Erstens: Es gibt Glocken und Treicheln

Die einen scheppern, die anderen klingen: Bei Kuhglocken gibt es die aus Eisen geschmiedeten, herzförmigen Treicheln mit ihrem zugegeben etwas blechernen Sound. Und dann gibt es die Bronzeglocken, die aus einer Zinn-Kupfer-Legierung bestehen. Sie sind Kirchenglocken in Miniatur und werden nach dem gleichen Verfahren gegossen. Diese beiden Glocken-Typen sind im Geläut einer Kuhherde vertreten und sorgen für den typischen Sound. 

Beim Almauf- und Almabtrieb gibt dieses reich instrumentierte Orchester aus Melodie- und Bassglocken sein großes Konzert. Auf der Weide dürfen die Tiere die bis zu drei Kilo schweren Glocken dann gegen kleinere Weideglöckchen tauschen. So kommt es, dass während der Sommermonate die großen Glocken außen an den Almhütten zu bewundern sind – wie auf dem Foto. An dem Holzbalken hängen fast ausschließlich Treicheln – gut an ihrer nach unten zulaufenden Form zu erkennen. Nur die vierte Glocke von links mit den Verzierungen dürfte eine gegossene Bronzeglocke sein.

Lust auf einen ersten Klangeindruck? Hier drei Musikvideos auf Youtube, bei denen einmal mit geschmiedeten Treicheln, einmal mit gegossenen Kuhglocken Musik gemacht wird.

La Montanara – gespielt mit Treichleln.

Meditative Musik – mit gegossenen Bronzeglocken

Konzert "Elementar" – Magdalena Schatzmann musiziert mit Kuhglocken, Klangschalen, Tamtam und Klavier

Zweitens: Kuhglocken sind aus Bronze gegossen

Bei einer gegossenen Glocke setzt sich der Klang aus vielen Naturtönen zusammen. Da ist der Grundton samt Oktaven darüber und darunter, hinzu kommen eine verminderte Terz und die Quint. Auch falls diese Intervalle Ihnen im Einzelnen nichts sagen, ist es fürs Hinhören gut zu wissen, dass in jedem Glockenklang eine Vielzahl verschiedener Töne mitschwingen. Und eine gute Bronzeglocke klingt mindestens eine Minute nach. Zunächst verliert sich der Schlagton, der Klang dünnt immer mehr aus, wird immer feiner, bis am Ende die zarten Obertöne nachhallen. Es ist ein Klang, der einen tief im Körper berühren kann.

Natürlich sind die Glocken ursprünglich nicht nur als Klanggenuss gedacht. Sie sollen von Alters her eine Unheil abweisend Kraft besitzen und die Tiere vor bösen Geistern, Schlangen, Unwetter, Feuer und Krankheiten schützen. Deswegen sind viele Bronzeglocken auch mit Segenszeichen oder Heiligen verziert. Allerdings: Zu viele Verzierungen beeinträchtigen den Klang. Wirklich gute Glocken haben deswegen nur einige wenige Prägungen.  Foto: Iris Rothe

Drittens: Warum der Klang Himmel und Erde verbindet

Die Kuhglocken finden ihren Widerhall im Universum, sagt der Glockenexperte und pensionierte Tierarzt Hannes Moor aus Saanen/Schweiz (Foto). Denn auch Planeten haben Töne: Aus dem Umfang der Kreisbahn und der Umlaufzeit lassen sich deren Frequenzen errechnen. "So bringen uns die Glocken jeden Tag in Einklang mit Erde, Sonne, und Planeten."

Der Jahreston der Erde ist ein Cis – also der Ton, mit dem die Erde klingt, wenn sie sich um die Sonne dreht. Der Musikforscher und Mathematiker Hans Cousto hat durch das mehrfache Verdoppeln planetarischer Frequenzen deren Obertöne berechnet. Die dabei verwendete Formel ist unter dem Begriff kosmische Oktave bekannt geworden. Sie ermöglicht, den Planetenrotationen Töne, Farben und Rhythmen zuzuordnen. So reihen sich die kleinen Kuhglocken in den Klang des großen Universums ein. Und das macht für den Glockenexperten Hannes Moor die Magie der Kuhglocken aus.

Er hat als Tierarzt übrigens auch die Erfahrung gemacht, dass Kühe "ihre" Glocke genau am Klang erkennen. Falls ihnen nämlich ihm Jahr darauf beim Almauftrieb eine andere umgehängt wird, können sie echt beleidigt sein. Foto: Iris Rothe

Neugierig geworden? Wer noch mehr als nur diese drei Dinge über Kuhglocken wissen will: Der 15-minütiger Beitrag auf Youtube, in dem der Kuhglocken-Experte und Tierarzt Hannes Moor zu Wort kommt, erzählt von der Magie der Kuhglocken und dem legendären Glockengießer Karl Schopfer aus Saanen in der Schweiz. Er war dafür berühmt, harmonische Geläute für ganze Kuhherden zusammenzustellen. 

