Vogel hofft, "noch geraume Zeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen". Er gibt sich betont sachlich mit Blick auf die Krankheit: "Warum soll ich klagen, es würde ja doch nichts ändern". Und so begegnet er auch dem Tod geradezu nüchtern: "Er gehört zur menschlichen Natur". Solche Reflexionen im hohen Alter lassen daran erinnern, wie der Sozialdemokrat sein ganzes Leben, vor allem das politische, gestaltet hat. Denn Hans-Jochen Vogel hat den Start wie das Ende seiner politischen Karriere "selbstbestimmt und planmäßig" vollzogen. Erinnerungen an Bonner Zeiten in der Wehner-Nachfolge:

1991 – das Jahr des politischen Abschieds

Fast auf den Tag genau 25 Jahre nach seinem Start als Fraktionsvorsitzender der SPD in der Nachfolge von Herbert Wehner - am 8. März 1983 - hat Hans-Jochen Vogel den Heinrich-Albertz-Friedenspreis der Arbeiterwohlfahrt erhalten. 25 Jahre nach dem Beginn einer soliden Bonner Karriere und 17 Jahre nach deren Ende. 1991 war das Jahr des politischen Abschieds für den am 3. Februar 1926 geborenen Sozialdemokraten gewesen: Am 4. Juni 1991 übergab er den SPD-Vorsitz an Björn Engholm und am 12. November desselben Jahres den Fraktionsvorsitz an den Hamburger Hans-Ulrich Klose.

Die gewohnten Abläufe auch am Abschiedstag

Den Rückzug aus beiden Führungspositionen hat Vogel in auch heute noch bekannter Manier "selbstbestimmt und planmäßig" vollzogen. So betonte er es am 12. November 1991, einem nebligen Bonner Novembertag. Trotz aller anstehenden gravierenden Veränderungen änderte er auch an diesem Tag seine Gewohnheiten kaum. Der Frühaufsteher studierte ausgiebig die Zeitungen und präparierte sich für die traditionelle Dienstags-Frühstücksrunde mit einer Reihe von Journalisten in der Bonner Hamburg-Vertretung. Sein bisheriges Büro war schon ausgeräumt, "besenrein für die Nachfolge gesäubert". Das neue Büro, Bundeshaus, Südflügel, erster Stock, ehemals Herbert Wehners Domizil, war eingerichtet. Vogel zählte dies in der Journalistenrunde alles auf, als sei es Teil von Routine. Der neue Briefkopf sei gedruckt, das von der Fraktion zur Verfügung gestellte Auto zurückgegeben, aber die Begleitung durch Beamte des Bundeskriminalamtes bleibe, weil es in letzter Zeit einige Drohungen gegeben habe.

Er steuerte penibel die Abläufe

Vogel - sagten an diesem Tage etliche - habe "sich selbst abgewickelt", vielleicht auch, "um nicht ins Sinnieren zu kommen". Davon sprach er nämlich in der Hamburg-Vertretung in dieser letzten von ihm initiierten Journalistenrunde. Nicht ins Sinnieren kommen: Der scheidende SPD-Fraktionsvorsitzende steuerte auch am letzten Amtstage in altgewohnter Art penibel wie immer die ihn betreffenden Abläufe. Doch er vermittelte den Eindruck, öfter zu Ersatzhandlungen zu greifen, um eine gewisse Bewegtheit zu überdecken. "Entschuldigen Sie die Nachbetrachtung", sagte er, als er in der Hamburg-Vertretung Stationen seines politischen Lebens hatte Revue passieren lassen, ohne persönliche Empfindungen auszusparen.

Vogel betonte im Rückblick auf die Anfänge als Fraktionsvorsitzender im März 1983 ausdrücklich: "Es war damals eine Hilfe, dass sich für mich die Erwartungen in Grenzen hielten. Somit konnte es nur aufwärts gehen". Die Schuhe seines Vorgängers Herbert Wehner oder die von Helmut Schmidt hätte er sich nicht anziehen können.

"Schlichtes Gefühl der Dankbarkeit"

Von diesem nun aus der ersten Reihe ausgeschiedenen SPD-Politiker hatten nicht wenige gesagt, er sei als Fraktionsvorsitzender eine der größten Fehlbesetzungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte gewesen - in dem Sinne nämlich, daß er eigentlich ein solider Bundeskanzler gewesen wäre. Damit aber hatte Vogel am Tag seines politischen Abschieds in Bonn seinen Frieden gemacht. Jetzt sprach der 1950 in die SPD eingetretene Politiker von einem "schlichten Gefühl der Dankbarkeit" über die ihm gegebenen Möglichkeiten, "deutsches Schicksal" inmitten der Sozialdemokratischen Partei mit zu gestalten. Der Kärrner verabschiedete sich mit Noblesse.

 

 

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