Der kapitalistische Hochbetrieb

Corinna Harfouch

© Roger Weil/Wikimedia

 

Corinna Harfouch als Wassa agiert wie eine von Smartheit angekränkelte Despotin, die immer Herr bzw. Dame der Lage sein möchte. Der in Agonie liegende Gatte kommt als Familienoberhaupt nicht mehr in Betracht, also spielt sie halb notgedrungen, halb leidenschaftlich eine familiäre Katharina die Große im Kleinformat, die zum einen mit geringen Mitteln an Eloquenz das Geld zusammenhält und zum anderen die Domestizierung der aufbegehrenden Fohlen bewältigen muss. Die Sprösslinge aber, begierig auf das Erbe, sind ein einziges Desaster: Pawel (Alexander Khuon) erweckt den Eindruck, als habe man ihn unter Schmerzen mit der Geburtszange aus dem Mutterleib herausgezogen und als sei er nur unter Protest am Leben. Unter Dauersuff stehend, hängt er aus regressiv-infantilen Gründen noch an der Mama, doch andererseits strebt er nach unbändiger Unabhängigkeit.

 

Wassa hat nur eine Verbündete

Und dann Christoph Franken als Sohn Semjon... Anscheinend kapriziert sich der Meat Loaf des deutschen Theaters nur noch auf komische bis clowneske Nummern. Wahrscheinlicher ist, dass er stets bei solchen Rollen eingesetzt wird, worin er nach Ansicht der Regisseure vermutlich den Gipfel seiner theatralen Ingeniosität erreicht. Auftretend in leichten Sommerschuhen, die eine Mischung aus Badeschlappen und Jesuslatschen sind, also in sogenannten Zehenstegsandalen, erobert er in einem weißen Frottee-Bademantel die Bühne, wo er zwischen Lachnummer und familiärem Frontkämpfer hin- und herpendelt. Mit raubtierhafter Gefräßigkeit macht er sich über eine Suppe her, bis man ihm Einhalt gebietet. Am Ende wirft er seiner Mama Wassa Küsschen zu, die sie vehement ablehnt. Diese bizarre Figur ist in dieser Inszenierung nichts anderes als eine Ausgeburt des dekadenten Kapitalismus. Und die Schwester Anna (Franziska Machens) ist die einzige wahre Verbündete von Wassa, sie denkt genauso strategisch und ist geldfixiert, aber leider hat sie ihre Gefühle im Kühlschrank gelassen. Sie steht da mit verschränkten Armen und lauert: Das ist symptomatisch für eine emotional neutrale Frau, die ihren Charme für Seltenheitsgelegenheiten aufspart.

 

Eine rein häusliche Geschichte ohne Diplomatie

Plakat der Aufführung

 

Die Atmosphäre des Bühnenbilds (Katja Haß) erinnert stark an Kimmigs "Kinder der Sonne", eine Inszenierung, deren Erfolg er gern wiederholen wollte. Metallisch funkelnde Stangen wachsen in die Höhe wie Stalagnaten in einer Höhle, rechts steht eine Art Miniküche oder Getränke-Zubereitungstisch, im Hintergrund zwei Garderobenständer und sogar ein Bett zur Regenerierung. Umgezogen wird viel, man mag vor allem die häusliche Kluft, mitsamt hässlicher weißer Unterwäsche, Pullis und Jogging-Hose. Das ist auch schon das Problem der Inszenierung: Es ist eine bürgerlich-dekadente, rein häusliche Veranstaltung, ohne jegliche politische Relevanz. Warum hat Kimmig nicht die zweite Version von 1935 genommen? Wahrscheinlich hat ihn daran die plakative Gegenüberstellung von Kapitalismus und Sozialismus gestört. Kimmig verharrt bei einem abgründigen kapitalistischen Mikrokosmos, in dem Familienmitglieder durch eine Medikamentenüberdosis beseitigt werden sollen: Medecin Man's Overdose. Der Regisseur unternimmt eine weitere Wallfahrt zum Familiendiplom, ohne übergreifende Horizonte in Angriff zu nehmen. Der Rückzug ins Private ist wieder einmal perfekt, man möchte ja kein Wagnis eingehen. Übrig bleibt ein reines Schauspieler-Theater ohne Neuerungsschub. Trotz der danebengegangenen Inszenierung ist es ein Vergnügen, den Schauspielern zuzusehen, allen voran Corinna Harfouch und Alexander Khuon.

Wassa Schelesnowa
von Maxim Gorki
Fassung von Sonja Anders

Regie: Stephan Kimmig, Dramaturgie: Sonja Anders Bühne: Katja Haß, Kostüme: Anja Rabes, Musik: Michael Verhovec.
Mit: Franziska Machens, Christoph Franken, Alexander Khuon, Corinna Harfouch, Lisa Hrdina, Bernd Stempel, Katharina Marie Schubert, Michael Goldberg, Marcel Kohler.

Deutsches Theater Berlin

Premiere vom 16. Mai 2014

Dauer: 105 Minuten, keine Pause

 

 

Laden ...
Fehler!