Was ist Populismus?

Zunächst kann der Populismus fernab des gängigen Schemas von "rechts und links" als eine politische Philosophie beschrieben werden, für die ein bestimmtes Verständnis von Freiheit grundlegend ist, nämlich Freiheit verstanden als Freiheit von Bevormundung und Fremdbestimmung jeglicher Art. Das heißt: Die Freiheit der Bürger genießt im Populismus die höchste Priorität. Gegen "Machtansprüche von oben" setzen Populisten deshalb die Prinzipien von Selbstbestimmung und Selbstorganisation. Das Feindbild der Populisten schlechthin sind die "Bonzen" in Politik und Wirtschaft, die "machtgierige", "abgehobene "korrupte" Elite, das "Establishment", die "politische Klasse". In diesem Zusammenhang wenden sich Populisten gegen die marktbeherrschende Stellung großer Konzerne sowie gegen Staatsdirigismus, also gegen alle gesellschaftlichen Großaggregate, die bewirken, dass der Mensch in Abhängigkeit gerät. Insofern ist Populismus eine Revolte gegen bestimmte Auswüchse der Moderne wie Größen- und Machbarkeitswahn, Wachstumsfetischismus und Bevormundung durch den Staat. Das Aufkommen von Populismus ist deshalb immer ein Indiz für Anpassungskrisen im Zuge zu rascher Modernisierungsschübe. Hauptmerkmale populistischer Parteien sind ihr aus der Anti-Parteien- und Anti-Establishment-Gesinnung resultierender "Bewegungscharakter" und die herausgehobene Position eines charismatischen "Führers", meist der Gründer der Bewegung und in der Regel ein Renegat einer etablierten Partei.

Vox Populi

Der Populismus hat primär, entsprechend der lateinischen Wortwurzel, mit dem Volk (populus ) zu tun und ist mit dem Anspruch verbunden, dem Volk verpflichtet zu sein, ein offenes Ohr für die Bürger zu haben und deren Sorgen und Wünschen eine Stimme – eine laute Stimme – zu verleihen. Und zwar ist es der "populistische Führer", der als Sprachrohr des Volkes fungiert. Das heißt: Der Führer geriert sich als Anwalt der unterdrückten Interessen einer behaupteten "schweigenden Mehrheit" und verspricht seinen potenziellen Wählern, ihre tatsachlichen Interessen gegenüber der "abgehobenen" Elite der Herrschenden ("die da oben") zu vertreten. Dabei gelten die sozialen Unterschiede innerhalb des als einheitlich postulierten Volkes ebenso wie die Distanz zwischen dem Führer und eben diesem Volk, für das er spricht, als aufgehoben. Diese scheinbare Angleichung des charismatischen Führers an das Volk zeigt sich in seiner betont volkstümlichen und kämpferischen Sprache. Der gezielte Tabubruch ist dabei das wichtigste Stilmittel des Führers, weil er die eigene Außenseiterrolle betont und zugleich zeigt: "der traut sich was". Das heißt: Indem der populistische Führer "kein Blatt vor den Mund nimmt", erweist er sich als wahrer "Mann des Volkes", der sich auszusprechen traut, was "die schweigende Mehrheit" bloß denkt (oder fühlt). Insgesamt treten in seiner Argumentation scheinbar einfache und radikale, häufig mit einem simplen Freund-Feind-Denken verbundene, "Lösungen" an die Stelle einer Analyse der gesellschaftlichen Komplexität.

Populismus und Rechtsextremismus

 Einerseits scheint der Populismus, wie gezeigt, schon von seiner Begrifflichkeit her für demokratische Ideale zu stehen, und die von den Populisten erhobene Forderung nach Selbstbestimmung, Dezentralisierung und größerer politischer Partizipation erscheint als inkompatibel mit autoritären Doktrinen. Wenn allerdings von Populisten dem repräsentativen Parlamentarismus grundsätzlich das Recht abgesprochen wird, für das "Volk" sprechen und entscheiden zu können, da die "wahre Meinung des Volkes" von den Mandatsträgern gar nicht mehr zur Kenntnis genommen werde, kann dies einen gefährlichen, die Grundlagen der Demokratie untergrabenden Ansehensverlust des repräsentativen Parlamentarismus nach sich ziehen, der in Politikverdrossenheit und "Wahlmüdigkeit" zum Ausdruck kommt. Ferner ist bedenklich, dass die von dem populistischen Führer verübten Tabubruche häufig im Bereich der Grund- und Menschenrechte angesiedelt sind. So fordern die Populisten Rahmenbedingungen, die Ungleichheiten begünstigen und negieren damit das demokratische und verfassungsgemäß verankerte Prinzip individueller und sozialer Gleichheit. Zudem trägt das populistische Modell einer homogenen und "wahren Demokratie" deutlich antipluralistische Züge. Das heißt: Die Populisten propagieren grundlegende Veränderungen des von ihnen angeprangerten "Systems", und das macht sie tendenziell antidemokratisch – auch wenn sie die demokratische Ordnung insgesamt nicht in Frage stellen. Insgesamt besitzen die Grundsätze populistischer Politik eine starke Affinität zu den politischen Inhalten des Rechtsextremismus, so dass es nahe liegt, von Rechtspopulismus zu sprechen.