Handwerk mit Tradition: Glockengießereien in der Schweiz

Wer im Handel nach Kuhglocken fragt, wird meistens mit Dekostücken abgespeist, die vielleicht als Souvenir taugen, aber nicht schön klingen – schon allein deswegen, weil sie in den seltensten Fällen wirklich aus Bronze gegossen sind. Bleibt nur, bei eBay oder im Antiquitätenladen nach alten Kuhglocken zu suchen. Hergestellt, also aus Bronze gegossen, werden Glocken aber bis heute in den Glockengießereien der Schweiz. Dort kann der Klang wirklich ausprobiert werden! Hier einige Adressen:

Glockengiesserei Berger, Bärau

Glockengiesserei Gusset in Uetendorf

Fonderie de cloches Blondeau, La Chaux-de-Fonds

Fonderie Albertano, La Sarraz

Kleiner Exkurs: So lassen sich Kuhglocken am besten reinigen

Kuhglocken lassen sich am besten mit einer Sodalösung reinigen. Einfach eine Handvoll Soda (gibt's für wenig Geld in Drogeriemärkten bei den Waschmitteln) in zehn Liter Wasser auflösen und die Glocke etwa eine Viertelstunde hineinlegen. Bei Bedarf mit einem 3M-Schwamm reinigen. Der Schwamm darf nicht zu hart sein, sonst gibt es Kratzer. Hinterher gut abspülen. Am besten für eine Weile in kaltem Wasser liegen lassen, damit nichts von dem Soda zurückbleibt. Auch die Riemen lassen sich mit Soda reinigen. Oder aber mit einem neutralen Shampoo und einer Bürste. Auch da ist Fingerspitzengefühl gefragt – vor allem, wenn die Riemen aufwendig verziert sind.

Dem Geläut ganzer Kuhherden lauschen: der Alpaufzug und Almabtrieb

Wann die "Züglete", der Alpaufzug, in der Schweiz stattfindet, ist von Ort zu Ort verschieden und hängt auch davon ab, wie schnell das Frühjahr kommt. Im Zweifelsfall genügt aber ein Anruf bei ein Touristinformation am Ort, um zu erfahren, wann die Landwirte ihre Herden ins Sommerquartier auf die Alm bringen. Denn das sind einmalige Chancen, um zu hören, wie das Geläut einer ganzen Kuhherde klingt. Der größte und spektakulärste Alpaufzug in der Schweiz ist der zur Engstligenalp bei Adelboden im Kanton Bern, der meistens Ende Juni stattfindet.

Die Touristinformation im Appenzeller Land bietet übrigens den besonderen Service, per E-Mail über die regionalen Termine für die Alpfahrt und Alpabfahrt – wie es in der Schweiz heißt – zu informieren. Dazu muss man sich nur im E-Mail-Verteiler aufnehmen lassen. Hier geht's zur entsprechenden Seite der Appenzellerland Tourismus

Größer gefeiert als der Auftrieb im Frühsommer werden die Almabtriebe im September, wenn die Kühe wieder in den Stall zurückkehren. Hier einige Termine für Bayern, das Allgäu und Österreich: http://www.almabtriebe.de 

 

Festlich geschmückt geht es zurück ...

Festlich geschmückt geht es zurück ins Tal (Bild: Wildschönau Tourismus)

Der Bart ist ab: Ein Blick ins Nachbarland Österreich

Auch in Österreich gibt es natürlich den Brauch des Almabtriebs. In Wildschönau wird das mit einem richtigen Fest gefeiert. Das 24 km lange Hochtal in den Kitzbüheler Alpen ist aufgrund des Schiefergesteins eine besonders almreiche Gegend. Ende Mai werden Hunderte Rinder, Pferde, Schafe und Ziegen hinauf zur "Sommerfrische" auf insgesamt 46 Almen mit "Grasrechten" getrieben. Im September – 2017 am 23. September – geht es dann zurück ins Tal. Die Gru-Nacht ist die letzte Nacht vor der Heimfahrt der "Almerer" und wird – wenn auch von Alm zu Alm unterschiedlich – dementsprechend fröhlich begangen. Dann werden die Tiere gemolken, die restlichen Sachen gepackt und die Kühe geschmückt (was man auch "aufbischen" nennt). Übrigens: Fast alle "Almerer" lassen sich noch heute während der Sommermonate einen Bart stehen. Der Bart kommt erst weg, wenn die Almmitarbeiter von den jeweiligen Bauern bezahlt wurden – eine alte Tradition, die in der Wildschönau noch gelebt wird.

Mondstein, am 27.03.2013
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Bildquelle:
Lauterbrunnen Tourismus (Wie Klöppeln Männer an den Herd brachte)

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