Der Ausdruck "Kidult"...

"Du bist ein echtes Kidult." Das sagte neulich der Mensch zu mir, der mir am nächsten steht. "Ein was?" fragte ich neugierig, und die Erklärung war einleuchtend und im ersten Moment niederschmetternd zugleich, und ich war ein wenig irritiert. "Versteh das nicht falsch. Ich mag dich so."

Trotzdem. Es gab mir zu denken. Kritisch beäugte ich meine Tweety-Unterwäsche (zu Tweety verbindet mich eine frühkindliche Affinität, seit ich ihn als Figur zum Anhängen besessen hatte), meine Comic-Sockensammlung, meine "Hello Kitty"- Schlafanzüge, meinen aus der Mode gekommenen Setzkasten mit all den wertlosen, kitschigen Schätzen aus meiner Kindheit, meinen kleinen Teddy im Bett, der mich überallhin begleitet und den großen, den mir im Alter von 14 Jahren meine Oma geschenkt hatte. All das in einem zart hellgrünen Ruhezimmer. Immerhin ist es nicht Prinzessin-Lily-Fee-Pink tapeziert, aber dennoch... ich begann, mich zu hinterfragen. Wollte ich wirklich nicht erwachsen werden? "Litt" ich an dem, was bei Männern allgemein als das Peter Pan-Syndrom bezeichnet wird? Ich erwog tatsächlich, all das, woran ich gute Erinnerungen aus meiner Kindheit knüpfte, zu vernichten. Die Stofftierkonklave im Schrank, wozu brauchte ich die eigentlich noch? Den ganzen Krimskrams und die Kinder- und Jugendbuchsammlung, die ich aus der Kinderzeit hinübergerettet hatte und das eine oder andere Exemplar wirklich und wahrhaftig aus sentimentalen Gründen auf Flohmärkten nachgekauft hatte? Hatte das noch einen Nutzen für mich? Nicht wirklich.

Ich bin es tatsächlich!

Langsam, aber sicher kam ich der Definition des "Kidults" ein bisschen näher und musste feststellen, dass ich mehr oder weniger freiwillig eines bin. Ohne es zu gewusst zu haben, bin ich mit dem Strom geschwommen und gehöre zu jenen Frauen, die gerne noch auf Mädchen machen, indem sie bunte Bambitaschen und nachtleuchtende Scoubidoubänder am Rucksack spazieren führen. Ich kann keine Steuererklärung abgeben (dafür gibt's ja Rechengenies und Steuerberater), und ich mag immer noch konventionelle, ungesunde Gerichte aus meiner Kindheit, obwohl ich thailändischen Spezialitäten (sofern nicht über Schärfe 2 hinausgehend und meine Schädeldecke um gefühlte fünf Zentimeter anhebend) und gesunder Kost keineswegs abgeneigt bin. Ich esse gerne einen Teller voll nackter Spaghetti. Ich mag meine alten Sachen. Dinge, die mich an früher erinnern. Wer mir eine Freude machen will, schenkt mir keine teure Handtasche, Schuhe oder Schmuck, sondern eine Eintrittskarte in einen Freizeitpark, wo der Tag für mich viel zu schnell verfliegt.

Mein Lieblingssender war "Nickelodeon", solange ich ihn empfangen konnte. Über den naiven, optimistischen "Spongebob" habe ich Tränen gelacht. Und - oh Schreck! - ich besitze ein Nintendo 64. Im Rückblick kam mir das auf einmal ungeheuer kindisch vor.

Mein kleines Reich

Was Wiki sagt...

Kidult ist ein Kofferwort und bezeichnet hauptsächlich einen Erwachsenen, der bewusst kindliche oder Kindern zugeordnete Verhaltensweisen, Hobbys oder Vorlieben für Produkte pflegt. Beispielsweise sind bei vielen erwachsenen Frauen...

Aber was ist eigentlich so schlimm daran?

Nun ist es nicht so, dass ich mich danach zurücksehne, Kind zu sein. Vielleicht bin ich einfach nostalgisch. Verantwortung kann ich schließlich übernehmen; daran zweifle ich nicht, denn das verlangt schon mein Beruf. Vielleicht brauche ich mein kleines Stück heile Welt, nachdem ich in den letzten Monaten erfahren musste, dass es auch kleine Katastrophen in einer vermeintlich funktionierenden Gemeinschaft gibt, die zu bewältigen sind.

Ich legte mich sinnierend aufs Bett und dachte ernsthaft daran, meine Garderobe umzukrempeln, wenngleich ich nicht so wirklich den Sinn darin sah. Offenbar geht es ja nicht nur mir so. In Bekleidungsfilialen kann man Hello Kitty-Bademäntel und -wäsche, sogar T-Shirts, in allen Größen kaufen. Sammlerfiguren aus Ü-Eiern erzielen auf Auktionen Höchstpreise, und letztendlich spielen viele erwachsene Männer mit Modelleisenbahnen, ohne sich deshalb vor Scham in ein Loch zu verkriechen. Und das Wichtigste: ich schade niemandem, und gehe hoffentlich keinem auf die Nerven mit meinem Tick. Es ist ja doch ganz nett, hin und wieder ein wenig Kind zu sein.

Zwischen Kindlich und Kindisch besteht ein großer Unterschied. In meinem Bekanntenkreis spielte ein lang verheiratetes Paar leidenschaftlich mit einer Spielkonsole, bis unter tragischen Umständen die Frau verstarb. Ich fand das schön, dieses Miteinanderspielen. Diese beiden hatten keine Probleme damit, ihre kindliche Seite auszuleben. Das kann sehr befreiend sein und den Alltag aufhellen.

Der Ruf meiner "besseren" Hälfte riss mich aus meinen tiefsinnigen Überlegungen: "Komm runter! Gerade läuft unsere Lieblingsfolge von Spongebob!"

Autor seit 13 Jahren
77 Seiten
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