Die Kritik am GGE und das Ideal der Vollbeschäftigung

Zunächst möchte ich auf die massive Kritik eingehen, die das Konzept des GGE hervorgerufen hat. So wird sehr oft behauptet, ein GGE sei nicht zu bezahlen. Nach seriösen Berechnungen wäre jedoch in der Bundesrepublik ein Grundeinkommen von 800 Euro monatlich finanzierbar. Ein anderer Kritikpunkt lautet, das GGE entbinde Arbeitgeber von der Pflicht, sozial absichernde Löhne zu zahlen. Als Folge werde vor allem der Niedriglohnsektor wachsen. Zudem sähen Politiker keine Veranlassung mehr, sich um die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung zu bemühen. Meines Erachtens deutet diese Kritik am GGE jedoch eher auf philosophische und psychologische Probleme hin als auf ökonomische. So verstehen viele Kritiker unter dem Begriff "Arbeit" vor allem Erwerbstätigkeit und gehen von der Vollbeschäftigung als Idealzustand aus. Angesichts der aktuellen Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt stellt sich allerdings die Frage, ob das Ideal von Vollbeschäftigung, von Erwerbstätigkeit für alle, überhaupt noch zeitgemäß ist. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass die Gesellschaft der Gegenwart aufgrund fortschreitender Technologien und zunehmender Automatisierung bereits einen Entwicklungsstand erreicht hat, bei dem es nicht mehr möglich ist, Vollbeschäftigung zu garantieren. Ferner ist die Idee des GGE  durch die globale Finanz- und Wirtschaftskrise aktueller denn je. Die Annahme, dass Einkommen nur aus Erwerbstätigkeit entspringen könne, sowie die Ansicht, dass ganztägige Erwerbstätigkeit einerseits und Vollbeschäftigung andererseits der Normalfall seien, sind mit anderen Worten gerade angesichts der Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit obsolet geworden. Das heißt: Einer Arbeit verherrlichenden Gesellschaft geht de facto die Arbeit aus.

Die Stärkung der Position der abhängig Beschäftigten

Forderungen nach Vollbeschäftigung sind aber nicht nur anachronistisch, sondern man kann ihnen auch entgegenhalten, dass sie die Ausbeutung des Menschen in der Lohnarbeit vorantreiben würden. Die Einführung eines GGE würde demgegenüber den Druck und den materiellen Überlebenskampf, die im Kapitalismus den Menschen beherrschen, zumindest abmildern. Das heißt: Ein GGE würde die Verhandlungsposition der abhängig Beschäftigten stärken, die durch das GGE erzielte Existenzsicherheit wäre auch eine Gegenmacht zu den heute übermächtigen Kapitalinteressen, so dass die abhängig Beschäftigten den Arbeitgebern nicht mehr willkürlich ausgeliefert wären.

Der Übergang von der Arbeits- zur Tätigkeitsgesellschaft

Das GGE könnte auch einen Beitrag dazu leisten, dass die Wichtigkeit von Tätigkeiten, die heute sehr oft unbezahlt sind wie Soziale Arbeit, politische Arbeit in zivilgesellschaftlichen Institutionen, Hausarbeit, etc. stärker anerkannt wird. Es könnte also zu einer Neubewertung von Arbeit kommen. Es geht mit anderen Worten bei der Diskussion um das GGE um einen Wandel der Bedingungen, unter denen die Menschen tätig sind und sein wollen, und um einen Wandel dessen, was als Arbeit begriffen wird. In diesem Zusammenhang gilt es auch zu klären, was "Arbeit" als Bezeichnung für eine spezifische Form menschlicher Tätigkeit im Unterschied zu anderen Tätigkeitsformen eigentlich ist. Und zwar ist nach Expertenmeinung Arbeit als routinemäßige Produktion von Gütern des täglichen Bedarfs zu unterscheiden von Herstellen im Sinne von poiesis, also im Sinne einer schöpferischen Verwirklichung von Plänen und damit auch im Sinne von Selbstverwirklichung. Eine weitere Tätigkeitsform ist das Handeln, durch das sich der Mensch von anderen Menschen abgrenzen kann. Es besteht somit de facto ein pluraler Tätigkeitskosmos, und daraus folgt, dass an die Stelle des eindimensionalen Paradigmas der Arbeit ein mehrdimensionales Paradigma der Tätigkeit treten muss, in der (Erwerbs-) Arbeit im Bewusstsein der Menschen nur noch eine mögliche Form von Betätigung darstellt. Das Paradigma der Arbeit muss mit anderen Worten durch eine alternative Kultur der Tätigkeit ersetzt werden, in der die plurale Tätigkeitsgesellschaft das neue kulturelle Leitmotiv darstellt.

Arbeitsgesellschaft (Bild: Pixabay.com)

Wandel der Arbeitswelt (Bild: Pixabay.com)

Ein Garantiertes Grundeinkommen als Basis menschlicher Freiheit

Von Vertretern einer aufklärerischen und humanistischen Denktradition wird eine Verbindung hergestellt zwischen dem Konzept eines Garantierten Grundeinkommens und Vorstellungen von menschlicher Freiheit und Würde. Und zwar ist dieser Denktradition zufolge Freiheit nicht nur Rede- und Meinungsfreiheit, sondern ist als eine jedem Menschen zuerkannte Gewissens- und Handlungsfreiheit zu verstehen. Und diese Freiheit ist wiederum untrennbar verbunden mit der Würde des Menschen. Demzufolge ist ein GGE, das jedem Menschen ermöglicht, nur noch dann eine bezahlte Tätigkeit aufzunehmen, wenn er will, und nicht weil er muss, eine formale Voraussetzung für ein menschlich würdevolles Leben und damit für ein Leben in Freiheit. Ein GGE könnte somit - wie es der Humanist und Sozialist Erich Fromm formuliert hat – aus dem Schlagwort "Freiheit" eine Realität machen.