Weltgemeinschaft (Bild: Nemo/Pixabay.com)

Rechtspopulistisches Ideal (Bild: geralt/Pixabay.com)

Immigration als "Ursache allen Übels"

Die Gemeinsamkeiten zwischen Populismus und Rechtsextremismus zeigen sich besonders deutlich beim Thema "Immigration". So impliziert das Postulat der Populisten, dass es so etwas wie einen gemeinsamen Volkswillen gäbe und dass das Volk (die Wir-Gruppe) weitgehend homogen sei, einen Ausschluss der "Anderen". Parallel und zusätzlich zu der vertikalen Dichotomie Volk-Elite erfolgt also auf horizontaler Ebene die Abgrenzung von "den Anderen", "den "Fremden". Insbesondere die Präsenz von Zuwanderern und damit die Entstehung einer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft ist deshalb den Rechtspopulisten "ein Dorn im Auge". Und zwar wird von den Rechtspopulisten eine direkte Verbindung hergestellt zwischen Immigration und zentralen sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Wohnraumknappheit etc. Und diese Ethnisierung sozialer Probleme verweist wiederum auf eine bestimmte Vorstellung von Kultur. Danach entstehen gesellschaftliche und individuelle Probleme dann, wenn Menschen nicht in "ihrer" Kultur verwurzelt und zu Hause sind, sondern wenn es im Zuge von Migrationsbewegungen zu "Vermischungen" der Kulturen kommt. Folglich würden sich nach Ansicht der Rechtspopulisten die meisten Probleme lösen, wenn die Immigration nicht nur gestoppt, sondern die in den verschiedenen Staaten lebende "Ausländer" zurückgeführt würden. Die in dieser Argumentation zum Ausdruck kommende Ablehnung der ethnischen Pluralisierung, die insbesondere an der Einwanderung festgemacht wird, ist der klassische Dreh- und Angelpunkt rechtspopulistischer Propaganda.

Feindbild Islam

Bei den Migranten geht für die Rechtspopulisten die größte Bedrohung von den Muslimen aus, wobei die antiislamische Gleichung in den rechtspopulistischen Kampagnen lautet: "Islam =Fundamentalismus=Einwanderer= Untergang des Abendlandes". Dahinter steckt die unsachgemäße Gleichsetzung des Islam als Religion mit politischem Extremismus und deren Verknüpfung mit der Vorstellung eines Kampfes, wenn nicht sogar Krieges zwischen abendländisch-christlicher und orientalisch-muslimischer Kultur. Man könnte hier auch sprechen von einem antimuslimischen Kulturrassismus, der anknüpft an Vorurteile gegenüber Muslimen und Angst vor einer schleichenden Islamisierung westlicher Gesellschaften und der deshalb potenziell mehrheitsfähig ist.

Die Aversion gegen die Europäische Union

Ein weiterer Lieblingsfeind der Rechtspopulisten ist die Europaische Union und hier vor allem die Eurobürokratie. Zwar lehnen die meisten Rechtspopulisten – hier unterscheidet sich ihre Einstellung von rechtsextremen Positionen – den europäischen Einigungsprozess nicht grundsätzlich ab. Das heißt: Sie kritisieren gemäß dem Slogan "Europa ja – EU nein" in erster Linie das "Wie" und nicht das "Ob". Aber sie machen sich damit die in weiten Teilen der Bevölkerung vorhandenen Stimmungen gegen ein Europa zunutze, das angeblich auf Kosten der eigenen nationalen Identität von Brüsseler Bürokraten und ihrer Regulierungswut regiert wird, denen es, noch stärker als den einheimischen Eliten, an Bürgernähe und demokratischer Legitimation fehlt. Dabei bieten tatsächlich vorhandene Missstände in Einzelfallen einen willkommenen Anknüpfungspunkt für eine völlig überzogene Kritik. Die Rechtspopulisten schwächen damit den weiteren europäischen Einigungsprozess.

