Ein fast vergessener Großer des Pop ruft sich wieder in Erinnerung: Steve Miller, 68. Sein Schlager "Take The Money And Run" wird dieser Tage gern zitiert. An sich von einem bewaffneten Banküberfall handelnd, scheint er haargenau die Mentalität von Managern, Banken-Chefs und CEOs zu beschreiben: Abkassieren und hinter mir die Sintflut.

"Take The Money And Run" war einer von drei Hits von Millers Erfolgs-Album "Fly Like An Eagle". Die anderen zwei waren "Rock'n Me", der Song mit dem vom Free-Hit "Allright Now" ausgeborgten Intro, sowie der Titeltrack "Fly Like An Eagle", für dessen einleitendendes Riff Miller ebenfalls eine Anleihe nahm – diese jedoch bei seinem eigenem Stück "My Dark Hour".

"Fly Like An Eagle": "Revolutionäre" Urfassung 

"Fly Like An Eagle" vermittelt die Sehnsucht nach einer Auszeit von der realen Welt und ihren Nöten. Es bringt zwar Probleme wie Obdachlosigkeit und Hunger zur Erwähnung, verheißt aber eine konfliktlose Lösung – ohne freilich zu verraten, wie diese aussehen soll.

Als der Song 1976 veröffentlicht wurde, war er bereits drei Jahre alt. Auf You Tube kann in guter Tonqualität seine ursprüngliche Fassung gehört und gesehen werden und solchermaßen nachvollzogen werden, welch fundamentalen Wandel er vom Entwurf bis zur Vinyl-Version durchgemacht hat.

Nicht nur, dass er ursprünglich viel dichter, bluesiger angelegt war als die buchstäblich federleichte (Eagle!) Studiofassung und Miller die Synthesizer-Effekte hier noch (virtuos) mit der Gitarre spielt – welch ein Unterschied vor allem im Text!

 "What about the children
with no shoes on their feet
what about the people, yeah
living in the street
what about the babies
who don't have enough to eat –
oh lord, what about a revolution!
I wanna fly like an eagle
to the sea
wanna fly like an eagle
let my spirit carry me
fly like an eagle
till I'm free
I wanna fly to the revolution.
Time keeps on slipping, slipping away
time keeps on drifting, day by day
time keeps on taking me away

Oh, from the revolution"

Ursprünglich war also ein leidenschaftlicher Aufruf zur Revolution, was sich letztendlich als esoterisch angehauchtes Stück Eskapismus präsentierte.

Miller war geprägt vom San Francisco der 60er Jahre 

Es ist aufschlussreich, Millers Sozialisation und Karrierekurve zum Zeitpunkt des "Ur-Eagle" 1973 zu rekapitulieren. Mit einer stimmigen Mischung aus Blues, Rock und spaciger Electronica ein Favorit von Kritikern und einer "kultig" verschworenen, wenn auch recht überschaubaren Gefolgschaft, hatte er gerade seinen ersten richtigen Hit "The Joker" gelandet. Miller war aber noch nicht im Mainstream angekommen: Sein Erfahrungshaushalt und "ideologischer" Blickwinkel war noch geprägt von den 60er Jahren, als er so wie seine ebenfalls aus San Francisco stammenden Zeitgenossen Jefferson Airplane und Grateful Dead geglaubt hatte, mit Drogen und Musik die Welt ändern zu können.

Mitte der 70er Jahre war es mit Auf- und Umbruchstimmung bei Miller (wie auch bei den Dead und besonders den in Jefferson Starship und später nur noch Starship umbenannten Jefferson Airplane) aus. Miller wurde in weiterer Folge sogar zu einem Aushängeschild des Genres Classic Rock, das schon per definitionem eine konservative Konnotation trägt und alles ausschließt, was Pop interessant macht: Experimentiergeist, ausgefallende Ideen, kreativer Wagemut – genau die Merkmale übrigens, die Steve Millers großartiges Frühwerk charakterisieren.

Mit steigendem Bankkonto versiegt die Lust auf Revolution

Mit steigendem Bankkonto versiegt die Lust auf Revolution. Dieser ist Pop allerdings seit jeder mit skeptischer, bisweilen ironischer Vorsicht gegenübergestanden. Manchmal – besonders um 1968 – konnte er sich der Auseinandersetzung mit revolutionären Begehrlichkeiten trotzdem nicht entziehen. Er tat es, wie von den Beatles in "Revolution" prototypisch vorgeführt, mit offensichtlichem Widerwillen. Das altvatrische Beschwichtigungs-Liedchen kam denn auch bei einer durch Vietnam-Krieg, Studentenunruhen, die Ermordung Robert Kennedys und Martin Luther Kings und den Prager Frühling agitierten Klientel gar nicht gut an.

