Mit Jungstar Chloe Moretz

1983 in Los Alamos / New Mexico: Ein grauenhaft entstellter Mann wird ins Krankenhaus eingeliefert. Handelt es sich bei ihm um den seit lange gesuchten Serienkiller, der die Stadt in Atem hält? Ehe ihn die Polizei verhören kann, schafft es der Verdächtige jedoch aufzustehen und sich durch einen Sprung aus dem Fenster das Leben zu nehmen. Seltsamerweise hat er eine letzte Botschaft hinterlassen: Auf einen Zettel kritzelte er den Namen "Abby".

Wer "Abby" ist, hat einige Tage zuvor der junge Owen (Kodi Smit-McPhee) erfahren, als er sie auf dem Spielplatz der trostlosen Plattenbausiedlung trifft. Zunächst fasziniert ihn, dass sie barfüßig durch den Schnee läuft. Doch schon bald lernt er Abby (Jungstar Chloe Moretz) etwas besser kennen. Für den schüchternen, in der Schule drangsalierten Jungen beginnt eine wunderbare Freundschaft. Denn Abby kennt keine Furcht und ist somit ganz anders als er selbst, der Tag für Tag gequält und gedemütigt wird. Langsam aber sicher färbt das Selbstbewusstsein auf Owen ab, der allerdings erkennen muss, dass Abby offenbar ein Vampir ist …

Remake des Horrorfilms "So finster die Nacht"

Remakes zählen zur stolzen Tradition Hollywoods. Etwa seit den 1990er Jahren hat sich eine weitere Subkategorie hinzugesellt: Remakes ausländischer Filme, die in ihrer Heimat enorm erfolgreich waren. Der Vorteil für die US-Studios liegt auf der Hand: Zum einen hat der Stoff seine Erfolgstauglichkeit bereits bewiesen, zum anderen kann man dem amerikanischen Publikum vorgaukeln, dass es eine völlig frische Filmidee aufgetischt bekommt. Naturgemäß fallen viele dieser Adaptionen für den US-Markt dürftig aus und entbehren des Charmes oder unübersetzbaren Wortwitzes des Originals.

Wie Gore Verbinski 2002 mit seinem "Ring"-Remake bewies, übertreffen manche Remakes mitunter das Original (was in diesem besonderen Fall nicht allzu schwierig war, da die japanischen "Ringu"-Filme zäh bis an die Grenze der Langeweile sind). In diese Kategorie fällt "Let Me In", das Remake des schwedischen Horrorfilm "So finster die Nacht", gewiss nicht. Trotzdem kann sich Regisseur Matt Reeves, bekannt für den Blockbuster "Cloverfield", auf die Fahnen heften, eines der besseren US-Remakes inszeniert zu haben.

Anstößige Szenen entfernt: „Let Me In“

An das Original aus 2008 konnte die Neuadaption unmöglich heranreichen. Das auf John Ajvide Lindqvists basierende Horrormärchen "So finster die Nacht" begeisterte durch Atmosphäre, lokalen Charme, die unverbrauchten Schauspieler und die ungemein düstere Inszenierung. Zwar schrieb Bestsellerautor Lindqvist am Drehbuch für das US-Remake mit, an den Konventionen des US-Marktes konnte er aber nicht rütteln. Jegliche "anstößigen" Szenen wurden ebenso außen vor gelassen, wie die gleichermaßen im Buch wie im Originalfilm unverblümten pädophilen Neigungen eines der Protagonisten. Dies konnte dem Publikum (und natürlich der Kritik) wohl nicht zugemutet werden und wurde deshalb ersatzlos gestrichen.

Während in "So finster die Nacht" Oskars Mutter eine überforderte Alleinerzieherin ist, was als gesellschaftliche Kritik an der gezielten Zerstörung der Kernfamilie aufgefasst werden kann, mutiert diese in "Let Me In" zur religiösen Spinnerin. Zudem erfährt der vielschichte Charakter des Vampirs eine für Kenner des Originals ärgerliche Simplifizierung. Möglicherweise spielte finanzielles Kalkül eine entscheidende Rolle; wie jedoch die verstörende Natur des Vampirs mit allen sich daraus entspinnenden Implikationen aufs Mainstreammaß zurechtgestutzt wird, spiegelt künstlerische Feigheit wieder.

