Kaum Information der Öffentlichkeit seitens der EU

In einer demokratischen Welt geht man davon aus, dass vor Verabschiedung neuer, weitreichender Gesetze Bürger und Medien davon in Kenntnis gesetzt werden. Anders bei dem billionenschweren TTIP-Abkommen zwischen den USA und Europa, das bis heute fast vollständig im Geheimen und unter Zeitdruck verhandelt wird. Selbst Abgeordnete des EU-Parlaments wissen kaum etwas über dessen Inhalte, dabei sind von diesem Abkommen nicht nur das europäische Lebensmittelrecht, sondern auch Sozial-, Gesundheits und Umweltstandards, die Finanzmärkte, öffentliche Einrichtungen und das Arbeitsrecht betroffen.

Das geht gegen das Demokratieverständnis vieler europäischer Bürger und darum haben sich im Laufe der letzten Monate mehr und mehr Menschen und Organisationen dagegen formiert. Allein das Online-Netzwerk Campact hat über das Internet in kürzester Zeit schon 450.000 Menschen aufgerufen, eine Petition gegen das TTIP zu unterzeichnen. Das Umweltinstitut München konnte mit seiner Online-Petition 85.300 Menschen aktivieren und auch in Deutschland liegt dem Bundestag inzwischen eine Petition mit 68.000 Stimmen vor, was bedeutet, dass sich die deutsche Politik nun intensiver mit diesem Thema auseinandersetzen muss und es nicht allein der EU-Behörde überlassen kann.

Die EU-Kommission reagiert auf die Sorgen der Bürger - jedoch nicht inhaltlich. So heißt es in einem internen Strategiepapier, man müsse den Menschen das Abkommen nur besser verkaufen, weniger über die Sorgen der Verbraucher sprechen, sondern mehr über das Ziel, Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen.

 

Worum geht es beim Transatlantischen Handels-und Investitionsabkommen (Transatlanctic Trade and Investment Parnership)

Dieses Abkommen soll die weltgrößte Freihandelszone schaffen, wobei es hier nicht nur um die Absenkung von Zöllen, sondern um einen umfassenden Abbau von Handelshemmnissen (unter anderem Wechselkurs-Schwankungen) geht sowie darum, Investitionen auf der jeweils anderen Atlantik-Seite vor staatlichen Eingriffen zu schützen.

Laut dem TV-Magazin 'Monitor'  haben das Wirtschaftsministerium und die Bertelsmann-Stiftung beim IFO-Institut in München eine Studie in Auftrag gegeben, wonach alleine in Deutschland 160.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.

Experten, wie zum Beispiel Jagdish Bhagwati von der Columbia-Universität, zweifeln aber an solchen Prognosen. Selbst der Hauptautor dieser Studie, Professor Gabriel Felbermayr, hält die Effekte des TTIP für gar nicht so groß. Er schätzt das zukünftige Wirtschaftswachstum auf 120 Milliarden Euro für die gesamte EU, was etwa einem effektiven Wachstum von 0,5 % in 10 Jahren entspricht.

 

 

Was kommt im Einzelnen auf die Europäische Union zu?

  • Geflügelfleisch, das nach dem Schlachten durch ein Chlorbad desinfiziert wurde

  • Hormonfleisch und auch Milch von hormonbehandelten Kühen

  • Nichtkennzeichnung von gentechnisch veränderten Pflanzen wie Mais oder Soja

  • Tierische Produkte, die mit genmanipulierten Futtermitteln entstanden sind oder Textilien aus Gen-Baumwolle. So spekuliert die US-Geflügelindustrie schon jetzt auf jährlich 500 Millionen Dollar mehr Umsatz.

  • Zulassung von genmanipulierten Pflanzen und Chemikalien auch auf europäischen Äckern
    Die Verfahren und die Philosophien bei der Zulassung von Chemikalien und Gensaatgut sind in der US-Landwirtschaft und Industrie sehr unterschiedlich.
    Beim TTIP wäre nur auf der einen Seite des Atlantiks eine Zulassung nötig, um ein Produkt in der gesamten Freihandelszone zu verkaufen.

  • US-Konzerne zeigen zunehmend Interesse an Schiefergasvorkommen in Europa, die nur durch das sehr umstrittene "Fracking" gewonnen werden Das Verfahren ist in einigen EU-Staaten bereits verboten, da bei der Gewinnung immer wieder giftige Chemikalien und Gas ins Grundwasser geraten.

Weitere Kritikpunkte

  • Besonders kritisiert wird, mit wem die Verhandlungen geführt werden.
    So ist "Report München" an ein Papier gekommen, worin die Vorbereitungstreffen zum TTIP aufgelistet sind. Zu 95 Prozent bestehen sie nur aus Industrievertretern. Verbraucher-und Umweltorganisationen sind kaum dabei.
    Seitens der EU scheint Handelskommissar Karel de Gucht derzeit offenbar der Einzige zu sein, der ein Freihandelsabkommen dieser Größenordnung mit den USA verhandelt.
  • Skeptiker und Gegner des TTIP, wie Lori M. Wallach von Global Trade Watch, Mute Schimpf oder Billen Warren von Friends of the Earth oder auch der französische EU-Abgeordnete Yannik Jadot, sehen in dem Abkommen eine ''schleichende Liberalisierung durch die Hintertür'' beziehungsweise eine dramatische Absenkung europäischer Standards.

  • Besonders kritisch würde es, wenn das Abkommen unterzeichnet ist und ein europäisches Land im Nachhinein - aus welchen Gründen auch immer - Einspruch gegen den Import bestimmter Güter erhebt. Die USA wären dann berechtigt, ihren Export vor einem Schiedsgericht einzuklagen beziehungsweise eine Schadensersatzforderung geltend zu machen.

    In dem Fall würde jedes Land seine Anwälte entsenden. Ein dritter Anwalt gilt als Schiedsrichter und fällt ein juristisch bindendes Urteil. Da alle Anwaltskanzleien je nach Auftrag arbeiten, wechseln sie auch ständig ihre Rollen. Interessenkonflikte sind so wahrscheinlich. Die Kosten für ein solches Verfahren tragen in jedem Fall die Steuerzahler des Landes, das gegen den Import Einspruch erhoben hat.

    So musste zum Beispiel Kanada, das bereits 1994 mit den USA und Mexico das North American Free Trade Agreement (NAFTA) abgeschlossen hat, an die USA 250.000.000 Dollar Schadenersatz zahlen, weil die kanadische Bevölkerung das umstrittene Fracking-Verfahren in ihrem Land stark eingeschränkt sehen wollte.

 

Bis zum Abschluss des Freihandels-Abkommens gehen noch einige Monate ins Land – Zeit, die Europa gut nutzen sollte, um sich mit den geplanten Veränderungen und Forderungen vertraut zu machen und um gegebenenfalls noch gegenzusteuern, damit es später nicht - statt zu dem versprochenen Wachstums - möglicherweise zu hohen Folgekosten für die Steuerzahler, ökologischen Schäden und/oder zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt.

 

 

Autor seit 11 Jahren
101 Seiten
Laden ...
Fehler!