Die Rolling Stones stellten sich dagegen mit "Street Fighting Man" scheinbar auf die Seite der Protestbewegung. Heute wird der Song allerdings eher als Parodie auf sie interpretiert. "Was kann ein armer Junge anderes tun als in einer Rock'n'Roll-Band zu singen?", fragt Mick Jagger, der eben, indem er genau das – in einer Rock'n'Roll-Band singen – tut, sich apodiktisch jeder Verbindlichkeit entledigt.

 Außer dem "Street Fighting Man" besang Jagger im Jahr 1968 auch noch ein "Factory Girl" und "den einfachen Arbeiter" in "Salt Of The Earth": Revolutionäres Potential gewissermaßen, besehen mit Distanz und dem spürbaren Wunsch, dass es bei der Distanz bleibt.

Lennon als Solist: Aus dem Konfliktverdränger von "Revolution" ist ein Aktivist für eine gerechtere Welt geworden 

Anders John Lennon: Der Konfliktverdränger von "Revolution" hatte sich als Solist in einen politischen Aktivisten verwandelt, der zusammen mit seiner Frau Yoko Ono und zeitweise an der Seite linker Propagandisten wie Jerry Rubin und Abbie Hoffman mit Rat, Tat, Wort und Ton um eine gerechtere Welt kämpfte.

Tatsächlich ist Lennons größter Hit "Imagine" nichts anderes als eine einzige post-revolutionäre Utopie: Keine Religion, keine Grenzen, kein (individuell definierter) Besitz mehr. Auf seiner Doppel-LP "Some Time In New York City" verhandelt Lennon dann Themen wie den Bürgerkrieg in Irland, die unmenschlichen Bedingungen in amerikanischen Gefängnissen oder die Unterdrückung der Frau.

Um 1970 regte sich ein revolutionärer Impuls in der schwarzen Musik

Ein ernsthafter, weil direkt aus dem Zentrum gesellschaftlicher Unterdrückung kommender revolutionärer Impuls regte sich Anfang der 70er in der afroamerikanischen Musik. Es waren neben Marvin Gaye, der gegen den Widerstand des Motown-Chefs Berry Gordy auf seiner Platte "What's Going On" seiner Ohnmacht über die miserable Lebenssituation in schwarzen Ghettos wortgewaltig Lauf ließ, vor allem Pioniere des Rap, die der Revolution konkrete Bilder gaben: In "Niggers Are Scared Of Revolution" und "When The Revolution Comes", beide von 1970, entwerfen die Last Poets mit galligem Witz Szenarien der Versöhnung von Gegensätzen und der Möglichkeit des Unmöglichen, aber auch der Entbehrung und kritischer Selbsterkenntnis.

Daran schließt Gil Scott-Heron in "The Revolution Will Not Be Televised" (ebenfalls von 1970) an. "Du wirst dir kein Bier in den Werbepausen holen können, weil die Revolution nicht übertragen wird", höhnt Heron, wie die Last Poets nur von Drums begleitet.

In den 80er Jahren lebte das Erbe Gil Scott Herons und der Last Poets wieder auf

In den 80er Jahren lebte das Erbe Gil Scott Herons und der Last Poets in einer neuen Generation schwarzer Künstler wieder auf: Gang Starr, Ice-T, Public Enemy, NWA. Sie kreierten mit einem Paket von Musik, Insignien und Verhaltenscodes ein neues Genre: HipHop. Imageseitig oft übersteigerte Gewaltbereitschaft und Sexismen zur Schau stellend, verstand sich dieses Idiom nicht nur als Kunstform, sondern auch als Kommunikationsvehikel für die schwarze Community. Mit Public Enemys "It Takes A Nation Of Millions To Hold US Back" oder Gang Starrs "Step In The Arena" hat es frühe Meilenstein gesetzt, ist aber schließlich immer mehr unter das Kommando von Posern und Geschäftemachern geraten und hat, was einst an revolutionären Ansätzen dagewesen sein mag, längst bis zur Unkenntlichkeit verwischen lassen.

 Im weißen Pop dient die Revolution nur mehr für etwas radikalen Verbal-Chic. Tocotronic möchten gern "Teil einer Jugendbewegung sein", können aber nicht sagen, welcher. David Bowie singt in "It's No Game", "Silhouetten und Schatten verfolgen die Revolution", und lässt uns gleichfalls im Unklaren, welche. Wie auch immer, die Revolution kann in einer Kultur, deren Wesen es ist, alles aufzusaugen, was ihr an Substanz unterkommt, auf nichts anderes denn das blanke Nichts hinauslaufen.

 "The revolution was televised. Now it's over, bye bye. Perfection is over (The Rave is over) Sheffield is over. The Fear is over. Guilt is over (Please leave the buildung quietly). Bergerac Is Over. The hangover is over. Men are over. Women are over. Cholesterol is over. Tapers are over. Irony is over. Bye Bye. Bye Bye."

Pulp, The Day After The Revolution

Der junge, „revolutionäre“ Steve ...

Der junge, „revolutionäre“ Steve Miller 1969 (Bild: Capitol Records)

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