Ein Intellektueller mit Sehnsucht

Die Bühne (Claudia Kalinski) ist ein kleiner ovaler Parcours ohne Hindernisse. Über der Minimalmanege erhebt sich ein Holzgerüst, das unter anderem mit Pflanzen bestückt ist. An einer herunterbaumelnden Glühbirne werden im Laufe der Inszenierung verschiedene Lampenschirme aufgehängt, die exotische, chinesische und teutonische Motive transportieren. Der Häuptling und Ober-Guru des Patchwork-Clans ist Günther (Harald Baumgartner), der, eine Mischung aus Buddha und mittelalterlichem Ikonoklast, wohl schon seine makrobiotische Meditationsphase durchlaufen hat, aber immer noch den exotischen Elementen des Lebens verpflichtet ist. Ein Intellektueller mit der Sehnsucht nach fremden, vornehmlich asiatischen Kulturen, einer, der mit analytischer Schärfe alles durchleuchten möchte. Dass etwas ungesagt bleibt, und sei es noch so belanglos, gibt es nicht. Wer nicht über alles sprechen möchte, verweigert sich der Gemeinschaft, wird jedoch nicht als Renegat behandelt. Schließlich wäre es schlimm, wenn etwas ungesagt bliebe.

 

Die Tochter mit nonverbaler Anti-Haltung

Janne (Jannek Petri) ist im Selbstoptimierungsprozess steckengeblieben. Nach gescheiterten beruflichen Anfängen betreibt er seit zwei Jahren eine Firma, die anderen Firmen zum Start-up verhilft. Seine Ex-Freundin Katja (Franziska Machens) ärgert sich nachträglich über seinen schnellen Sex, der anscheinend überfallartig geschah nach Art eines Blitzkrieg-Sexes. Zerbrechlich ist Katja gewiss nicht, sie ist auch keine Frau mit besonders ausgeprägtem Zartgefühl, das zeigt sie im Umgang mit der Tochter River, die permanent widerborstig reagiert und eine nonverbale Anti-Haltung an den Tag legt. River (eher ein Name für Hunde und Katzen) ist nicht unbedingt eine Reproduktion der Mängel der Erzeuger. Unausgesetzt wird River von einem Protestverhalten angetrieben, sie sticht in einen Stoff-Oktobus und ist ein Störfaktor, der letztlich vor dem Patchwork-Unternehmen flüchtet. Die überforderte Katja kann ihre kleineren Brüll-Orgien einstellen.

 

Die Niederungen der Kultur

Kurios und klamaukig-absurd wird es, als der Japaner Takeshi (Thomas Schumacher), der verheiratete Liebhaber von Günther, auftaucht. Takeshi ist auf der Suche nach der deutschen Kultur, bewegt sich aber in den Niederungen der Unter-Kultur, die für die eigenwillige Familie keine Kultur ist, eher zu den provinziellen und überregionalen Volkseigentümlichkeiten gehört, etwa Fasching und bayrisches Oktoberfest. Intervallartige Rauschzustände als Ausbruch aus dem Alltag, um ein kleines Stück Ekstase mitzunehmen, damit es dann im Hyper-Gewöhnlichen umso besser läuft. Ein privates Oktoberfest mit Lederhosen wird spontan initiiert, mitsamt Bierkrügen und (Narren-)Kappen. Was will die Autorin Kricheldorf damit zum Ausdruck bringen? Die billige Flucht ins Außer-sich-Sein durch das Verschmelzen mit der Gemeinschaft? Ein partielles Eintauchen ins Wir, das sofort vom Individualitätswunsch abgelöst wird? Ein endloses Wechselspiel. Angesichts der von den Machthabern beabsichtigten Einebnungsoffensive und Niederhaltung der Heterogenität ist das Verlangen nach Ekstase sehr verständlich. Die Autorin liefert leider nur eine halbgare Interpretation. Eine durchschnittliche Leistung mit einigen amüsanten Passagen.

Alltag und Ekstase. Ein Sittenbild (Uraufführung)
Von Rebekka Kricheldorf
Regie: Daniela Löffner, Bühne: Claudia Kalinski, Kostüme: Sabin Thoss, Dramaturgie: Ulrich Beck.
Mit: Franziska Machens, Judith Hofmann, Jannek Petri, Harald Baumgartner, Thomas Schumacher, Nermina Jovanovic/Zoë Seelig.

Deutsches Theater Berlin

Uraufführung vom 17. Januar 2014
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

Bildnachweis: © Steffen Kassel

 

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