Wohnort wichtiger als Einkommen

Für die Vergabe von Stipendien ist der Wohnkanton wichtiger, als das Einkommen. Denn Stipendien werden in der Schweiz vom Kanton vergeben, und da es 26 Kantone gibt, existieren auch 26 unterschiedliche Gesetze und dementsprechend 26 verschiedene Berechnungsgrundlagen. Einige Kantone gehen vom Nettoeinkommen aus, andere vom zu versteuernden Einkommen und wieder andere rechnen nach einem Punktesystem.  Vergleiche sind bei diesen Berechnungssystemen nicht möglich und es gibt keinen Minimalstandard, durch den die Höhe der Stipendien auch nur annähernd vergleichbar wären.

So kann es vorkommen, dass zwei Studierende, die aus ähnlich sozialen Verhältnissen kommen und an derselben Universität die gleichen Fächer studieren, ganz unterschiedliche Stipendien erhalten. Der einzige Unterschied zwischen beiden ist lediglich der Wohnort. Der eine Student erhält beispielsweise ein Stipendium von 2 000.- und der andere ein Stipendium von 12 000,- Franken!

Für Zuwanderer, wie beispielsweise politisch und religiös Verfolgte aus anderen Ländern gilt allein die Bundesverfassung. Hier sind geregelte, einheitliche Integrationshilfen vorgesehen. Für diesen Personenkreis gelten kantonale Regelungen nicht. 

Auslandsschweizer

Wie es der Name schon sagt, handelt es sich um Schweizer Bürger, die den Wohnsitz im Ausland haben. Für sie ist der Heimatkanton, der Kanton in dem sie geboren wurden oder eingeheiratet haben, zuständig. Ja und damit fängt meine Geschichte erst richtig an.

Auslandsschweizerin mit Wohnsitz in der Dominikanischen Republik

Ich bin allein erziehende Mutter zweier inzwischen volljähriger Kinder und lebe in der Karibik, in der Dominikanischen Republik.  Ein Wohnsitz, der ein Überbleibsel meiner geschiedenen Ehe ist. Meinen Lebensunterhalt versuche ich als selbstständige Therapeutin, recht und schlecht, zu verdienen. 

Puerto Plata

Mein ebenfalls hier im Land lebender EX-Mann ist seinen Unterhaltsverpflichtungen in der Vergangenheit nur sporadisch nachgekommen und hat seit 6 Jahren seine Zahlungen völlig eingestellt. Dennoch gelang es mir, meinen Kindern eine Schulbildung zu finanzieren, die nach 12 Schuljahren mit einem amerikanischen Highschool-Abschluss, annähernd vergleichbar mit dem deutschen Abitur, abgeschlossen wurde.

Mein Sohn studiert, auf meine Kosten, seit zwei Jahren Betriebswirtschaft an einer amerikanischen Fernuniversität, er hofft darauf, dass er einmal seinen Lebensunterhalt  in der Dominikanischen Republik bestreiten kann. Meine Tochter Luisa sah für sich keine Zukunft in der Dominikanischen Republik. Meine finanziellen Möglichkeiten für ein Studium in Amerika sind nicht ausreichend und die Schweizer Universitäten anerkennen den amerikanischen Highschool-Abschluss nicht. Es entstand die Idee, sie in der Schweiz eine kaufmännische Lehre machen zu lassen. In Verbindung mit dem Lehrlingslohn wäre es mir möglich gewesen, für die darüber hinaus entstehenden Kosten aufzukommen.     

Was der Schweizer nicht kennt …

Verwandte boten sich an, Luisa während der Ausbildung bei sich wohnen zu lassen. Daher wurde der Entschluss gefasst, sie in die Schweiz reisen zu lassen.  Sie schrieb unendlich viele Bewerbungen und erhielt nur eine einzige Einladung zu einem erfolglosen Vorstellungsgespräch. Darin wurde bemängelt, dass die sonst völlig korrekte Darstellung des Lebenslaufes nicht genau den schweizerischen Normen entsprach.