Die Illusion bzw. Karikatur von Freiheit

Für die - nicht -privilegierte – Mehrheit der Bevölkerung, also für diejenigen, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, besteht "Freiheit" bisher vor allem in einem möglichst grenzenlosen Konsumrausch. Jede Einschränkung des unbegrenzten Konsums wird folglich als Angriff auf die persönliche Freiheit aufgefasst. Hier wird jedoch eine Illusion, wenn nicht sogar eine Karikatur, von Freiheit erzeugt. Denn de facto beschränkt sich diese "Freiheit" auf die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Handyklingeltönen oder Waschmitteln auszuwählen oder über die Autobahn zu rasen. Es handelt sich hier also um eine Pervertierung von persönlicher Freiheit zu einem grenzenlosen Hunger nach immer mehr Konsum.

Wahre Freiheit (Bild: Pixabay.com)

Geldgeschenk vom Staat (Bild: Pixabay.com)

Selbstbestimmte Freiheit

Konturen einer Freiheit, der ein wirklich substanzieller Gehalt zukommt und die durch die Einführung eines GGE in den Bereich des Möglichen rückt, werden im Kontext der Diskussion über den Begriff der Freiheit sichtbar, die Bundespräsident Joachim Gauck angestoßen hat. Gleichzeitig kann durch das Konzept des BGE der Gaucksche Freiheitsbegriff um wichtige Komponenten erweitert und damit präzisiert werden. So hat Gauck unterschieden zwischen einer Freiheit von etwas und einer Freiheit für etwas und zu etwas, Dabei ist die Freiheit von etwas gleichbedeutend mit der Befreiung von allem, was irgendwie als einengend, demütigend, begrenzend erfahren wurde, während die Freiheit für etwas und zu etwas gleichzusetzen ist mit einer selbstbestimmten Formgebung der Freiheit, einer selbstverantwortlichen Gestaltung von Freiheitsmöglichkeiten. Konkret handelt es sich bei der Freiheit von etwas um die Freiheit von Religion, von politischer Bevormundung, von Naturzwängen und sozialer Enge und damit um ein Bündel von grundlegenden Freiheitsrechten, die in einem Zeitraum von mehr als 200 Jahren erkämpft worden sind. Die Befreiung vom Zwang, seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen, die die Einführung eines GGE ermöglichen würde, kann somit als Fortsetzung, wenn nicht sogar als Krönung dieses Kampfs um Freiheit gewertet werden.

Die Überwindung der Grenzen persönlicher und politischer Freiheit

Bereits jetzt vollzieht sich bei immer mehr Bürgern ein grundlegender Wandel der für sie relevanten Werte und Bedürfnisse, was ablesbar ist an einer wachsenden Unzufriedenheit mit dem System der repräsentativen Demokratie. In diesem Zusammenhang ist häufig von einer wachsenden Politikverdrossenheit die Rede. Und zwar äußert sich die Politikverdrossenheit der Bürger zum einen in einer zunehmenden "Wahlmüdigkeit" und zum anderen in Massendemonstrationen, in denen sich die Wut der Bürger über gesellschaftliche Missstände entlädt, sowie in Forderungen nach Einführung von Elementen einer direkten Demokratie. All das kann als Renaissance echter Demokratie bzw. Hinwendung zu einer Lebensform der Ermächtigung - wie Gauck sie beschrieben hat – gedeutet werden. Und es ist zu erwarten, dass die Einführung eines GGE solche Prozesse noch verstärken würde, weil dann wesentlich mehr Bürger als bisher die Zeit, die Kraft und vor allem die nötige Unabhängigkeit für politisches Engagement hätten. Die Bürger wären also dann, wenn sie auch vom Zwang zur Lohnarbeit befreit wären, tatsächlich in der Lage, im Sinne des Gauckschen Freiheitsideals ihr Leben in eigener Verantwortung zu gestalten und auf der Grundlage einer solchen selbstverantwortlichen Gestaltung von Freiheitsmöglichkeiten auch Verantwortung für die Gestaltung des Gemeinwesens zu übernehmen, und zwar als eine der vielen Tätigkeiten, die in der pluralen Tätigkeitsgesellschaft möglich und auch gesellschaftlich anerkannt sind.

Grundlegender Wandel (Bild: Pixabay.com)

Das Grundlagenwerk des Bundespräsidenten
Freiheit: Ein Plädoyer

Fazit

An der Frage der Einführung eines garantierten Grundeinkommens wird sich erweisen – wie es der Unternehmer Götz Werner und der Wirtschaftswissenschaftler Benediktus Hardorp formuliert haben – ob ein Staatswesen ein obrigkeitsstaatliches Selbstverständnis hat oder ob es ihm ernst ist mit der geforderten Freiheit und Selbstverantwortung des Bürgers, ob ein Staatswesen also dem Bürger durch ein Grundeinkommen bürgergesellschaftliche Freiheit zugesteht, so dass eine wirklich freiheitliche Gesellschaftsordnung Realität wird. Die Schweizer haben hier übrigens eine Vorreiterrolle übernommen. So haben schon Monate vor Fristablauf mehr als 100.000 Bürger die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz unterzeichnet, so dass nun eine Volksabstimmung sicher ist. Der Ausgang wird sicherlich spannend.

Bildnachweis

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Autor seit 10 Jahren
161 Seiten
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