Europäische Union (Bild: geralt/Pixabay.com)

Die Frage nach der Zukunft Europas (Bild: geralt/Pixabay.com)

Minderheiten als Sündenböcke

Die antipluralistische Grundhaltung der Rechtspopulisten richtet sich nicht nur gegen Ausländer, sondern auch gegen andere "missliebige" Minderheiten und Personen wie "Intellektuelle", "entartete Künstler", Frauenrechtlerinnen, "linke" Politiker oder "Sozialschmarotzer". Hinzu kommt das alte Feindbild "die Juden". Die Ressentiments können sich also im Prinzip gegen beliebige Minderheiten richten. Und zwar dienen diese in wirtschaftlich schwierigen Zeiten als Sündenböcke. Das heißt: Ihnen wird die Verantwortung für gesellschaftliche oder ökonomische Missstände zugeschoben, sie werden der Kriminalität oder der Korruption bezichtigt. Es wird damit für die öffentliche Empörung ein Ventil geschaffen, und die Populisten können sich wieder als diejenigen profilieren, die "Skandale" aufdecken.

Die Ursachen des Erfolgs der Rechtspopulisten

Wenn man davon ausgeht, dass die Stunde der Rechtspopulisten immer dann schlägt, wenn sich viele Bürger durch eine zu rasche Modernisierung der Gesellschaft überfordert fühlen, ist es nicht verwunderlich, dass am Beginn des 21. Jahrhunderts die populistischen Parteien so stark geworden sind. Denn die Welt befindet sich derzeit in einer historisch beispiellosen Phase radikaler Veränderungen. Diese sind auf gesellschaftlichen Umbrüche zurückzuführen – Stichwort: Globalisierung – sind aber auch durch tiefgreifende Krisen verursacht worden – Stichwort: Wirtschafts- und Finanzkrise. Dabei leiden viele Menschen unter den negativen Folgen beider Phänomene. Und zwar gibt es zum einen die Gruppe der Globalisierungsverlierer. Zum anderen haben viele Menschen das Gefühl, dass sie infolge der eisernen europäischen Sparpolitik für die Fehler der Finanzwelt büßen müssen. Folge ist eine immer stärkere Entfremdung zwischen den politischen Parteien und Institutionen und weiten Teilen der Bevölkerung. Drittens haben sich infolge der neoliberalen Individualisierungs- und Flexibilisierungswut die alten Bindungen (nach Klassen und sozialen Gruppen) aufgelöst, so dass die immer mehr "auf sich selbst zurückgeworfenen" Menschen nach Ersatzidentitäten suchen. Hier bieten sich nun bestimmte Personen und Parteien an, die entstandenen Lücken zu füllen und die Interessen der Menschen, die politisch entfremdet sind, zu artikulieren. Besonderen Anklang finden die Botschaften der Rechtspopulisten deshalb bei jenen Personen, die von den negativen Folgen der ökonomischen, kulturellen und politischen Globalisierung sowie der Wirtschafts- und Finanzkrise besonders betroffen sind. Und zwar handelt es sich dabei vor allem um jüngere männliche Industriearbeiter mit geringer Qualifikation, die durch internationale Konkurrenz permanent von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Rechtspopulisten profitieren aber auch vom sogenannten Wohlstandschauvinismus, werden also auch von Menschen gewählt, deren Misere weniger eine tatsächliche, sondern eine vor allem subjektiv empfundene, von Verlust- und Abstiegsängsten begleitete ist und die ihren Wohlstand vor dem Zugriff Dritter (Ausländer) schützen wollen. Diese Haltung findet man in weiten Teilen der Mittelschicht. Indem nun der Rechtspopulismus vorgibt, die Interessen dieser Bevölkerungsgruppen zu vertreten, wird ein grundlegender Widerspruch innerhalb der populistischen Ideologie sichtbar, da sich der Rechtspopulismus ja selbst in neoliberaler Manier gegen staatliche Bevormundung und "Zwangssolidarität" wendet, aber nun gleichzeitig fordert, dass der Staat "die kleinen Leute" gegen die Übergriffe der organisierten Interessen schützen soll.

