Der Mensch Jesus von Nazareth - Vom Menschen Jesus ist nicht mehr viel übriggeblieben

In 2000 Jahren Kirchengeschichte hat sich ein Jesusbild entwickelt, durch das nur noch sehr schemenhaft jener Mann hindurch scheint, auf den sich der christliche Glauben fokussiert: Jesus von Nazareth.

Die Evangelien interpretieren bereits

Als Grundlage für eine Skizzierung der Person Jesus von Nazareth dienten und dienen von jeher die vier Evangelien (Markus, Matthäus, Lukas und Johannes). Sie versuchen, den Lebens- und Leidensweg Jesu zum Heil der Menschen nachzuzeichnen. Allerdings verursachen schon diese neutestamentlichen "Urschriften" des Glaubens ganz automatisch eine Verzerrung des Jesusbildes, denn die Verfasser waren nicht unmittelbare Augenzeugen des Lebens Jesu, beziehungsweise schrieben ihre Erlebnisse mit ihm erst Jahrzehnte nach dem Tod Jesu nieder. Dabei stützten sie sich entweder auf eigene, bereits verschwommene Erinnerungen, Erzählungen anderer oder auf schriftliche Quellen, die sie ausfindig machten. Ganz egal aber, aus welchen Quellen sie schöpften, sämtliche Materialen waren bereits von Interpretationen beeinflusst, weil sie eben keine urteilsfreien Momentaufnahmen im Augenblick des jeweiligen Ereignisses waren, sondern im Rückblick gesprochene oder geschriebene Zeugnisse darstellten, welche bereits vom Glauben eingefärbt waren. Dieser Umstand lässt sich schon allein an der Tatsache ablesen, dass es große Unterschiede zwischen den vier Evangelien gibt.

Die neutestamentlichen Briefe sind Zeugnisse des Messias, nicht des Menschen Jesus

Eine weitere Quelle des Lebens und Wirkens Jesu sind die zahlreichen neutestamentlichen Briefe, die in der Heiligen Schrift zu finden sind, wobei es mehr Briefe gibt, als in die Bibel aufgenommen wurden. Diese Briefe richten sich in der Regel an bereits gegründete, christliche Gemeinden und dienen in erster Linie dazu, die Menschen in ihrem Glauben zu stärken, sie zu ermahnen oder zu loben. Natürlich werden zu diesem Zweck auch Begebenheiten aus dem Leben Jesu herangezogen. Allerdings muss gesagt werden, dass fast sämtliche Briefe lange nach dem Tod Jesu verfasst wurden und somit einer theologischen Einfärbung unterliegen, welche die historische Gestalt des Jesus von Nazareth überdecken.

Die so genannte Logienquelle als ältestes Zeugnis des Lebens Jesu

Neben den bereits erwähnten Schriften gibt es eine weitere, allerdings nicht mehr in Schriftform vorliegende, Quelle. Bereits vor der Niederschrift der Evangelien soll eine so genannte Logienquelle existiert haben, in der einzelnen Worte und Aussprüche Jesu zeitnah festgehalten wurden. Sie ist zwar verloren gegangen, einzelne Teile konnten von namhaften Exegeten aber aus den vier Evangelien herausgefiltert werden. Dadurch hilft sie zwar dabei, dem ureigensten Denken Jesu näherzukommen, nicht aber der historischen Person in ihrer Gesamtheit.

2000 Jahre Kirchengeschichte haben den historischen Jesus "übermalt"

In den vergangenen zwei Jahrtausenden hat die Kirche versucht, Jesus von Nazareth als Gottessohn und Erlöser der Menschen in den Herzen der Christen lebendig zu halten. Vor allem in den ersten vier Jahrhunderten kam es im Zuge eines zähen Ringens um die Stellung Jesu zu theologischen Auseinandersetzungen. Jedes Detail des Lebens und Wirkens Jesu wurde dabei einer Bewertung und theologischen Reflexion unterzogen. Um die historische Gestalt herum wurde ein ganzes Geflecht von Dogmen (Glaubenswahrheiten), Lehrmeinungen und theologischen Ansätzen errichtet, so dass der historische Jesus immer mehr unter einer dicker werdenden Schicht "Interpretationsfarbe" verschwand.

Fundierte Erkenntnisse über Jesus von Nazareth

Vielleicht ist es sinnvoll, zu fragen, was von diesem Mann wirklich nachgewiesener Weise bekannt ist. Dabei helfen erstaunlicherweise vor allem außerchristliche Quellen wie beispielsweise der römische Geschichtsschreiber Flavius Joseph, da sie wertfrei über ihn berichten. Gesichert wissen wir heute eigentlich nur die Eckdaten des Lebens Jesu. Es ist nachweisbar, dass zur Zeit des Kaisers Augustus ein Mann mit Namen Jeshua in Galiläa gelebt hat, der einen größer werdenden Einfluss auf die Menschen hatte und in irgendeiner Form positiv gewirkt hat. Weiter ist bekannt, dass dieser Mann auf Betreiben des damaligen Hohen Rates von Jerusalem vom damaligen Stadthalter Pontius Pilatus angeklagt, zum Tode verurteilt und am Kreuz hingerichtet wurde. Zudem berichten römische Chronisten, dass es nach dem Tod Jesu eine steigende Anzahl von Anhängern gab, die der Lehre des "Nazoräers" folgten. Dies geht auch aus einem Briefwechsel zwischen einem späteren Kaiser und seinem Stadthalter hervor. Alle anderen Details aus dem Leben Jesu sind spätere Interpretationen des Glaubens und letztlich nicht überprüfbar.

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