Norton I. posierte gern martialisch in kaiserlichem Ornat. (Bild: Zeitgenössischer Fotograf (vor 1880))

Proklamation und politisches Programm

Norton I. war Kaiser von eigenen Gnaden. Warum auch nicht? Hatten sich doch Napoleon I. und Franz I. von Österreich auch selbst zu Kaisern ernannt. Wie ernst es ihm mit seiner Thronbesteigung war, stellte Norton I. bereits in seiner Proklamation klar:

"Kraft dieser mir dadurch zuteil gewordenen Autorität ordne ich an und befehle, dass sich die Repräsentanten der einzelnen Bundesstaaten der Union am ersten Tag des kommenden Februar in der hiesigen Music Hall zu versammeln haben, um dortselbst entsprechende Änderungen im bestehenden Recht der Union vorzunehmen, die Verderbtheiten, unter denen das Land zu leiden hat, abstellen und dadurch Vertrauen in das Dasein schaffen sollen...".

Missstände, denen er abzuhelfen gedachte, nannte er mit schonungsloser Offenheit beim Namen:

  • "Betrug und Korruption, die [die] ehrliche und angemessene Äußerung des Volkswillens verhindern" und
  • "offene Verstöße gegen die Gesetze..., die von Banden, Parteien, politischen Vereinigungen und Sekten angestachelt werden".

Konsequent erklärte Norton I. am 12. Oktober 1859 den US-Kongress als Legislative für überflüssig und verfügte dessen Auflösung.

 

Widerstände

Die in den Tageszeitungen San Franciscos veröffentlichten kaiserlichen Weisungen wurden von den Gouverneuren der Bundesstaaten nicht zur Kenntnis genommen. Auch die Politiker in Washington zeigten wenig Neigung, sich für die radikalen Reformpläne des Kaisers zu erwärmen. In Anlehnung an ein bekanntes Motto der Russen sagten sie sich: die USA sind groß und der Kaiser ist weit...

Erbost durch den hinhaltenden Widerstand sah sich Norton I. gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, um das unbotmäßige Establishment seinem kaiserlichen Willen zu unterwerfen. Im Januar 1860 ließ er durch seine Staatsorgane verkünden, er gedenke nun mit militärischen Mitteln gegen die "Rebellen" vorzugehen, um seine Weisungen durchzusetzen:

"Während eine Gruppe von Menschen, die sich selbst der Nationalkongress nennt, in offener Verletzung Unseres kaiserlichen Erlasses vom 12. Oktober letzten Jahres...zur Zeit in Washington tagt - wohingegen es höchst notwendig für das Ansehen unseres Reiches ist, dass diesem Erlass strikt Folge geleistet wird - geben wir daher nun hiermit den Befehl und Anweisung an Generalmajor Winfield Scott, den Oberbefehlshaber unserer Armeen, unverzüglich mit gegebenem Nachdruck die Hallen des Kongresses zu räumen".

Sehr zum Verdruss des Regenten weigerte sich die Armee aber, der an sie ergangenen allerhöchsten Order Folge zu leisten. Derart herausgefordert erließ der Kaiser eine ganze Reihe von Dekreten mit dem Ziel, den störrischen Kongress auszuschalten. Das letzte Mittel, sich des US-Parlaments zu entledigen, sah er darin, die Verfassung außer Kraft zu setzen und die Republik abzuschaffen. Und da der Kaiser schon einmal dabei war, verbot Norton I. am 04. August 1869 kurzerhand gleich noch die beiden großen Parteien des Landes, die Republikaner und die Demokraten. In ihnen hatte er die Ursache der im Land obwaltenden Zwietracht ausgemacht.

Auch die weitere kaiserliche Regentschaft Norton I. war geprägt von zahlreichen Auseinandersetzungen mit den etablierten Machtstrukturen und ihrer Repräsentanten. Freilich blieb ihm nichts anders übrig, als dem Kongress die Weiterarbeit gnädigst zu gestatten.

