frühere Erlebnisse oder Traumata kreativ bearbeiten. Auch das Publikum kann die Welt mit Hilfe der Phantasie uminterpretieren. So werden plötzlich aus Kränkungen Triumphe, Verlassenheitserfahrungen entwickeln sich zu Phantasien von Größe und Ruhm.

 

Doch auch die Spiegelneuronen, Nervenzellen im Hirn tragen viel zum menschlichen Mitempfinden bei. Der Mechanismus der Emotionserkennung durch Spiegelneuronen wird als eine Art "Als-ob-Schleife" beschrieben. Das Beobachten von Gesichtern, die eine Emotion ausdrücken, aktiviert demnach die Spiegelneuronen. Sie senden eine Kopie ihrer Aktivierungsmuster zu körpersensorischen Arealen im Gehirn. Diese ähneln Mustern, die entstehen, wenn der Beobachter selbst die Emotion erlebt. Die Schleife ist damit geschlossen und die Aktivierung, als würde man die Emotion selber erleben. Es handelt sich also um eine Art Simulation.

 

Hier ist die Brücke zum Schauspiel nicht weit. Das "Als ob" kann demnach offenbar eine genau so starke psychische Realität werden wie das "Was wäre wenn". Empathie und Phantasie beflügeln den emotionalen Prozess, in den Zuschauer und Schauspieler im Theater und Film eintreten.

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