Dass Luisa nicht nur perfekt in Wort und Schrift Englisch und Spanisch, ihre bisherigen Unterrichtssprachen, neben Deutsch beherrscht, wurde nicht gesehen.  Nicht beachtet wurde auch, dass sie nach drei Monaten Intensivunterricht Französisch, eine für sie völlig neue Sprache,  annähernd auf dem Niveau eines schweizerischen Schulabgängers stand. Der Umstand, dass Luisa  12 Schuljahre im Gegensatz zu ihren Schweizer "Konkurrenten" absolviert hatte, wurde nicht gesehen.

Depressionen, Schlafstörungen und die Lösung

Obwohl Luisa bei ihrer Tante und ihrem Onkel die perfekten "Pflegeeltern" gefunden hatte, war sie ihrer sozialen Umgebung entrissen und vermisste ihre Freundinnen. In der Schweiz kannte sie  niemanden. An Schulabgänger Programmen durfte sie nicht mitmachen und auch an keinen Integrationsprogrammen für Ausländer, denn sie ist ja Schweizerin! Es ist kein gutes Gefühl nirgends dazu zu gehören. Dass sich dann bei Luisa nach den ergebnislosen Bewerbungen, Depressionen und Schlafstörungen einstellten, dürfte niemanden verwundern. Heimweh war das immer wiederkehrende Skype-Thema.  Ein weiteres Jahr bis zu einem (ungewissen) Lehrbeginn glaubte ich, ihr nicht zumuten zu können. Sie wollte unbedingt zurück in die ihr vertraute Dominikanische Republik. 

 Eine Unterhaltung mit einem in der Schweiz lebenden Dominikaner brachte sie dann auf den Boden der Realität zurück. Dieser Mann hatte in Santo Domingo Journalismus studiert und verdient sich nun in der Schweiz seinen Lebensunterhalt mit Putzen von WC´s.


In dieser Situation hörten wir von den HSO (Handelsschulorganisation) Schulen.  Neben einer, wie ich es nun erlebe, sehr  intensiven kaufmännischen Ausbildung, wird den Schülern die Möglichkeit geboten, die Berufsmatur (Abitur) abzulegen, was den Bachelor oder Master im Anschluss daran ermöglicht. Eine perfekte Bildungsmöglichkeit, die für mich nur den Nachteil hat, finanziell unerschwinglich zu sein.  Ein Stipendium sollte gefunden werden und  die Schule befindet sich zum Glück auf den Listen der stipendierbaren, anerkannten Schulen.

Die finanzielle Situation ist für die Stipendienvergabe belanglos

Luisa's Heimatort ist durch ihren Vater im Kanton Tessin, als Auslandschweizerin ist dieser Kanton für sie zuständig. Die Amtssprache ist italienisch und insbesondere im Umgang mit Bittstellern, hält man sich strikt daran. Da weder ich noch Luisa italienisch sprechen, mussten Antragsformulare mit Hilfe von (teuren) Dolmetschern ausgefüllt werden.

Der Antrag wurde abgelehnt noch bevor wir die Unterlagen einsenden konnten. Der ablehnende Bescheid wurde an die Auslandschweizer-Organisation ASO, übermittelt, auf meine Schreiben habe ich persönlich niemals eine Antwort bekommen. Die Begründung: "Stipendien für solche Ausbildungen werden nur unterstützt, wenn sie in unserem Kanton durchgeführt werden." Da Luisa im Tessin keine Verwandten hat, die sie aufnehmen könnten, wären die damit verbundenen hohen Kosten der Unterkunft unmöglich gewesen und wie bereits gesagt, Luisa spricht kein Italienisch.

