Die Strecke ist perfekt vorbereitet. Die Stationen sind besetzt. Der Weg mit Teelichtern markiert. Die Dämmerung setzt ein. Nur die Kinder lassen auf sich warten. Aus irgendwelchen Gründen haben sie fast zwei Stunden Verspätung. An Station 1 hockt eine Person mitten in einem Maisfeld, um dort mit einem Blech Donnergeräusche zu machen. Station 2 ist unbemannt, hier sollen etwas abseits des Weges in einem Schuhkarton selbstgebastelte Spinnen ertastet werden. Auf dem Weg dorthin sind natürlich noch einige Hindernisse wie Skelette und diverse Fäden aufgehängt. Station drei ist von zwei Teenagern besetzt, die die Kinder in einer furchterregenden Verkleidung erschrecken wollen. An Station 4 gibt es nur eine Aufgabe zu lösen, deren Ergebnis die weitere Wegführung festlegt. Das Finale wartet an Station 5, an der eine Person im Dickicht lauert. An einem Seil sollen sich die Kinder einzeln in eine düstere Ecke vorarbeiten und dort Fragen beantworten. So weit so gut. Aber dann kommt niemand.

die Außerirdischen sind gelandet

Die Macht der Gedanken

Die Dämmerung verwandelt sich langsam in Finsternis. Und den Posten wird immer mulmiger. Beinahe im Minutenrhythmus verständigen sich die Stationen per Handy. Merkwürdigerweise finden alle Gespräche im Flüsterton statt. Mit den Betreuern der Kinder ist vereinbart, dass sie die Stationen anklingeln, bevor sie eintreffen. Nichts geschieht. Die Ohren der Versteckten nehmen jedes Geräusch auf. Was tun, wenn jetzt ein Wildschwein auftaucht? Ob es hier auch Schlangen gibt? Und dieses ständige Mückengesurre. So viel kann man sich ja gar nicht einsprühen. Im Bauch kribbelt es. Die Atmung wird ganz leise. Ja kein Geräusch machen, es könnte jemand hören, dass du hier im Busch sitzt. Eine Blähung bahnt sich seinen Weg. Du unterdrückst sie. Wovor hast du eigentlich Angst? Was, wenn jetzt jemand vorbei kommt? Aber wo soll denn hier in der Einöde jemand vorbei kommen? Außerdem bist du hier gut getarnt. Hoffentlich sitzt hier kein Jäger und schießt auf dich. Wieso ist jetzt alles so furchteinflößend hier? Vor einer Stunde sah doch alles noch ganz anders aus! Du wirst immer unruhiger, läufst vor zum Abzweig. Die Teelichter flackern alle entlang des Weges. Wer hat eigentlich die Lichter hier aufgestellt und die Atmosphäre noch unheimlicher gemacht? War da vorn nicht eine Bewegung? Hinter dir raschelt es schon wieder. Ach was, du gehst jetzt einfach zu Posten 3. Wenn die Betreuer sich melden, kannst du immer noch auf deinen Posten zurück. Schon beim ersten Schritt in Richtung Station 3 fühlst du dich sicherer. Deine Schritte werden trotzdem immer schneller, dein Herzschlag auch. Nur noch ein paar Schritte und dann siehst du Posten 1 an Station 3 stehen und musst schmunzeln. Das Flüstern geht weiter. Alle empfinden genauso wie du. Keiner konnte es mehr allein aushalten. Immer noch passiert nichts. Schon macht ihr euch Gedanken, ob die Teelichter überhaupt so lange aushalten.