 

Kaiserliche Fiskalpolitik

Norton I. gewährte sich das Privileg einer eigenen, kaiserlichen Währung. Er ließ eigene Centmünzen und Dollarnoten herausgeben, die in San Franciscos Geschäften, Hotels und Restaurants tatsächlich als halboffizielle Zahlungsmittel anerkannt wurden. Die wenigen erhaltenen Exemplare sind heute begehrte Sammlerstücke. Dennoch litt der Monarch ständig unter pekuniärer Knappheit. Um seine kargen Staatsfinanzen aufzubessern, suchte er die Banken um Kredite in Millionenhöhe nach. Die Direktoren hingegen, vollkommen über die Bonität ihres Klienten im Bilde, komplimentierten den prominenten Kreditkunden höflich aus ihren Vorstandsetagen.

Der Kaiser musste nach anderen Wegen suchen, seiner Staatskasse Einnahmen zu sichern. Mit dem ihm eigenen Einfallsreichtum fand er rasch eine Möglichkeit, seinen Untertanen in die Taschen zu greifen, wobei er freilich sehr darauf achtete, sich nicht dem Vorwurf ungerechtfertigter und willkürlicher Steuereintreiberei auszusetzen. In einem Erlass aus dem Jahr 1872 stellte er den respektlosen Gebrauch der Bezeichnung "Frisco" (für San Francisco) unter Geldstrafe:

"Jeder, der nach ausdrücklicher Warnung bei der Benutzung des fürchterlichen Begriffs Frisco, welcher keine sprachliche oder sonstige Berechtigung hat, ertappt wird, wird groben Fehlverhaltens für schuldig erachtet werden und hat dem Kaiserlichen Schatzamt zur Strafe eine Summe von fünfundzwanzig Dollar zu entrichten".

Diese Maßnahme hätte dem Schatzamt bei konsequenter Umsetzung sicherlich regelmäßige Einnahmen garantiert, doch fehlte es dem Kaiser an der nötigen Exekutive, die sie hätte eintreiben können.

 

Die selbst auferlegten kaiserlichen Pflichten

Seine Pflichten als Monarch nahm Norton I. sehr ernst. Da er über keine Polizeitruppe verfügte, ging der Monarch höchstselbst mehr als zwanzig Jahre lang in den Straßen von San Francisco auf Streife. Er kontrollierte den Stand der öffentlichen Ordnung und inspizierte sorgfältig den Zustand der Gehwege und anderer kommunaler Einrichtungen an seinem Regierungssitz. Falls notwendig, mahnte er bei der Stadtverwaltung eine Instandsetzung an. Den Leiter der Straßenbahngesellschaft wies er an, eine unsichere Schraube an der Clay Street Railroad auszuwechseln. Auch die Pünktlichkeit der Straßenbahnen überwachte der Kaiser höchstpersönlich. Zudem warf er ein strenges Auge auf das Erscheinungsbild der Polizei. Diese vorbildliche Pflichterfüllung verhalf dem Kaiser rasch zu großer Beliebtheit bei seinen Untertanen. Bald sollte er sich zu noch Größerem berufen fühlen.

 

Der Außenpolitiker Norton

Norton I. regierte sein Reich mit mehr Weitsicht und staatsmännischer Klugheit als manch einer seiner innenpolitischen Widersacher. Außenpolitisch hingegen gab sich der eher gutmütige Kaiser hart und unbarmherzig. Als der österreichische Erzherzog Maximilian 1864 zum Kaiser von Mexiko ausgerufen wurde, verurteilte Norton I., der sich auch "Protektor von Mexiko" nannte, den "Thronräuber" zum Tode. Ironie des Schicksals: Maximilian wurde tatsächlich drei Jahre später standrechtlich erschossen. Édourd Manets Gemälde, das den Augenblick der Hinrichtung eindringlich vor Augen führt, hätte sich Norton I. sicher voller Genugtuung in sein Amtszimmer gehängt.

 

Auf Ausgleich bedacht

Norton I. wollte ein überkonfessioneller Herrscher sein. Es lag ihm sehr an einem guten Einvernehmen zwischen den unterschiedlichen Glaubensrichtungen. Jeden Sonntag beehrte er eine andere Kirche mit seiner Teilnahme am Gottesdienst, da er sonst konfessionelle Streitigkeiten befürchtete. Der Legende nach soll sich Norton I. während einer der damals häufigen Ausschreitungen gegen chinesische Einwanderer zwischen die Fronten gestellt haben. Kraft seiner Autorität und seiner zur Schau gestellten Glaubensstärke sei es ihm gelungen, die aufgeputschten Massen an einer blutigen Auseinandersetzung zu hindern.

