7% mehr als "Fast drei Prozent"

Weit vor der FDP

An der "Piratenpartei" gibt es zumindest derzeit kein Vorbeikommen. Noch vor wenigen Monaten wurde sie von den etablierten Parteien kaum beachtet und allenfalls als Kuriosität bestaunt. Doch die Berliner Wahlen vom 18. September 2011 katapultierten die "Piraten" mitten ins Zentrum des medialen Interesses. Spätestens nachdem sie aus dem Stand heraus fast 9 Prozent der gültigen Stimmen erreicht hatten, konnten sie von den Medien, aber auch den Großparteien nicht mehr ignoriert werden. Während die "Piraten" von ihrem eigenen Erfolg überrascht sein dürften, schlittert die FDP von einem Wahldebakel zum nächsten. Bei einer vom "Stern" und RTL Ende Oktober 2011 in Auftrag gegebenen Umfrage, kämen die "Piraten" auf etwa zehn Prozent. Im Gegensatz hierzu machte die FDP einem alten Witz alle Ehre: FDP, ein Akronym für "Fast drei Prozent".

Das Programm der "Piratenpartei"

Krächz! Polly will mehr Staat! Krächz!

Die ehemaligen Liberalen scheinen unten durch zu sein. Bietet sich somit die "Piratenpartei" als Alternative zu den überwiegend links ausgerichteten Positionen der Großparteien an? Ein Blick ins Parteiprogramm der "Piratenpartei" schafft Klarheit.

Die Schwerpunkte dieses Parteiprogramms bilden Fragen rund um Urheberrechte und Netzpolitik, was an dieser Stelle nicht besprochen werden soll. Die Probleme des Artikelautors mit den "Piraten" beginnt an dieser sich offensichtlich widersprechenden Stelle, wonach:

[...]die Gemeinschaft einzelne Mitbürger nicht bevormunden darf.

was ein höchst erstrebenswertes Axiom darstellt, welches hierdurch wiederum ins Gegenteil verkehrt wird:

Im Gegensatz zu Bevormundung ist es die Aufgabe des Staates, die Grundrechte des Einzelnen zu achten und zu wahren und ihn vor Grundrechtseinschränkungen, auch gegenüber der Mehrheit, zu schützen.

Der Staat kann keine Rechte schützen, nachdem er auf der Missachtung und bewussten Verletzung der Rechte "seiner Bürger" errichtet wurde. Prinzipiell entspricht die Vorstellung des "Übervaters Staat", der den Untertanen beschützt, dem Selbstverständnis quer durch die Parteienlandschaft.

Auch nachfolgender Punkt aus dem Parteiprogramm vermag nicht zu überraschen:

Generell sind ein zunehmender Abbau von Monopolen und eine Öffnung der Märkte erklärtes politisches Ziel unserer Partei.

Freilich: Dass der Staat selbst eine Monopolstellung inne hält, wird wie üblich ausgeklammert. Dafür werden Positionen vertreten, die sich kaum von konventionellen linken Phantasien des gerechten Staates unterscheiden, wie etwa an dieser Stelle:

Bei der Reservierung und Vergabe von Frequenzbereichen muss der gesellschaftliche Nutzen ihrer Verwendung und die Bereitstellung eines Zugangs für alle Interessierten Vorrang vor monetären Interessen haben.

Der Glaube an die Selbstlosigkeit von Staatsdienern, die das "Allgemeinwohl" (einer der wohl unseligsten Mythen überhaupt!) im Auge haben und geradezu gottgleich für Gerechtigkeit sorgen, mag nur auf den ersten Blick naiv erscheinen. Tatsächlich ist er fest in der schieren Existenz jeglicher Partei, ob "rechts" oder "links" verankert. Unmissverständlich heißt es weiter:

Um wirtschaftliche Hindernisse am Zugang zur digitalen Kommunikation auszuräumen, ist jedem Mitglied der Gesellschaft eindeutig das Recht zur Teilhabe zuzusprechen. Für alle, die nicht die finanziellen Mittel haben, um die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, müssen die sozialen Sicherungssysteme den Erwerb und Betrieb der notwendigen Technik ermöglichen.

Für den Artikelautor stellt sich die Frage: Warum an dieser Stelle haltmachen? Besitzt nicht jedes Mitglied der Gesellschaft auch das Recht am Zugang zum Personenverkehr? Sollte deshalb der Staat nicht jedem Erwachsenen ein Auto zur Verfügung stellen, der nicht über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt? Und falls nein: Worin liegt der grundlegende Unterschied zwischen dem Recht an digitaler Kommunikation und dem Recht auf Mobilität? Schließlich gibt es doch auch ein Anrecht auf kostenlose Bildung:

Der freie Zugang zu Bildungseinrichtungen ist im Interesse aller. Deshalb ist es Aufgabe der gesamten Gesellschaft, in Form des Staates, eine leistungsfähige und ihrem Zwecke angemessene Bildungsinfrastruktur zu finanzieren und frei zur Verfügung zu stellen.

