George Mallory als Pionier auf dem Gipfel des Mount Everest?

Die tragische Geschichte des englischen Bergsteigers George Mallory und Andrew "Sandy" Irvine ist nicht sehr bekannt. Schade, denn sie inspirierte mich so sehr, dass ich 1999, als ein Expeditionstrupp die Leiche Mallorys an der Nordflanke des Everest knapp unterhalb des Gipfels entdeckte, alles zu diesem Thema wissen wollte. Im Zuge meiner Recherchen fand ich heraus, dass sogar der Regisseur David Lean in den 1960er Jahren einen Film über George Mallory und dessen vermeintlicher Erstbesteigung des Everest im Jahr 1924 plante. Doch das Projekt war offenbar zu aufwendig zu realisieren, und so entschied sich Lean stattdessen für das Epos "Lawrence von Arabien" mit Peter O'Toole in der Hauptrolle.

Vor wenigen Jahren stand Ralph Fiennes als Darsteller des kühnen Briten Mallory im Gespräch, doch bis heute gibt es keine Pläne, George Mallorys Geschichte auf die Leinwand zu bannen. Dabei böte sie alles, was ein guter Abenteuerfilm braucht: Drama, Kameradschaft, Zusammenhalt und der Mut zweier Männer, die sich kompromisslos für eine Sache einsetzen und dabei alle persönlichen Gegensätze überwinden.

 

Dandys am rauen Gipfel? Unmöglich!

Schon allein aufgrund ihrer "primitiven" Bekleidung, bestehend aus Tweedjacken, dem "Zwiebel-Look" (mehrere Hemden und Pullover übereinander) und den im Verhältnis zu heute leichten Nagelschuhen halten Skeptiker es für unwahrscheinlich, dass Andrew Irvine (links im Bild) und George Mallory (rechts) es am 8. Juni 1924 bis zum Gipfel des Everest schafften.

 

Zudem waren die Wetterbedingungen nicht optimal, wie aus dem Brief George Mallorys hervorging, den er seinem Freund Noel Odell am Camp VI hinterließ.

Dass er sich den Oxford-Studenten Andrew Irvine als Begleiter der letzten Etappe erkor, hatte wohl vor allem praktische Gründe: Irvine verstand es, sparsam mit dem kostbaren Sauerstoff zu haushalten, nachdem er sich Wochen zuvor ausgiebig mit der Technik der schweren Sauerstoffflaschen beschäftigt hatte. Auch mag eine gewisse Mentorenschaft zustande gekommen sein. Der 38-jährige George Mallory, besessen davon, den Berg zu besteigen, war zu jener Zeit schon so etwas wie ein Volksheld, zu dem der 22-jährige Sandy Irvine bewundernd aufblickte. Gewiss war das für George Mallory - im Berufsleben Lehrer, der seine Schüler häufig zu Klettertouren in die Alpen mitnahm - nichts Neues. Sympathie zwischen den beiden tat ein Übriges. Der Eifer, mit dem George Mallory sein Ziel ins Auge fasste, steckte auch Andrew Irvine an. Und wie jeder weiß, kann der Glaube Berge versetzen. Oder - wie in Mallorys Fall - bezwingen.

Stramm zum Gipfel des Mount Everest...

Noel Odell, ein Expeditionsmitglied von 1924 und enger Freund George Mallorys, ist der letzte, der diesen und Andrew Irvine am Morgen des 8. Juni 1924 lebend sieht. Klein wie Ameisen erkennt er die beiden angeseilten Männer den Second Step bewältigen, eine besonders riskante Stelle, an der seit 1975 eine Eisenleiter weiter nach oben führt. Der findige Irvine verwendet eine Strickleiter. Danach verschwinden beide im dichten Nebel. Als sie nach zwei Tagen noch nicht wieder zurückgekehrt sind, leitet Odell eine Suchaktion ein, doch die beiden Pioniere bleiben unauffindbar. Schlechte Witterung und die Unwirtlichkeit und Unüberschaubarkeit des Geländes zwingen die verbleibenden Mitglieder, die Suche einzustellen.

In den 1960er Jahren entdeckte ein chinesischer Bergsteiger die Leiche eines britischen Tweetjackenträgers in einer Felsmulde unterhalb des Gipfels. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um Andrew Irvine, dessen Eispickel eindeutig an drei Einkerbungen indentifiziert werden konnte. Es ist gut möglich, dass Irvine sich vor Kälte schützen wollte und vor Müdigkeit und Erschöpfung einschlief und erfor.

Die Expedition von 1999 findet Andrew Irvine nicht. Da sich die Gipfelregion des Mount Everest in ständigem Wandel befindet, nimmt man an, dass seine Leiche eingeschneit oder sogar von einer Felsspalte verschluckt wurde.

Die Expedition von 1924 (links ...

Die Expedition von 1924 (links stehend Irvine, Mallory daneben) (Bild: http://www.findagrave.com/c...)

Ein sensationeller Fund...

Fünfundsiebzig Jahre nach dem Verschwinden der beiden Alpinisten stößt eine Expedition unter der Leitung von Jochen Hemmleb auf den fast unversehrten, alabasterartig konservierten Leichnam George Mallorys. Er weist schwere Verletzungen und einen komplizierten Beinbruch auf. Die Bauchlage und die Haltung seiner Arme zeugen davon, dass er nicht sofort nach dem Absturz unterhalb des Second Step tot war. Vielleicht hatte er noch versucht, Kontakt zu dem oben stehenden Sandy Irvine herzustellen. Denn dieser hatte nach dem Absturz George Mallorys wenig Chancen, als relativ Unerfahrener zu überleben. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass er nach einer kurzen Ruhepause, die ihm zum Verhängnis wurde, beabsichtigte, zu Camp V zurückzukehren, um Hilfe zu holen.

Die Südseite des Mount Everest...

Mount Everest and Ama Dablam Seperated by a Glacier, Nepal (Bild: Michael Brown)

Und die Beweise einer Erstbesteigung im Jahr 1924?

Rätselhaft und ungelöst wird die Geschichte um George Mallory und Andrew Irvine trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnisse immer bleiben. Denn auch die Kamera, die Andrew Irvine mitführte, ist mit ihm verschwunden. Analysiert wurden stattdessen sämtliche verbliebene Kleidungsstücke und Gegenstände, die George Mallory bei sich trug. Weder seine stehengebliebene Armbanduhr, auf der ein Zeiger fehlt, noch die Schutzbrille oder seine Notizen geben Aufschluss darüber, ob sie den Gipfel erreichten.

Aber neben George Mallorys starkem Willen und Andrew Irvines Fingerfertigkeit in Bezug auf die nach heutigen Maßstäben primitive Technik lässt mich vor allem eines glauben, dass beide doch vor Sir Edmund Hillary am Gipfel des Mount Everest waren: in der Tasche von George Mallory, in der alle Habseligkeiten sorgfältig verstaut waren, fehlte das Porträt seiner geliebten Ehefrau Ruth, das er auf dem Dach der Welt hinterlegen wollte.

George Mallory (Bild: http://www.google.de/imgres...)

Seit Oktober 2012 in Roman-Form erhältlich.
Laden ...
Fehler!