Der Sachverhalt in Kürze

Markus Gäfgen (heute 35), vor zehn Jahren noch Jura-Student, ging im Hause der Frankfurter Bankiersfamilie von Metzler ein und aus. Er erschlich sich auch das Vertrauen des elfjährigen Jakob von Metzler. Im Jahre 2002 entführte er das Kind und verlangte von der verzweifelten Familie ein Lösegeld von einer Million Euro. Das Geld wurde übergeben, danach wurde Gäfgen verhaftet und verhört. Er verweigerte zunächst beharrlich jede Aussage, wollte vor allem nicht den Aufenthaltsort des Opfers angeben. Der damalige Polizei-Vizechef von Frankfurt, Wolfgang Daschner, wies schließlich angesichts des enormen Zeitdrucks einen Beamten an, Gäfgen unter Druck zu setzen, damit er das Versteck offenbare. Unter Androhung von Folter gab Gäfgen schließlich nach, führte die Beamten zu einem See. Es war längst zu spät. Gäfgen hatte sein Opfer bereits vor der Geldübergabe getötet, die Leiche in einem Tümpel versenkt.

Er wurde wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt, sitzt seit neun Jahren ein. Sein Motiv: Habgier. Sein Profil: Eiskalt. Im Justizvollzug schloss er sein Jura-Studium ab.

Das Opfer: Jakob von Metzler
Erstickt und versenkt

Erstickt und versenkt

Der Mörder: Markus Gäfgen

Markus Gäfgen (Bild: Simone Neumann)

Der Polizeichef: Wolfgang Daschner
Vor dem Prozess

Vor dem Prozess

Der Richter: Christoph Hefter

Im Frankfurter landgericht

Gäfgens juristischer Feldzug

Damit ist die Geschichte nicht zu Ende. Gäfgen rührte einen regelrechten Prozess-Marathon ein, der seinen Fall bis zur Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte brachte. Er sah sich als Folter-Opfer, wenngleich nur in der Androhung. Namentlich durch die kriminalpolizeiliche Vernehmung sei er in seiner Menschenwürde verletzt worden.

Folter ist ein schwerwiegender Vorwurf. Der Ermittlungserfolg der Polizei, vor allem in dringenden Fällen, wenn es wie in dieser Sache um Leben oder Tod eines Entführungsopfers  geht, hängt maßgeblich vom zielsicheren Gebrauch und in der Ausschöpfung des Arsenals psychologischer (kriminaltaktischer) Methoden ab. Wenn man einen hochintelligenten Täter wie Gäfgen gegenübersteht, kann das unzureichend sein. In der Verzweiflung, in der Abwägung von Rechtsgütern hatte sich der Polizeichef zu dem gewagten Schritt entschlossen. Die Androhung von Folter wie auch deren Anwendung ist eine Straftat im Amt. Das hatte für ihn Konsequenzen, er wurde selbst rechtskräftig verurteilt. Seine Dienststellung hat er verloren. Die Sympathien von Kollegen und Opferverbänden und einer weiten Öffentlichkeit hat Daschner trotzdem.

Die Sache landete wieder vor dem Landgericht Frankfurt. Dort forderte Gäfgen vom Lande Hessen Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro ein. Dem Grunde nach bekam er Recht. Das Gericht entschied am heutigen Tage, dass Gäfgen eine Entschädigung von 3.000 Euro plus Zinsen zustehe.

Das öffentliche Echo

Der vorsitzende Richter Hefter war bereits vor Urteilsverkündung in den Medien abgebildet worden als der Mann, der über den "Anspruch der Bestie" zu entscheiden habe. Nach Bekanntwerden der Entscheidung kam noch im Gerichtssaal lautstarke Empörung auf, obwohl weder Gäfgen noch sein Anwalt anwesend waren. Vertreter des Weißen Rings und anderer Opfer-Verbände sahen in dem Verfahren einen "nicht zu überbietenden Zynismus".

Das ist wohl wahr und die emotionalen Reaktionen  in der Tat verständlich. Andererseits: Hatte das Gericht eine andere Wahl? Die Sache war - rechtlich betrachtet - leider eindeutig. Die unerlaubte Handlung (Folterdrohung) stand zweifelsfrei fest, war sogar mit rechtskräftigem Urteil festgestellt worden.  Eine Pflichtverletzung, die "schuldhaft" und "in schwerwiegender Weise" erfolgt sei, wie der Vorsitzende Richter betonte. Der Schaden - in Gestalt traumatisierender Zustände und psychischer Beeinträchtigungen - wohl auch. Die Grundrechte wurden zweifelsfrei verletzt und  sie sind unantastbar, auf ihren Schutz kann sich jedermann berufen, auch ein Kapitalverbrecher vom Schlage Gäfgens. Das gebietet der Grundsatz der Gleichheit vor Gericht.