Wenn das Schulgeld stimmt, wird der US-amerikanische Schulabschluss doch anerkannt

Trotzdem wollten wir uns im Tessin umsehen, ob es vielleicht eine Schule in anderer Sprache als italienisch gibt. Erstaunt fanden wir eine englisch sprachige Universität und das Beste daran, sie steht in dem offiziellen Verzeichnis der "anerkannten Schweizer Hochschulen" und noch besser, die Aufnahmebedingungen sind Highschool- Abschluss plus SAT 1 Test und genau das hat Luisa! Toll! Aber wieso wird für diese Schule eine Ausnahme gemacht? (Zur Erinnerung: Luisas Abschluss ist in der Schweiz nicht anerkannt! Diese Schule aber ist in der Liste der anerkannten Hochschulen und nimmt Leute auf, die mit dem gleichen US-Abschluss wie Luisa eintreten.)

Liste der in der Schweiz anerkannten Hochschulen

Anerkannte Schweizer Hochschulen

Ein Schuljahr kostet 59,110.-sFr! Wer dieses Geld nicht hat, für den gelten die offiziellen  Bestimmungen; ein US-Highschool-Abschluss ist in der Schweiz nicht anerkannt!

Wenn die Einnahmen stimmen, scheinen die Bestimmungen dehnbar zu sein, wenn es darum geht Kosten wirksam abzuwimmeln, ist das Tessin gesetzestreu:

Verantwortungsloser Kanton Tessin

Damit meine Scheidung in der Schweiz anerkannt wurde, musste ich vor 15 Jahren meine Originalunterlagen der Schweizer Botschaft abgeben. Ich glaubte damals, dass "offizielle Unterlagen" mehr Sicherheit bedeuten. Das war ein Irrtum! Denn der Vater meiner Kinder wollte  keine Alimente zahlen (und hier sind Schulen nicht gratis, wie in der Schweiz). Den dominikanischen Behörden war es egal, wie viele Schweizer Stempel die Kopie hatte, ohne das Original ging nichts. Das Tessin beharrte auf der Bestimmung, dass original Urkunden von Auslandschweizern auf der Heimatgemeinde aufzubewahren sind. Meine Schreiben an den Kanton waren erfolglos, die Originale wurden nicht zurückgeben.  Erst als die bekannte Schweizer Zeitschrift "Beobachter" darüber berichten wollte, kamen die Scheidungspapiere.

Die damals nicht erhaltenen Alimentenzahlungen hätten einen grossen Teil des heutigen Schulgeldes abgedeckt! 

Resümee

Die in der schweizerischen Bundesverfassung proklamierte Chancengleichheit ist ein Papiertiger. Schweizer Bestimmungen schützen in erster Linie den bürokratischen Ablauf aber nicht die Menschen, ganz egal ob Kinder ihre Alimente bekommen oder nicht. Der gleiche Kanton, der für die nicht erhaltenen Alimente verantwortlich ist, nutzt die Bestimmungen um ein Gesuch abzuwimmeln und umgeht die Bestimmungen, wenn sie mehr Steuereinnahmen verschaffen.  Hätte Luisa den Status eines Flüchtlings gehabt,  wären ihre Chancen grösser gewesen, denn die Entscheidung wäre vom Bund gekommen und Flüchtlinge und auch Migranten bekommen Integrationshilfen und es wird nicht verlangt in einer unbekannten Sprachregion die Ausbildung zu absolvieren.

Dank der grossartigen Schule und den guten Lehrern ist Luisa heute in der Schweiz integriert, es geht ihr gut, sie hat endlich Freunde gefunden. Sie hat ihre ersten Noten bekommen und ihr Durchschnitt ist 5,1 (in der Schweiz ist 6 die beste Note). Wenn man bedenkt, dass ihre bisherigen Unterrichtssprachen englisch und spanisch waren, ist das eine grosse Leistung. Luisa wäre ein fleissiger Lehrling gewesen, hätte sie eine Chance bekommen. 

 

Email: miggeli61(at) yahoo.com

Autor seit 14 Jahren
2 Seiten
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