Österreich Mostviertel: mit Leidenschaft gegen die Europäisierung

Ein klein wenig großspurig kommt es ja schon daher, das südwestliche der vier Viertel des Bundeslandes Niederösterreich: Mostviertel nennt es sich und will damit sagen, dass es auch etwas zu bieten hat neben dem Weinviertel Niederösterreichs, neben dem Waldviertel, neben dem Industrieviertel (ganz einmal abgesehen von Wien und seiner Umgebung).

Vier Viertel also in Niederösterreich mit seiner Zentrale namens St. Pölten. Amstetten aber, die Bezirkshauptstadt, hat im April 2008 dem Mostviertel einen argen Dämpfer aufgesetzt: als herauskam, dass Josef Fritzl seine Töchter jahrzehntelang versklavt und missbraucht hatte. Die Medien schlugen Kapriolen und schrieben das Mostviertel ins vorvergangene Jahrhundert zurück. Das tut weh und ist kaum auszuradieren.

Aber nichts ist, wie es der erste rasche Blick behauptet: Man muss nur höllisch aufpassen in einem Europa, das sich harmonisieren, also wie der Werkzeugmacher auf Millimeter genau alles abschleifen will, was Splitter und Schiefer zeigt, damit herauskomme ein jederzeit identisches Produkt: Die McDonaldisierung des Lebens aber ist nicht überall möglich. Sie ist, erst recht nicht, überall wohl gelitten – willkommen im Mostviertel! Willkommen bei den Mostbaronen!

Der Mostbaron: geadelt durch Apfelmost und Birnenmost

Wenn man zwischen, sagen wir, Melk und Seitenstetten die Hauptstraße verlässt, wird man nach einigen wenigen Metern den Blick sicherheitshalber auf die Tankanzeige lenken: Noch genug drin für den Rücksturz in die Zivilisation? Da wechselt die Landschaft von eng gestrickten Hügeln zu geplätteten Einsamkeiten: Felder bis an den Horizont. Auf den Hügeln und auf der Ebene kleben, eckigen Warzen gleich, die Vierkanthöfe und sagen, wer hier das Sagen hat: die Bauern, die, wenn sie den Most aus den Früchten pressen, zu Mostbaronen geadelt werden. "Die Häuser hat der Most gebaut", sagte man früher im Mostviertel. Und wer erfolgreich war, wurde Mostbaron und durfte den schwarzen Hut tragen mit der roten Schleife und dem weißen Adlerflaum. Und heute?

Schwarz, rote Krempe, Flaum vom Adler
Links der Hut des Mostbarons ...

Links der Hut des Mostbarons, rechts eine Goldhaube für Frauen

Heute darf sich Mostbaron nennen, der sich einsetzt für die Tradition (was Bewahren bedeutet) und für die Mostkultur (was Fördern heißt). Das muss mit Leidenschaft geschehen, kann nur mit Leidenschaft geschehen: mit Leiden schaffen, denn so mancher aus dem Mostviertel leidet an Europa und seiner Millimeterarbeit. Dann wird erst recht der hochstämmige Birnbaum gesät, der Apfelbaum gepflanzt, damit die Biene komme, um dem lieben Gott bei der Schöpfung unter die Arme zu greifen.

Eindrücke aus dem Mostviertel

Spiel und Spaß im MostBirnHaus (Bild: alle Fotos © Johannes Flörsch)

Das MostBirnHaus: So kommt das Feuer in den Most

Streuobstwiesen heißen die endlos und brachliegend scheinenden Weiden. Hier wächst ja nichts, würde der Ökonom protestieren, nutzlos gewordenes Stück Land! Doch der Mensch mit dem Blick auf die Effizienz hat Unrecht: Was hier ausschaut wie aus einem Heimatfilm der 1950er Jahre, ist, natürlich, auch ein Stück Heimat, und heil ist es beileibe nicht, aber heilsam: Das Auge freut sich, die Lunge atmet auf, die Seele entspannt. Das gilt ganz besonders Ende April, wenn die Natur in den Mai tanzen will und weiße und lilafarbene Krönchen in die Äste der Betzelsbirne schmuggelt, der Dorschbirne, der Grünen Winawitz oder der Schmotzbirne. Dann wird das Mostviertel vollends zur Monarchie, die Barone schätzen zum ersten Mal die Zukunft in Hektoliter, genau gemessen wird im Herbst nach der Ernte.

Ernte, ein mühsames Geschäft im späten Sommer, im frühen Herbst! Mit langen Stangen bewehrt, rütteln die Helfer an den Bäumen. Die Früchte des Mostviertels regnen herab, werden von Händen aufgeklaubt oder vom Mostigel, einer Obstauflesemaschine, die aber nicht jede Frucht erwischt.

Birne, haben wir gesagt, doch der Apfel spielt mit im Konzert von Most, wenn auch vielleicht nur als Triangel. Aus Birne und Apfel werden im Viertel der Most vergoren und der Brand gewonnen. "G'sundheit, soist leben!" – Gesundheit! Sollst leben! lautet der Trinkspruch, wenn die Most- und Brand-Gläser klingen. Übrigens, Brand heißt: aus reinem Most. Der Brand liefert mehr Feuer als die 5 bis 6 Vol %, mit denen der Most wärmt – bei sortenreinem Most können das auch mal 8 Vol. % sein. Wie das vor sich geht, das Vergären, das Keltern, das Brennen, zeigt die liebevolle Ausstellung im MostBirnHaus im Ardagger Stift, diese niedliche Variante des fantastischen Loisiums, und klärt der Besuch bei einem Most-Sommelier. Also denn: "G'sundheit! Sollst leben!"

Szenen einer Landschaft

Streuobstwiese mit Vierkanthof

jofl, am 21.04.2015
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Bildquelle:
johannes flörsch (Romantische Orte in Portugal)
Lisa Stadler (Fotobuch und Fotokalender gestalten)

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