 

Wertschätzung durch das Volk

Wegen seiner persönlichen Anteilnahme an den Sorgen und Nöten seiner Untertanen stieg der Kaiser rasch zu einer respektierten Berühmtheit auf. In den Senatssitzungen des Staates Kalifornien, denen er regelmäßig beizuwohnen pflegte, wurde eigens für ihn ein Sitzplatz reserviert. Die öffentliche Wertschätzung war so groß, dass Norton I. an den feinsten Adressen San Franciscos unentgeltlich bedient wurde. Bei kulturellen Veranstaltungen gehörte es zum guten Ton, dem kunstsinnigen Monarchen, der oft in Begleitung seiner beiden Hunde Lazarus und Bummer erschien, einen Logenplatz zu reservieren. Seine Werbewirksamkeit erkennend zierten die Besitzer von noblen Restaurants und Theatern ihre Pforten mit Messingtafeln, auf denen sie sich als Dienstleister "Seiner Kaiserlichen Majestät, Kaiser Norton I. der Vereinigten Staaten" auswiesen. Als 1863 der Hund Lazarus bei einem Unfall starb, war eine regelrechte Staatstrauer die Folge. Als ihm Bummer 1865 nachfolgte, verfasste kein geringerer als Mark Twain die Inschrift für den Grabstein. Einen vergleichbaren Aufwand hatte bisher nur der Preußenkönig Friedrich der Große mit seinen geliebten Jagdhunden getrieben.

 

Ein Polizist begeht Hochverrat

Zwar findet sich in den Listen der Volkszählung von 1870 unter dem Namen Joshua Norton tatsächlich die Berufsbezeichnung "Emperor" (Kaiser), jedoch versehen mit dem wenig schmeichelhaften Vermerk "insane" (geisteskrank). Bereits 1867 hatte ein übereifriger Polizist den Versuch unternommen, den Kaiser zu verhaften und ihn auf seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen. Sowohl die Öffentlichkeit als auch die Presse reagierten mit Empörung auf diesen unerhörten Fall von Majestätsbeleidigung. Der Polizeichef von San Francisco musste Norton I. auf Druck der Bevölkerung auf freien Fuß setzen und sich förmlich für diesen "Hochverrat" entschuldigen. Seit diesem skandalösen Vorfall erwiesen die Polizisten dem Kaiser respektvoll eine Ehrenbezeigung, wenn sie seiner ansichtig wurden. Er wird den Gruß sicher huldvoll erwidert haben.

 

Des Kaisers alte Kleider

Norton I. verstand sich nicht nur formal als Kaiser. Er legte auch größten Wert auf eine stattliche äußere Erscheinung. Sein bevorzugtes Outfit war eine blaue Offiziersuniform aus Armeebeständen mit goldenen Epauletten, eine Koppel mit Säbel und ein mit Federn und Kokarde geschmückter Zylinderhut. Mitunter krönte er sein Haupt auch mit einer Kavalleristenmütze, was ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem französischen Kollegen Napoleon III. verlieh. Nachdem an dem stark beanspruchten kaiserlichen Gewand der Verschleiß allzu augenfällig geworden war, erließ Norton I. ein Edikt, in dem er bei seinen säumigen Lieferanten Ersatz anmahnte:

"Hiermit mache ich euch darauf aufmerksam, dass Wir, Norton I., Kaiser Dei gratia der Vereinigten Staaten und Protektor von Mexiko, ernsthafte Beschwerden seitens unserer Anhänger vernommen haben, dass unsere kaiserliche Garderobe eine nationale Schande ist...Wir warnen deshalb diejenigen, deren Aufgabe es ist, sich um diese Angelegenheiten zu kümmern, daß ihr Skalp in Gefahr ist, falls man unseren besagten Bedarf nicht deckt."

Die um ihre Skalps besorgten Beamten der Stadtverwaltung beeilten sich, dem Kaiser das Geld für eine neue Uniform zu bewilligen. Zutiefst bewegt erhob dieser seine getreuen Staatsdiener in den Adelsstand.

