Oh, là, là! Jean-Michel Jarres zeitloser Klassiker "Oxygene"

Vater Maurice Jarre

Kinder berühmter Eltern stehen meist im Schatten von deren Erfolgen. Eine Ausnahme dieser ungeschriebenen Regel bildet Jean-Michel Jarre. Dabei schien es kaum möglich, den Ruhm seines Vaters Maurice Jarre zu übertreffen. Immerhin schrieb dieser die Musik zu legendären Filmen wie "Doktor Schiwago", "Shogun" oder "Lawrence von Arabien" und gewann unter anderem drei Oscars.

Zugegeben: Einen Oscar wird der am  24. August 1948 in Lyon geborene Jean-Michel Jarre trotz "Oxygene" wohl nie erhalten. Seine beeindruckenden Erfolge - nahezu 100 Millionen Alben soll er bislang verkauft haben - dürften ihn über diese Tatsache hinwegtrösten. Sein bis heute berühmtestes, wie auch meistverkauftes Album überhaupt, ist der aus dem Jahr 1976 stammende Klassiker "Oxygene". Ein epochales Werk, das man bereits alleine dank des schaurig-schönen Covers unmöglich vergessen kann und das seither ganze musikalische Generationen geprägt hat.

Oxygene I - IV

Jean-Michel Jarres Meisterwerk: Oxygene

Jedes Musikgenre hat seine Meisterwerke. Natürlich gilt dies auch für die elektronische Musik, die leider allzu gerne mit "New Age" in einen Topf geschmissen wird. Zu Unrecht, wie Jean-Michel Jarres "Oxygene" auf beeindruckende Weise belegt.

Gestatten Sie mir eine persönliche nostalgische Zeitreise in die 1970er-Jahre. Als Kind jener Zeit wuchs ich mit den Beatles und den Rolling Stones, mit Supertramp und Queen, Glam-Rock, New Wave und Punk auf. Doch zwischen all diesen Musikgiganten ragte ein auf mich zunächst kurios wirkendes Album heraus.

Eher zufällig entdeckte ich jenes schaurige Plattencover eines Totenschädels, dem das Fleisch in blutigen Fetzen von den blanken Knochen hängt. Bei genauerer Inspektion stellte ich verwirrt fest, dass es sich um die Erdkugel handelte. Dazu noch dieser merkwürdige Titel: "Oxygene". Was sollte all dies bedeuten? Erst später wurde mir die Symbolik des Covers bewusst.

Vom ersten Ton an war ich dem brillanten Konzeptalbum verfallen. Seither begleitet mich "Oxygene" wie ein unaufdringlicher, aber stets präsenter Freund durchs Leben.

Weitere Meisterwerke von Jean-Michel Jarre

Zeitreise mit Jean-Michel Jarre

Schließlich verkauft sich Jean-Michel Jarres Werk nach wie vor blendend und beeinflusste ganze Musikergenerationen. Dermaßen atmosphärische verströmte weder zuvor, noch danach irgendein Album den Odem des Mystischen. Natürlich bleibt es der Interpretation des jeweiligen Zuhörers überlassen, in welche Phantasiewelten ihn der Klangteppich trägt.

Vielleicht lag es an meiner Faszination für die Urzeit des Lebens auf Erden, dass mich die einzelnen, ineinander fließenden Stücke von "Oxygene" an die Schöpfungsgeschichte erinnern.

 

Oxygene I

Beginnend mit der Entstehung des Kosmos, von Zeit und Raum, den Planeten und somit der Erde, schleudert der Synthesizersound den Keim des Lebens in das brodelnde Chaos des noch jungen Planeten. Allmählich erkaltet das Inferno und endlich kann das Leben Wurzeln schlagen. Unglaubliche Artenvielfalt prägt

 

Oxygene II

"Part 2". Die Evolution wirbelt das Antlitz des einst öden Himmelkörpers durcheinander, lässt Fauna und Flora nicht nur gedeihen, sondern wild in alle möglichen und unmöglich scheinenden Richtungen sprießen.

 

Oxygene III

In "Part 3" endlich bevölkern die Giganten der Urzeit den Planeten. Das Gewicht ihrer Körper und ihre rohe Wildheit lassen die Erde erzittern, symbolisiert durch die Drums, die durch Mark und Bein gehen. Und doch: Es sollte ein Intermezzo bleiben, an dessen Ende ein neues Zeitalter herandräute: Die Ära der Säugetiere! Aber noch beherrschen die Nachbeben des Artensterbens das Bild der Evolution und nur zaghaft erinnert sich das Leben an seine einstige, verschwenderische Fülle an Variationen und Ausprägungen

 

Oxygene IV

"Part 4" hält sich entsprechend dezent zurück.

 

Oxygene V

Mit der Zurückhaltung ist es in "Part 5" von "Oxygene" zu Ende. Eine neue Spezies betritt zögernd die Bühne der Welt: Der Mensch! Die religiös anmutende Ehrfurcht wird brachial von den technischen Revolutionen übertönt, die eben jenes seltsame neue Geschöpf in atemberaubenden Geschwindigkeiten ersinnt. Maschinell und präzise hämmert die Musik durch die Gehörgänge. Schneller, immer schneller pulsiert der Beat, bis die Hektik in einem melancholischen Schlussakt abebbt und sich auf das Leitthema konzentriert:

 

Oxygene VI

Oxygene – Sauerstoff! Das kostbarste aller Güter, dem wir im Alltagsleben kaum Beachtung schenken, da wir es als gegeben erachten. Jean-Michel Jarres Schlussakt schärft das Bewusstsein für die Kostbarkeit jedes Atemzuges, indem er elektronisch verfremdet das Ein- und Ausatmen hervorhebt.

Nach etwa 40 Minuten ist der musikalische Zauber beendet und lässt den Zuhörer in einem seltsam entrückten Stadium zurück. Im idealen Falle regt das Album zum Nachdenken an. Nachdenken darüber, wie zerbrechlich diese winzige blaue Kugel im düsteren, bedrohlichen Kosmos schwebt, und wie sorglos wir mit ihr, unserer einzigen Heimat, umgehen.

Eine Botschaft, die heute genauso wie bei der Veröffentlichung von "Oxygene" gilt und – so steht zu befürchten – zeitlos sein dürfte. Denn nicht die Natur braucht den Menschen, sondern der Mensch braucht die Natur.

Albumtitel: Oxygene

Interpret: Jean-Michel Jarre

Veröffentlichungsjahr: 1976 (Frankreich), 1977 (weltweit)

Länge: 39 Minuten, 44 Sekunden

Label: Dreyfus (Soulfood)

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