Sklavenaufstände in der Antike

Egalitäre, man könnte in neuerer Terminologie sagen: sozialistische Bewegungen gibt es nicht erst in der jüngeren Vergangenheit. Die Radikaljakobiner in der Französischen Revolution, die Wiedertäufer im Mittelalter, die klerikal-soziale Bewegung Savonarolas in Florenz, die Schriften Thomas Morus' ("Utopia") und Campanellas ("Der Sonnenstaat") - sie alle stehen für das Streben nach einem gesellschaftlichen Zustand der Gleichheit - politisch, wirtschaftlich und sozial. Sie alle sind gescheitert. Aber die Idee von Gleichheit als Hauptkriterium der Gerechtigkeit war und ist nicht auszulöschen. Es gab sie bereits in den frühen Hochkulturen. Mit der Antike, deren ökonomisches Fundament die Sklaverei bildete, wird in diesem Zusammenhang zunächst der Spartacus-Aufstand in Verbindung gebracht, die wahrscheinlich bedeutendste und folgenschwerste Erhebung der Unterdrückten in vorchristlicher Zeit. Doch es gab noch weitere Revolutionen, die von Historikern allerdings nur wenig erforscht sind. Die Revolution von Pergamon (133-129 v. Chr.) gehört dazu. Pergamon ist dem museal Bewanderten bekannt dank des gleichnamigen Museums in Berlin. Pergamon war eine kleinasiatische Küstenstadt, Metropole eines antiken griechischen Reiches, in der Blütezeit Kultur- und Tempelzentrum, bekannt für seine Akropolis und eine umfangreiche Bibliothek. Heute befindet sich an der Stelle Pergamons die türkische Stadt Bergama. Archäologen sind seit Jahrhunderten am Werk und stoßen auch heute noch auf interessante Funde.

Das antike Pergamon

Die Akropolis von Pergamon, nachgebildet in Berlin

Der historische Hintergrund

Alexander der Große besiegte im jahre 330 v. Chr. endgültig den persischen Großkönig Dareios III. Damit legte er den Grundstein für den bis dahin größten Flächenstaat der Erde - und den Hellenismus. Griechenland wurde unter makedonischer Führung zur Weltmacht. Doch Alexanders Ambitionen gingen noch weiter, er wollte auch China und Indien erobern, später vielleicht Europa. Aber sein früher Tod (323 v. Chr.) setzte diesen imperialen Plänen ein abruptes Ende. Das riesige Reich war führerlos und es gab auch niemanden, der Alexander hätte ersetzen können. So wurde das Imperium aufgeteilt unter Alexanders Generäle (Diadochen), die in den entstandenen Teilstaaten neue Dynastien begründeten. Die bekanntesten sind die Seleukiden (nach Seleukos), die ein Gebiet im heutigen Iran und Irak beherrschten; die Ptolemäer (nach Ptolemäos) in Ägypten, deren letzte Vertreterin Kleopatra war und die Attaliden (nach Attalos) in Pergamon. Es waren Staatsgebilde mit einer orientalisch-persischen Bevölkerung und einetr winzigen griechischen Oberschicht, die auch das Königshaus stellte. Dieser politische Kosmos, das hellenistische Zeitalter währte gut zweihundert Jahre, bis die asiatischen Völker sich der Nachfahren der griechischen Eroberer entledigten. In den europäischen und kleinasiatischen Staáten fasste eine neue Macht schrittweise Fuß: Das Imperium Romanum, das schon als Republik fleißig expandiert war. Noch vor der Annexion Ägyptens, der die weltberühmte Liaison zwischen Caesar und Kleopatra vorausging, fiel das Königreich Pergamon an Rom. Der letzte (kinderlose) Herrscher, Attalos III., hatte sein Land (mit Ausnahme einiger Küstenstädte) per Testament den Römern vermacht.

Der Aufstand des Aristonikos

Zum Sklaven wurde man in der Hauptsache entweder durch Kriegsgefangenschaft oder durch Verschuldung. Es bestanden weder ein Anspruch noch eine Option, diesem Status je wieder zu entrinnen, allenfalls ein Gnadenakt des Herrn konnte den Sprung in die Freiheit ermöglichen. In Rom geschah dies nicht selten, vor allem dann, wenn der Sklave aufgrund physischen Verschleißes wertlos geworden war, wurde er in die Freiheit (heute würde man sagen: "Eigenverantwortung") entlassen. Der Sklavenhalter enthob sich so der Notwendigkeit weiterer Alimentierung. In der griechischen Antike bestand ein System abgestufter Abhängigkeiten, das Sklavendasein war differenziert ausgestaltet. In Sparta wurde zwischen den völlig entrechteten vollsklaven (Heloten) und den privilegierten Halbsklaven (Periöken) unterschieden, auch in anderen griechischen Staaten gab es Abstufungen. Der Grund bestand wohl darin, dass die Masse der privilegierten Halbsklaven eine Ressource bildete, aus der sich im Kriegsfall Soldaten rekrutieren ließen. Im Allgemeinen aber war das Schicksal der Sklaven bedrückend, in Griechenland wie in Rom gleichermaßen, und vor allem war es perspektivlos.