Die Anspruchsvoraussetzungen sind erfüllt, die Rechtsfolgen sind Entschädigung und/oder Schmerzensgeld. Die Sache ist eindeutig, das Gericht konnte im Ergebnis zu keiner anderen Entscheidung kommen.

Die psychologische Bewertung

Rechtlich ist die Sache also klar. Daneben besteht aber auch ein psychologischer Aspekt. Gäfgen hat reklamiert, infolge der Folterandrohung, des psychischen Drucks habe er "Angst und Hilflosigkeit" verspürt. Er habe schlaflose Nächte durchlitten, sei traumatisiert, in seinem psychischen Wohlbefinden beeinträchtigt.

Kann das möglich sein? Gäfgen ist kein gewöhnlicher Krimineller. Es gibt den Totschläger im Affekt, es gibt den Hasstäter, es gibt den glücklosen Bankräuber, der im Kontrollverlust jemanden tötet. Das sind gewöhnliche Mörder, fast normale Menschen, die eben auf die schiefe Bahn geraten sind. Gäfgen gehört dieser Kategorie nicht an, er ist - nach allem, was bekannt ist - ein eiskalter Killer, der in fast pathologischem Ausmaß zur Gefühlskälte neigt. Das zeigt die Tatbegehung selbst, die Ermordung eines Kindes, die Erpressung einer Familie, der pervers rücksichtslose Umgang mit Menschen, die ihm vertraut und freundschaftlich verbunden waren.

Das zeigt aber auch das Verhalten nach der Tat. Die durchdachte Inszenierung seines Prozesses, die Instrumentalisierung der Öffentlichkeit, die akribische und planvolle Ausführung seiner Strategie zeigt, dass reuevolle Einsicht nicht in Ansätzen vorhanden ist. Ich gehöre nicht zu jenen, die daran glauben, dass Menschen gibt, die von Grund auf böse sind. Bei Markus Gäfgen überkommen mich da schon Zweifel. Man erkennt eine geradezu monströse Persönlichkeit, der jegliche Empathie (Fähigkeit zur Einfühlung) abhanden gekommen ist - und jede Moral. Kann ein so abgebrühter und eiskalter  Mensch überhaupt so etwas haben wie Schmerzempfindlichkeit und Leidensfähigkeit?

Psychische Schäden sind sehr schwer diagnostizierbar. So gelangen forensisch-psychiatrische und -psychologische Gutachten nicht selten zu gegensätzlichen Feststellungen. Der Traumatisierung der Gefühlswelt hinterlässt keine organischen Spuren, die Exploration ist darauf beschränkt, die vom Probanden mitgeteilten (subjektiven) Befindlichkeiten zu deuten. In einem Punkt jedoch könnte Gäfgens Darstellung sogar plausibel sein: Extrem kaltblütige und rücksichtslose  Menschen (Soziopathen) entwickeln oftmals eine extreme Eigenliebe (Narzissmus). Eiskalt gegen andere, sind sie hochgradig sensitiv, wenn sie sich selbst verletzt oder bedroht sehen.

Noch eines ist mir aufgefallen. Es gab in der kriminologischen Forschung einmal eine von Lombroso begründete Richtung, die man als Täter-Typologie umschreiben kann. Danach kann vom äußeren Erscheinungsbild, besonders von den Gesichtszügen, auf eine kriminelle Veranlagung geschlossen werden. Dieses Verfahren gilt schon lange als unwissenschaftlich verworfen, doch wenn man Gäfgen anschaut, fühlt man eine verblüffende Annahme bestätigt: Oftmals haben eiskalte Killer, psychopathische Amokläufer keine markanten Gesichtszüge. Sie wirken eher weich, unausgereift, haben ein Kindergesicht. Sie scheinen irgendwann stehen geblieben zu sein in ihrer Entwicklung.

Fortsetzung folgt?

Die Prozess-Geschichte ist möglicherweise noch nicht zu Ende, wie ich eben gerade las. Noch vor der Urteilsverkündung war über einen anhängigen Befangenheitsantrag Gäfgens gegen Richter Hefter noch nicht entschieden worden. Das will Gäfgen dem Vernehmen nach nicht hinnehmen.

Zum anderen scheinen ihm die zugesprochenen 3.000 Euro nicht zu genügen. Er denke, so ließ sein Anwalt durchblicken, über eine Berufung nach, über die dann das Oberlandesgericht Frankfurt zu entscheiden hätte.

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