 

Ein Kaiser mit Weitsicht und technischem Verständnis

Trotz seiner Exzentrizität und mancherlei Absonderlichkeiten regierte Norton I mit bemerkenswerter Weitsicht und Klugheit. In einem Edikt verfügte er die Gründung eines "Völkerbundes", der 1919 nach dem ersten Weltkrieg tatsächlich ins Leben gerufen wurde. Ein ums andere mal bewies der Kaiser technischen Sachverstand. 1872 hatte er die Bürger von San Francisco und Oakland aufgefordert, "angemessene Mittel zur Prüfung eines Brückenbauprojektes...und ebenso für einen Tunnelbau bereit[zu]stellen...und zu ermitteln, welches das bessere Projekt ist." Leider hat auch die Androhung, die Mitglieder beider Stadtverwaltungen wegen Missachtung der kaiserlichen Autorität durch die Armee festnehmen zu lassen, die Brieftaschen nicht zu öffnen vermocht. Mit dem Bau besagter Brücke wurde erst 1933 begonnen. Leider war Oakland strikt dagegen, das Bauwerk nach seinem geistigen Vater zu benennen.

 

Die letzten Regentschaftsjahre

In seinen letzten Lebensjahren scheint Norton I. auch international die Anerkennung gefunden zu haben, nach der er so lange gestrebt hatte. Der brasilianische Monarch Pedro II. stattete ihm anlässlich eines Aufenthalts in den USA einen Besuch ab. Queen Victoria pflegte mit ihm transatlantische Korrespondenz. Wenn es ihm auch nicht gelungen ist, das republikanische System der USA in ein Kaiserreich zu verwandeln, haben ihn "seine" Untertanen letztendlich als Menschen und Monarchen akzeptiert. Als der Kaiser am 8. Januar 1880 mit ungefähr 65 Jahren auf dem Weg zur National Academy of Science zusammenbrach, veröffentlichte tags darauf der San Francisco Chronicle unter der Überschrift "LE ROI EST MORT" folgenden Nachruf:

"Umgeben von einer rasch versammelten Menge staunender Fremder, verstarb Norton I., von Gottes Gnaden Kaiser der Vereinigten Staaten und Schutzherr von Mexiko."

Ein nicht abreisender, von Polizisten mit Trauerflor geordneter Menschenstrom erwies dem toten Kaiser in seinem bescheidenen Zimmer die letzte Ehre. Sämtliche Flaggen wehten auf Halbmast.

 

Beisetzung eines Monarchen

Da Norton I. völlig mittellos gestorben war - seine gesamte Barschaft betrug bei seinem Tod kaum zehn Dollar - sammelte ein Verband von Geschäftsleuten die nötigen Mittel, um dem Kaiser ein Armengrab zu ersparen. Die Quellen sprechen von bis zu 30000 Menschen, die allein an der würdigen Beisetzung des Kaisers Teil genommen hatten. Weit mehr Trauernde säumten dicht gedrängt die Straßen, als sich der Leichenzug zum Masonic-Friedhof bewegte. 1934 fand Norton I. seine letzte Ruhestätte auf dem Woodlawn-Friedhof in Colma, Kalifornien. Auf seinem Grabstein steht zu lesen: "Norton I., Kaiser der Vereinigten Staaten, Schutzherr von Mexiko". Vergessen ist er bis heute nicht. Mark Twain setzte ihm in Gestalt des Königs in Huckleberry Finn ein literarisches Denkmal. Auch die Autoren der Comicserie "Lucky Luke" (Zeichnungen: Morris; Text: Rene Goscinny) widmeten eine Episode ihres Helden dem Kaiser von Amerika.

 

Quellen:

  • David Weeks & Jamie James: "Exzentriker – über das Vergnügen, anders zu sein" Rowohlt Verlag, 1997
  • Catherine Caulfield: "The Emperor of the United States and other Magnificent British Excentrics" London, 1983
  • Allan Stanley Lane: "Emperor Norton" San Francisco, 1939

Bildnachweis: Zeitgenössische Fotografen (vor 1880)

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