„So finster die Nacht“: Lindqvist entromantisiert Vampire

Doch genug der Kritik: "Let Me In" kann als durchaus gelungenes Remake betrachtet werden, was nicht zuletzt daran liegt, dass Matt Reeves den lyrischen Unterton des Originals aufs Amerikanische überträgt und erfolgreich adaptiert. Mit Kodi Smit-McPhee und Jungstar Chloë Moretz ("Kick-Ass") standen ihm zwei Schauspieler der seltenen Spezies "Kinderdarsteller, die nicht nerven" zur Verfügung. Gleich "So finster die Nacht", ist das US-Remake "Let Me In" die Antithese zur schwülstigen "Twilight"-Verklärung jener dunklen Kreaturen, die einst für Schrecken, heute für romantische Kitsch-Seifenopern sorgen. Hierfür muss man John Ajvide Lindqvist danken: Er setzt Vampire auf ihren angestammten Platz zurück, statt sich dem Romantik-Vampir-Trend anzuschließen.

Wer "So finster die Nacht" gesehen bzw. gelesen hat, wird von "Let Me In" zwar nicht enttäuscht, aber auch nicht überrascht werden. Die wichtigsten Schlüsselszenen sind im Remake enthalten, ohne allzu viele eigene Ideen einzubringen. Gesellschaftlich relevanter bleibt ohnehin Lindqvists Roman, der neben Pädophilie die insbesondere in skandinavischen Ländern zersplitternden Familienstrukturen auf subtile Weise zum zentralen Element des Romans macht. Bedrückend ist sie, die Einsamkeit inmitten der Trabantenstädte, und diese Entmenschlichung von unserer Natur streicht Lindqvist auf eindrucksvolle Weise hervor, ohne belehrend oder besserwisserisch zu wirken.

Auch in diesem Punkt hinkt "Let Me In" der gesellschaftlichen Aussage etwas hinterher, sind es doch hier die fast schon liturgisch zu nennenden Ansprachen des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan, die sich perfekt in den Kontext des religiösen Wahns von Owens Mutter einfügt. Freilich sprechen wir hierbei von einer längst verflossenen Ära, die in ihrem Sendungsbewusstsein mit der etatistischen Kampfrhetorik eines Obama – und natürlich aller anderen politischen Lichtgestalten – kaum etwas gemeinsam hat. Das gewaltsame Auseinanderreißen natürlich gewachsener Strukturen, auf dem Reißbrett wahnhafter sozialistischer Allmachtsphantasien geplant und in die schreckliche Tat umgesetzt, besitzt weitaus größere Bedeutung und vor allem Relevanz.

So gekonnt "Let Me In" auch inszeniert sein mag, kann es dem nahezu perfekten Horrorfilm "So finster die Nacht" nicht das Wasser reichen. Genau hierin liegt die Crux vieler Remakes: Die Originalstoffe bedürfen keiner Adaption, noch dazu im zeitlichen Abstand von nur zwei Jahren, wie in diesem Fall. John Carpenters "Das Ding aus einer anderen Welt" ist dem Original dank der ausgefeilten Tricktechnik und der furchteinflößend klaustrophobischen Inszenierung überlegen. Ein Kunststück, das nur wenige Remakes schaffen.

"Let Me In": Entschärftes "So finster die Nacht“

 "Let Me In" gehört nicht in diese Kategorie. Trotz hervorragender Hauptdarsteller, einer über weite Teile hinweg mit dem Original identen Story und visuell dem Zeitgeist der 1980er Jahre angepasster Inszenierung erweist sich der Streifen als im Grunde überflüssig. Als eigenständige Interpretation gegenüber "So finster die Nacht" hätte der Film vielleicht eine interessante neue Perspektive einnehmen können. Doch manche Szenen sind nahezu 1:1 dem Original entnommen und sorgen bei Kennern von "So finster die Nacht" für ein Déjà-vu –Erlebnis nach dem anderen.

Fazit: Fürs US-Publikum entschärftes Remake des Horrorfilms "So finster die Nacht", das hervorragend inszeniert ist, sich vor den heiklen Themen und Implikationen des Originals jedoch drückt und den wohl mutigsten Aspekt völlig kappt. Alles in allem ein sehenswertes Remake, so man weder den Film, noch den Roman "So finster die Nacht" kennt. Jedem Filmfan sei deshalb ausdrücklich das grandiose, weil verstörende Original empfohlen.

Originaltitel: Let me in

Regie: Matt Reeves

Produktionsland und -jahr: USA/GB, 2010

Filmlänge: ca. 116 Minuten

Verleih: Universal

Deutscher Kinostart: 15.12.2011

FSK: Freigegeben ab 16 Jahren

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