Ein besonderes Bonmot liefert dieser Allgemeinplatz:

Investitionen in Bildung sind Investitionen in die Zukunft.

Mit dieser rhetorischen Nebelgranate wurde und wird eifrig Schindluder getrieben. Jede neue errichtete Straße stellt eine solche Investition in die Zukunft dar - unabhängig davon, ob sie tatsächlich benutzt wird oder nicht. Der Bildungsbereich liefert ein typisches Beispiel für das Versagen des Staates ab. Laut einer Studie der Universität Hamburg leben in Deutschland 7,5 Millionen Analphabeten - eine Zahl, die selbst Bundesbildungsministerin Schavan nicht anzweifelt. Man lasse sich dies auf der Zunge zergehen: Nach mindestens neun absolvierten Schuljahren verlassen Millionen Menschen als Analphabeten die öffentlichen "Bildungs"einrichtungen. Ähnliches stelle man sich im privaten Sektor vor: Eine privat geführte Schule, die Analphabeten am laufenden Band nach Hause schickte. Wie lange würde eine solche Schule wohl existieren? Im geschützten staatlichen Biotop hingegen spielen derlei offensichtliche Systemfehler keine Rolle und führen allenfalls zur üblichen Forderung: "Mehr Geld!"

Die Bildungsinhalte haben auf fundierten und belegbaren Erkenntnissen zu basieren und müssen von einem möglichst neutralen Standpunkt aus vermittelt werden. Dies beinhaltet vor allem eine sachliche Darstellung, die Ausgewogenheit der Standpunkte und eine kritische Quellenbewertung.

"Neutrale Standpunkte" von einem System zu erhoffen, das auf Gewalt und Zwang basiert, zeugt von grenzenloser Scheuklappenmentalität. Was man in Schulen bevorzugt lernt ist, dass der Staat die einzige Lösung für Probleme darstellt.

Nichts neues bietet die "Piratenpartei" auch in ihren Überlegungen hinsichtlich Wirtschaftspolitik, indem sie sich für Vollbeschäftigung einsetzt.

Sie wird auf zwei Wegen zu erreichen versucht: durch wirtschaftsfördernde Maßnahmen mit dem Ziel der Schaffung von Arbeitsplätzen oder durch staatlich finanzierte Arbeitsplätze mit dem vorrangigem Ziel der Existenzsicherung. Beide sind Umwege und verlangen umfangreiche öffentliche Mittel. [...] Da das Ziel ein Einkommen zur Existenzsicherung für jeden ist, sollte dieses Einkommen jedem direkt garantiert werden. Nur dadurch ist die Würde jedes Menschen ausnahmslos gesichert.

Mit anderen Worten: Umverteilung in gewohntem Maße. Derlei Forderungen kommen natürlich bei Wählern bestens an, weisen aber einen Haken auf: Exakt diese sind es, die beispielsweise die angeblich durch einen ominösen "Raubtierkapitalismus" ausgelöste "Wirtschaftskrise" - die in Wahrheit eine nicht mehr finanzierbare Verschuldungsorgie westlicher Staaten ist - erst auslösten. Dies festzustellen ist nicht nur unangenehm, sondern politischer Harakiri, weshalb auch weiterhin absurde Versprechen in die Welt gesetzt werden, die im Falle des Einlösens weitere noch ungeborene Generationen an Staatsbürgern in die Schuldensklaverei verkaufen.

Derlei Plattitüden durchziehen das Parteiprogramm der "Piraten" wie den sprichwörtlichen Roten Faden. Zusammengefasst ergibt sich für den Artikelautor folgendes Bild: Die "Piraten" vertreten ganz normale linke Positionen, die selbst von der vorgeblich konservativen CDU nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Denn was die im Bundestag vertretenen Parteien eint, ist der unbeirrbare Glaube an den Staat. An diesen Grundfesten rüttelt die "Piratenpartei" in keiner Form und empfiehlt sich somit für den Einzug in den Bundestag. Ironischerweise dürfte sie in diesem Fall die einst tatsächlich liberale Ansichten vertretende FDP ersetzen und somit dem staatsgläubigen Mainstream zum endgültigen Triumph verhelfen.

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