 

Das Testament des letzten Regenten empörte den Aristonikos, wahrscheinlich ein Halbbruder des Königs. Im jahre 133 v. Chr. rief er den Aufstand aus. Die Armee und Teile des Adels stellten sich hinter ihn, er warb zudem um Unterstützung im Ausland. Doch einige Städte, die vom Handel lebten, waren bereit, sich mit den Römern zu arrangieren.

 

Nun tat Aristonikos etwas, was noch kaum ein hochgestellter Aristokrat vor ihm getan hatte: Er suchte den Kontakt und das Bündnis mit den Untersten der Gesellschaft, mit den Sklaven und dem städtischen Proletariat. Er versprach ihnen Freiheit, Gleichheit und eine neue Perspektive in einem Sonnenstaat ("Heliopolis"), den er errichten wollte. Seine Kämpfer wurden in der Überlieferung des antiken Historikers Diodor als "Heliopoliten" bezeichnet. So trafen sich sozialrevolutionäre utopische Ansprüche mit einem gleichzeitig mobilisierten Nationalgefühl, das die drohende Fremdherrschaft abwehren wollte, das um den Verlust der eigenen (griechischen) Sprache und Kultur fürchtete. Die Bewegung mündete in einen Befreiungskampf, von dem eine große Anziehungskraft auch für die benachbarten Regionen ausging.

Wir wissen nicht, ob es demagogisches Kalkül oder ein aufrichtiges humanistisches Anliegen war, das den Aristonikos antrieb. Man sollte auch nicht so zynisch sein, das letztere von vornherein auszuschließen. Gerade unter Angehörigen der Oberschicht, die ihres sinnentleerten und parasitären Daseins überdrüssig sind, besteht nicht selten der Wunsch, ihr Leben radikal zu ändern, sozial zu denken und zu handeln, ein konstruktives Opfer zu bringen, nicht nur als nicely charity.

Aristonikos bekam die Unterstützung, die er suchte. Die bewaffneten Sklavenheere erzielten beachtliche Anfangserfolge gegen die Römer, nahmen sogar deren Konsul Mucianus gefangen. Daraufhin entsandte Rom den Feldherrn Marcus Perperna nach Pergamon. Dieser hatte jahre zuvor bereits einen Sklavenaufstand auf Sizilien niedergeschlagen, galt also als Spezialist in dieser Art der Kriegsführung. Und er obsiegte auch in Pergamon. Im Jahre 129 v. Chr., nach vier Jahren Kampf, wurde Aristonikos besiegt. Er starb noch im gleichen Jahr in der Gefangenschaft.

Aufstände im Namen der Gleichheit

Spartacus-Aufstand in Rom

Was wäre, wenn...?

Hypothetische (kontrafaktische) Geschichte stellt Gedankenexperimente auf. Sie unterlegt den bekannten Geschehnissen fiktiv einen anderen Verlauf und gelangt zu spektakulären Schlussfolgerungen. Wäre zum Beispiel König Alexander der Große nicht so früh gestorben, hätte er Europa erobert, wäre Griechisch und nicht Latein die kulturell vorherrschende Sprache geworden. Es wären weder das Römische Reich entstanden noch das Christentum. Unsere Gegenwart sähe gänzlich anders aus.

Was wäre geworden, wenn der Aufstand erfolgreich geendet, wenn die römischen Invasoren besiegt worden wären? Hätte der antike Sonnenstaat als Paradies sozialer Gleichheit eine Zukunft gehabt? Ich befürchte, nein. Es sind ähnliche Entwicklungen aus dem frühen China und aus Vietnam bekannt. Bauernführer hatten sich - auch unter Verwendung von Gleichheitsutopien - gegen eine despotische Herrschaft erhoben. Sie waren erfolgreich - doch im Ergebnis führten die Aufstände nicht zu einer Veränderung der Verhältnisse, sondern nur zu einer neuen Dynastie, zu einem Austausch der Machteliten.

Doch die Idee lebt weiter, ist unausrottbar, auch wenn sie in der Praxis - nach aller historischen Erfahrung - immer wieder gescheitert ist. Die Gleichheitsdee als idealgleicher und idealistischer Anspruch hat ihre notwendige Berechtigung. Sie setzt die Herrschenden unter Druck und sie bewahrt uns davor, moralisch vollständig zu verwildern. Vor allem aber: Ein Mensch, der seine Utopien und Träume begräbt, hört auf, ein Mensch zu sein.

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