Ratlose Menschen (Bild: geralt/Pixabay.com)

Gewinner und Verlierer (Bild: geralt/Pixabay.com)

Positive Antworten auf den Rechtspopulismus

Die Reaktionen der etablierten Politik auf den Rechtspopulismus können positiv sein und damit zur Stärkung der Demokratie beitragen oder sie können negativ sein und damit zur Schwächung der Demokratie führen. Eine positive Reaktion könnte darin bestehen, dass die Politik auf die –berechtigten – Anliegen, die von den Rechtspopulisten vorgebracht werden, eingeht, sie öffentlich diskutiert und sich um Antworten bemüht, die der Komplexität der Probleme, um die es hier geht, angemessen sind. Die etablierte Politik müsste mit anderen Worten in der Lage sein, die berechtigten Forderungen von Rechtspopulisten aufzunehmen und in den demokratischen Entscheidungsprozess einzubeziehen. Zum anderen könnte eine angemessene Reaktion auf den Rechtspopulismus darin bestehen, dass den Populisten Regierungsverantwortung übertragen wird, um sie sozusagen einem "Tauglichkeitstest" zu unterziehen, um also festzustellen, ob sie über das Anprangern von Missständen hinaus zu einer wirklichen Problemlösung in der Lage sind. Dies kann nämlich dazu führen, dass die Betreffenden entweder wegen erwiesener Unfähigkeit wieder "in der politischen Versenkung verschwinden" oder tatsächlich mit neuen, unkonventionellen Ideen neuen Schwung in die Politik bringen und die politische Szene dadurch bereichern. Vorstellbar wäre hier ein Wandel der Demokratie hin zu direkter politischer Partizipation der Bürger, und zwar durch Einführung von Referenden, Volksbegehren, Befragungen, Gemeindeversammlungen.

Negative Antworten auf den Rechtspopulismus

Eine negative Reaktion auf den Rechtspopulismus bestünde darin, dass sich die etablierten Parteien vom Rechtspopulismus infizieren lassen, also sich die populistische Agitation und Argumentation zu eigen machen, um damit auf Stimmenfang zu gehen. Und es gibt leider etliche Indizien dafür, dass dieser "worst case" bereits eingetreten ist. Das heißt: Auch wenn die Rechtspopulisten bisher durch Einbindung in Macht und Verantwortung regelmäßig und rasch entzaubert werden konnten, blieben das vergiftete gesellschaftliche Klima und die Tabubrüche, die von anderen Akteuren immer noch weiter ausgedehnt werden konnten. Den Rechtspopulisten ist es mit anderen Worten bereits häufig gelungen, durch ihr Agenda-Setting den politischen Mainstream zu beeinflussen und damit den politischen Diskurs in gesellschaftspolitisch sensiblen Fragen mitzubestimmen. Und der Rechtspopulismus ist mittlerweile keine bloß politische Erscheinung mehr, sondern ein weit über die Sphäre des Politischen hinausgehendes soziokulturelles Phänomen. Selbst nach dem Niedergang rechtspopulistischer Parteien liegt also ihr Schatten weiterhin schwer auf den liberalen und pluralistischen Demokratien. Dabei ist zu bedenken, dass der neoliberale Umbau Europas auch bei den Parteien der politischen Mitte bereits zu einem eindeutigen Rechtsruck geführt hatte. Die Parteienlandschaft hat sich also insgesamt zugunsten "rechter Positionen" verschoben.

Fazit

Die negativen Folgen der Globalisierung sowie eine von der Ideologie des Neoliberalismus inspirierte Bewältigung der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise in den Ländern der europäischen Union hat zu einer Spaltung der Bevölkerung in "Gewinner" und "Verlierer" geführt und damit zu einer dramatischen Zunahme des Anteils der Bevölkerung, der anfällig ist für die Rezeption rechtspopulistischer Ideen. Die rechtspopulistische Weltanschauung selbst ist durch eine tiefgreifende Ambivalenz gekennzeichnet, durch eine Mischung aus traditionell "linken" und "rechten" politischen Positionen und kann deshalb meiner Meinung nach mit einem politischen "Gemischtwarenladen" verglichen werden, in dem jeder etwas findet, das zu ihm passt. Das ist wohl das Geheimnis des Erfolgs der Rechtspopulisten.

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