Emília Vášáryová

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Eine Richterin, deren Herz immer noch links schlägt

Die Inszenierung spielt auf mehreren Zeitebenen. Sie setzt ein in der Gegenwart, Natalia (Emília Vášáryová), mittlerweile im Westen angekommen, ist Pflegerin von der Ex-Richterin Lara (Gabriele Heinz), die wegen ihres lukrativen Jobs ihre linke Weltanschauung abgelegt hat, aber ihr in sentimentaler Romantik immer noch ein wenig nachhängt. Das Bühnenbild besteht aus einem Bett, in dem die mit Stirnband ausgestattete Lara lagert, und einer Badewanne. Beide Frauen sind aufeinander angewiesen: Lara in ihrer muffigen, kauzigen Chefrolle benötigt aufgrund ihrer Gebrechen medizinische Unterstützung und Natalia braucht schlicht und einfach eine Einnahmequelle, zumal die Anwaltskosten für ihren Sohn eine Menge Geld verschlingen. Der Filius mag es gerne kraftvoll, in einer Aufwallung von Raserei hat er einen Jungen ins Koma geprügelt. Gabriele Heinz bekommt kaum noch größere Rollen zugeschanzt und zeigt nun, was noch an unausgespielten Möglichkeiten in ihr steckt. Sie zapft ihr Bühnenreservoir an und spielt ihre Lara spleenig, aufmüpfig, unkonventionell, als befinde sie sich noch immer in der Protestbewegung. Worin liegen denn die Vorteile des Kapitalismus? Man hat eine große Auswahl und kann sich ein Glas Nutella kaufen. Und Emília Vášáryová schlüpft ganz in die Rolle ihrer Figur und fügt sich in Bescheidenheit, ohne aufzubegehren. Früher, da hatte Natalia nur einen Wunsch: Weg vom Sozialismus, nach Westen, so schnell wie möglich nach Westen.

 

Im Osten verschwanden viele Menschen

Die Regisseurin Bartkowiak hat offensichtlich ein Faible für filmisches Erzählen. Immer wieder werden Rückblenden eingebaut in Gestalt von Dušan Jamrich, der, hinterm Vorhang stehend, plötzlich hervortritt und von der sozialistischen Tschechoslowakei berichtet: In den 70er- und 80er-Jahren verschwanden viele Menschen im Osten...Mit diesem Satz setzt er drei- oder viermal an, und dieses Leitmotiv ist nicht etwa ermüdend oder gar nervig – es forciert, ganz im Gegenteil, die Inszenierung. Musste David noch anfangs Seditiva in die Getränke von fragwürdigen Kombattanten mischen, so war er später von der "Drecksarbeit" befreit und erhielt einen hohen Posten in Moskau. Und seine Gattin erblühte dadurch zu einer der musikalischen Zentralgestalten des Sozialismus. Heute ist sie das verkörperte Sedativ von der ressentimentgeladenen Natalia, die sich gegen ihr unwürdiges Schicksal auflehnt, mit Wurzeln in ihrem vertrockneten Herz, die sich nicht mehr herausreißen lassen: Der Aufbruch der damaligen Westlinke. Die Begegnungen mit ihrem Enkel Mika (Eric Wehlan) sind ein Absturz in den kruden Alltag, eine einzige Profanierung ihrer rückwärtsgewandten Sehnsucht. Sie ist stolz auf ihre damaligen Fahrkünste, er indes erinnert sich daran, dass er ständig ihr Auto vollgekotzt hat. Mika erweckt den Eindruck grenzenloser Naivität, als sei er die Reproduktion dessen, der in einem geistigen Vorstadium steckengeblieben ist. Zum Glück erscheint Laras Tochter nicht in natura, denn der Sohn scheint nicht mehr zu sein als die Fortführung der Borniertheit der Erzeugerin. Der Schluss ist etwas für Wüstenästhetiker: Im Hintergrund taucht ein Bild einer Wüstenlandschaft auf, in der ein kleiner Weg ins Nichts führt. Ein Weg, der irgendwann abbricht, ein Van-Gogh-Motiv. Dorthin wollen die beiden Krankenzimmerakteure aufbrechen, ins Land der ersten Dinge. Hoffentlich mündet die Utopie nicht in eine Dystopie. Ein anregender Abend mit großen Schauspielerleistungen.

Land der ersten Dinge / Bludičky
von Nino Haratischwili
Regie: Brit Bartkowiak, Bühne: Nikolaus Frinke, Kostüme: Karin Rosemann, Musik: Thies Mynther, Dramaturgie: Ulrich Beck, Miriam Kičiňová, Peter Pavlac,

Mit: Dušan Jamrich, Gabriele Heinz, Emília Vášáryová, Eric Wehlan.

Deutsches Theater Berlin, Box

Uraufführung: 14. November 2014
Dauer: 90 Minuten, keine Pause

 

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