Der Himmel ist schwarz

Im Dunkeln wird die Zeit länger

Aber dann geschieht doch etwas. Scheinwerfer nähern sich. Und das auf einem Radweg, auf dem normalerweise kein Auto etwas zu suchen hat. Die Scheinwerfer bleiben stehen. Der Herzschlag nimmt wieder zu. Wer kann das sein? Gebannt schauen alle Augen in die Scheinwerfer. Da - jetzt kommen sie näher. Direkt auf uns zu! Los verstecken! Alle springen gleichzeitig fernab des Radweges in ein Gebüsch. Die Lichtkegel reichen weit in den angrenzenden Wald hinein. Hoffentlich sieht man uns nicht. Die Köpfe gehen nach unten. Wenn wir niemanden sehen, sieht man uns auch nicht. Jetzt ist es vorbei. Die Köpfe gehen wieder hoch. Aber was ist das? Der Fahrtwind des Autos bläst nacheinander alle Teelichter aus. Wie sollen die Kinder denn jetzt den Weg finden? Wo ist bloß das Feuerzeug? Panik bricht aus. Wer zündet die Lichter jetzt auf die Schnelle wieder an? Die Kinder müssen jeden Moment kommen. Da klingelt auch schon das Handy. Wir sind in 10 Minuten da. Oh Gott, wie sollen wir das schaffen. Gemeinsam gehen Posten 1 und 5 zur ersten Station. Von dort aus müssen alle Lichter wieder angezündet werden. Wo ist denn bloß die Taschenlampe? Eben war sie doch noch da! Die Kinder sind schon zu hören. Muss Posten 5 jetzt wirklich wieder allein in die dunkle Ecke? Was ist, wenn sich dort inzwischen jemand versteckt hat? Mist. Da muss ich jetzt durch. Es sind ja bloß noch 10 Minuten. Und wenn ich mich gut verstecke, weiß ja auch keiner wo ich bin. Aber Tiere haben doch eine gute Nase. Wenn mich ein Wolf wittert!? Am besten gar nicht atmen und bewegen. Die 10 Minuten werde ich schon aushalten. Wie lang sind eigentlich 10 Minuten? Nach einer halben Stunde kann ich sie endlich hören. Menschliche nervige Kinderstimmen vermitteln mir ein Gefühl der Geborgenheit. Gleich bin ich nicht mehr allein.

Was macht die Nacht so unheimlich

Die Nacht ist dunkel, das ist das ganze Geheimnis. Und hier geraten die Sinnesorgane, die dem Mensch normalerweise tagsüber am meisten nützen in eine völlig andere Konstellation. Die Optik ist nahezu völlig ausgeschaltet oder vermittelt uns die bizarrsten Formen unserer Umgebung.  Wenn man sich dann noch auf unbekanntem Terrain befindet, ist ein unheimliches Gefühl schon vorprogrammiert. Hinzu kommt, dass  das Gehör in der Dunkelheit eine Meisterleistung vollbringt. Da es sich nicht mit den lauten Geräuschen des Tages zu belasten braucht, nimmt es solche Feinheiten wie das Rascheln von Blättern, das Knacken von Zweigen oder unbekannte Tierstimmen wahr. Alles zusammen bringt dann unsere Sinnesorgane dermaßen durcheinander, dass wir uns unsicher und ängstlich fühlen. Schon der alleinige Gang in den Wald bei Tageslicht löst in vielen Menschen ein mulmiges Gefühl aus. Umso stärker sind dann die Empfindungen bei Nacht. Die Unsicherheit scheint auch die menschlichen Urinstinkte zu wecken und lässt uns in ständiger Fluchtbereitschaft verharren. Die Posten der Nachtwanderung hätten sich wohl kaum am Tage vor dem vorbeifahrenden Auto versteckt. Der Wald, der in der Nacht nicht nur besonders schwarz wahrgenommen wird, sondern auch die merkwürdigsten Geräusche hervorbringt ist dabei noch eine besondere Herausforderung. Hier fühlt man sich allein völlig hilflos und ist seinen Gedanken, die nicht selten medienbeeinflusste Katastrophen suggerieren, ausgeliefert. Das geht über Visionen von Werwölfen oder Vampiren bis hin zu Schauergeschichten über verirrte Menschen. Ganz so abwegig ist die Urangst nicht, denn viele Untaten, Morde und Verbrechen finden nun einmal im Schutz der Nacht statt.

Kinder kennen keine Gespenster

Bei Vorschulkindern ist es tatsächlich so, dass sie sich von Gruselgeschichten beeinflussen lassen und daraus auch Ängste entwickeln. Grundschulkinder haben dagegen längst die Erkenntnis erlangt, dass hinter Gespenstern oder anderen gruseligen Verkleidungen immer ein normaler Mensch steckt. So kommt es  nicht selten vor, dass sie gerade bei Nachtwanderungen die unmittelbare Konfrontation suchen und damit dem "Gespenst" die ganze Freude am Spuken verderben. Sie zeigen keinerlei Respekt vor dem ungewöhnlichen und dafür gibt es zwei entscheidende Gründe. Zum einen sind sie meist in einer betreuten Gruppe unterwegs, wodurch sie sich auch in völliger Dunkelheit sicher und geborgen fühlen. Zum anderen haben sie noch weniger Medienerfahrung als die Erwachsenen und malen sich nicht die phantasievollsten Horrorgeschichten aus. Aber über eines können sich die Gespenster sicher sein. Auch wenn die Kinder zu keinem Zeitpunkt den Eindruck erweckten, sich zu fürchten: Sie werden noch lange über diese Nachterfahrung reden.

Autor seit 12 Jahren
99 Seiten
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