Ein Leben im Schmerz

Katharina Marie Schubert als Elektra befindet sich in einem Jammertal, sie ist ein Bündel des Leidens, das niemals versiegt. Eine abgestürzte Primadonna im Hosenanzug, die nur noch im Schmerz lebt, als sei der noch die einzig mögliche Existenzform, bei der sie bei sich selbst ist. Geknechtet im eigenen Haus ob ihrer nervigen Dauerklagen, riskiert sie eine Verbannung an einen Ort, wo keine Sonnenstrahlen mehr hingelangen. Außerstande, taktische Manöver zu initiieren oder raffinierte Pläne zum Umsturz zu schmieden, brüllt sie beharrlich ihren Hass heraus, als sei mit den Worten schon die halbe Tat erfolgt. Rund um Elektra geht es wesentlich schmalziger zu, ihre sich ins Schicksal fügende Schwester (Tabea Bettin), ein Ausbund des Mitläufertums, darf dank ihrem Anpassungsvermögen ein Luxusleben führen. Glamour und charismatische Blässe. Einsicht und Vernunft obsiegen, aber leider auch die Farblosigkeit: Diese Figur, eine Verkörperung des behaglichen Sichtreibenlassens, verströmt Langeweile pur.

 

Neubeginn mit Blutspur

Was veranlasste Sophokles – und in seinem Gefolge Pucher – zu diesem endlosen herausgeschrienen Geheul? Vermutlich wollte der Autor beim Zuschauer so etwas wie Empathie und Verständnis für Elektra aufkommen lassen und sie als unschuldige Schuldige darstellen. Eine aufgebauschte Dramatisierung der Sachlage: Ihr Schmerz sitzt so tief, dass die Ermordung von Mutter und Liebhaber als konsequente Lösung, ja als Erlösung erscheint. Die Nemesis fordert ihr Recht und Elektra erscheint befreit, doch der vermeintliche Neubeginn ist von einer nicht auszutilgenden Blutspur überzogen. Das Fatale an dieser Inszenierung ist allerdings, dass sie die intendierte Dramatisierung zunichte macht. Pucher kann abermals dem Drang nicht widerstehen, durch permanente Gesänge, Musikeinlagen und das Bühneninterieur ein Werk unnötig zu verpoppen, nur um populistischen und kommerziellen Ansprüchen zu genügen. Mir verlangt auch nach dem Seichten und Zugänglichen, mag er sich wohl gedacht haben.

 

Klytaimestra ist emotional hin- und hergerissen

Der Kern des Stückes wird quasi eingeschmolzen und mit einer Glamourhülle überzogen. Susanne Wolff als Klytaimestra spielt ihren Part noch recht souverän, sie tritt auf mit hoch toupiertem Haar, mit einer Beehive-Frisur, die an das Aussehen der B-52-Bomber der US-Luftwaffe erinnert. Als sie von Orestes angeblichem Tod bei einem Wagenrennen in Delphi erfährt, ist sie zunächst verblüfft und emotional hin- und hergerissen. Der innere Freudentaumel erfolgt erst hinterher, als sie sich darüber im Klaren ist, dass eine ständig lauernde Gefahr weggespült wurde. Als Orestes (Felix Goeser) endlich erscheint, wähnt man einen abgewrackten Rockmusiker vor sich zu haben, einen Ober-Guru der kognitiv Unterbelichteten. Immerhin kann sich der schlaff Wirkende zum Doppelmord aufraffen, und beim Auslöschen von Klytaimestra sind martialische Schlachtbilder auf der Leinwand zu sehen. Und Aigisthos (Andreas Döhler) kommt daher wie ein uneitler Dorfbürgermeister, der rein kleidungstechnisch einen Modeberater benötigt. Übrigens tragen fast alle Frauen kegelförmige Röcke, die am Saum mit einem schlabbrigen Pelzbesatz versehen sind. Dies ist eine Inszenierung, die flugs an einem vorbeirauscht. Schade, aus diesem Stoff hätte man wesentlich mehr herausholen können. Ein verschenkter Abend.

Elektra
von Sophokles
Deutsch von Peter Krumme


Regie: Stefan Pucher, Bühne: Barbara Ehnes, Kostüme: Annabelle Witt, Musik: Christopher Uhe, Video: Chris Kondek, Licht: Matthias Vogel, Ton: Matthias Lunow, Dramaturgie: Claus Caesar.


Mit: Susanne Wolff, Felix Goeser, Katharina Marie Schubert, Michael Schweighöfer, Anita Vulesica, Tabea Bettin, Andreas Döhler; Musiker: Michael Mühlhaus, Masha Qrella; Video: Damian Fink, Karolin Wiegers.

Deutsches Theater Berlin

Premiere vom 22.November 2013

Dauer: ca. 90 Minuten, keine Pause

Bild 1: © Steffen Kassel

Bild 2: Orestes, Elektra und Hermes © Wikimedia

 

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