Der spirituelle Ort der Teezeremonie

Was wir als Teezeremonie bezeichnen, heißt im Japanischen Chadô, der Tee-Weg. Der Name deutet schon darauf hin, dass es sich bei dieser "Zeremonie" nicht um ein leeres Ritual handelt, sondern um einen Teil der Lebenskunst. Der Tee-Weg erfordert eine bestimmte geistige Haltung, die mit der japanischen Ausprägung des Buddhismus, dem Zen, verbunden ist. Wie alle Wege hat auch dieser ein Ziel, dasselbe Ziel wie alle Zen-Künste und der Zen-Buddhismus selbst: das Erfahren des Einsseins des Einzelnen mit allem, das Erfahren des Nichts oder der Leere, im Japanischen Satori genannt, im Deutschen Erleuchtung. Zugleich ist aber auch der Weg selbst das Ziel, denn zu den Eigenheiten des Satori, des "eigentlichen" Ziels, gehört es, dass es sich dem allzu zielstrebigen Zugriff entzieht. Der Weg als solcher darf folglich nicht vernachlässigt werden.

Bezogen auf die Teezeremonie bedeutet das, dass jeder Kleinigkeit dabei volle Aufmerksamkeit gebührt. Der Gast soll seine Alltagssorgen an der Schwelle zum Teehaus ablegen, er soll nur in der Gegenwart leben, sich nur mit den unmittelbar notwendigen Dingen beschäftigen: dem Tee, dem heißen Wasser, dem Teegerät, dem Genuss des Tees. Der ritualisierte Ablauf kommt dieser Konzentration aufs Wesentliche entgegen.

A maiko of Miyagawachou preparing tea

A maiko of Miyagawachou preparing tea (Bild: By renfield kuroda http://www.flickr.com/people/re)

Eine hermetische Tradition

Für den Durchschnittsbürger in Europa ist die Nachahmung der traditionellen japanischen Teezeremonie kaum möglich, da schon die äußeren Voraussetzungen fehlen. Denn mit der Abgeschiedenheit des Geistes von allem Alltäglichen geht die räumliche Abgeschiedenheit einher: Die Teezeremonie wird in einem speziellen Teehaus inmitten eines japanischen Gartens zelebriert, weitab vom Lärm der Zivilisation. Die Einrichtung eines solchen Teehauses beschränkt sich aufs Nötigste: Matten auf dem Boden, eine Feuerstelle, Wasserkessel und Teeschalen, Teedose und Teelöffel, ein kleiner Besen aus Bambus zum Schlagen des Tees, ein Tuch zum Reinigen der Schalen. Dazu die Tokonoma, eine Nische, in der meist ein Blumengesteck aufgestellt, vielleicht auch ein Rollbild aufgehängt wird. Das ist schon alles.

Über den Luxus eines so schlicht eingerichteten Raumes verfügen die wenigsten Europäer, ebenso wenig über einen abgelegenen und weitgehend naturbelassenen Garten.

Ritual und Freiheit der Gedanken

Der Ablauf des Teebereitens und -trinkens ist bis in die kleinste Geste festgelegt. Bis ein Teemeister die ritualisierte Handlung perfekt beherrscht, vergehen Jahre. Auch die Gesprächsthemen der Gäste sind vorgegeben: Man bewundert das kostbare Teegerät, bemerkt vielleicht die kunstvolle Anordnung des Ikebana-Gestecks in der Bildnische, lässt eine Bemerkung über die sich färbenden Blätter im Herbst oder die ersten Blüten im Frühling fallen. Geschäftliches und Familiensorgen sind tabu. Nur das Ewige zählt.

Es gibt verschiedene Schulen des Chadô. In einigen trinkt jeder Gast nacheinander aus derselben Schale. In anderen erhält zwar jede Person ein eigenes Trinkgefäß; nach der ersten Runde werden die Schalen jedoch gereinigt und ausgetauscht, so dass nun jeder Gast eine andere erhält. Der Sinn ist immer derselbe: Das Individuelle ist unwichtig, betont werden soll die Einheit des Einzelnen mit allem.

Beim Gedanken an einen so strengen Ablauf wird sich kaum jemand eine gemütliche Zusammenkunft vorstellen können. Welch ein Zwang, welch ständige Angst, bloß keinen Fehler zu begehen! Und doch sind alle Vorkehrungen darauf gerichtet, dass der Gast sich wohlfühlen und mit dem Bewusstsein nach Hause gehen soll, dass sein Leben eine Bereicherung erfahren hat. Denn

eine Teezeremonie, die nicht das Herz des Gastes erreicht, ist unverzeihlich.

Takeno Jôô, Meister des Tee-Weges

Zum Weiterlesen

Der im Westen bekannteste Klassiker über die Teezeremonie ist Das Buch vom Tee von Kakuzo Okakura. Neben Details über Atmosphäre, Einrichtung und Teegerät erfährt man darin auch viel über die philosophischen Hintergründe des Rituals.

Wer es etwas systematischer und wissenschaftlicher mag, liest vielleicht eher Zen in der Kunst des Tee-Weges von Horst Hammitzsch. Auch der Wikipedia-Artikel ist sehr informativ und lesenswert. Dort findet man noch weitere Literaturtipps.

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