Der neue Erotik-Trend

SchweißperlenfotoKann mir mal einer sagen, was da plötzlich los ist und alles nach sogenannten Erotik-Bestsellern greift? Besonders nach der "Shades"-Trilogie dieser Engländerin, aber auch schon vorher bei der Hämorrhoiden-Biografie von Charlotte Roche! Und das wird als Befreiung der Frau  gefeiert, als ob es nicht lange vorher beispielsweise die Memoiren der Anais Nin gegeben hätte, die sogar zur Literatur gerechnet werden oder Erica Jongs "Angst vorm Fliegen", um nur zwei gut geschriebene Beispiele zu nennen. Alles schon vergessen?  

Der "Spiegel" spricht von der neuen Generation Porno, der durch das Internet nichts fremd ist auf dem Gebiet der lüsternen Spiele! Aber Kinder! Im Lateinunterricht übersetzten wir Sallust und Vergil, die alten versauten Römer,  meine Mutter hatte so einen Giftschrank mit Büchern etwa  mit Herny Millers Klassiker "Wendekreis des Krebses". Dieses Bücherabteil hinter Glastüren sperrte sie vor mir zu, aber bis dahin hatte ich die betreffenden Bücher schon längst vorher zweimal durchgelesen (beim ersten Mal allerdings nicht alles verstanden).  Es ist ja nett, dass wir so offen darüber sprechen können - aber können wir das in meiner Generation nicht längst seit Oswald Kolle und vor allem seit der 68er Studentenrevolution mit der Langhans-Kommune? Warum dieses Mediengekreische im Jahre 2012 um Sex? Denn ehrlich, Erotik ist das nicht unbedingt in meinen Augen, was da neuerdings zwischen Buchdeckel gepresst wird. Immerhin scheinen sie bei manchen Leuten die Beziehungen mit neuen Ideen aufzufrischen oder als Masturbationsvorlage zu dienen.

Definition von Erotik

Erst einmal sollten wir in einem kleinen Schlenker "Erotik" definieren. Und da fangen die Schwierigkeiten schon an. Jeder versteht etwas anderes unter Erotik. Ziehen wir den Brockhaus zu Rate, so finden wir da:  "Gesamtheit des Liebeslebens, oft im Gegensatz zur Sexualität, auch die seelische, verinnerlichte Liebe, soweit sie den Aspekt geschlechtlicher Anziehung einbezieht". Oje, klingt doch sehr spirituell und so gar nicht nach harten Sexspielen oder Auspeitschen.

Erst einmal kommt es von "eros" aus dem guten alten Griechischen und heißt Liebe. Nach einer Dissertation der Freien Universität  Berlin soll es doch alle Facetten der Liebe miteinbeziehen, auch der Sexualität, aber doch wieder im Gegensatz  zum Triebhaft-Sinnlichen auch Liebeskunst bedeuten. Will man auf Nummer sicher gehen, so ist Erotik eine Ausdrucksform zwischenmenschlicher Kommunikation, die aber "von kulturellen, dem historischen Wandel unterworfenen Normen geprägt ist."  Na denn als Fazit: So kann denn jeder erotisch nennen, was er will! So können wir weiter lustig streiten, ob Marilyn Monroe nur sexy war, oder doch erotisch, die der erotischen Sophia Loren oder Catherine Deneuve aber nicht das Wasser reichen kann, während eine Daniela Katzenberger - ja was nun? Wie bei der Definition eines anderen schwammigen Begriffes, der Schönheit, liegt das wieder einmal alles im Auge des Betrachters. Oder beim Buch in seiner Fantasie, also in seinem Kopf.

Inhalt des Buches

Aber nun zum eigentlich zu beschreibenden Buch: Schauplätze sind verschiedene europäische Städte wie Rom, Berlin, Malmö, Bukarest, Nizza. Die handelnden Personen sind drei Frauen und zwei Männer.

Da ist einmal die Schwedin Britt, eine attraktive Vierzigerin, die in Berlin lebt. Nach fünfzehn Jahren Durchschnittsehe mit einem Rechtsanwalt beginnt sie, fremd zu gehen.

Marina, Anfang 20, ist Italienerin aus Padua, Kind eines Arztes und einer draufgängerischen Österreicherin, sie verkörpert die junge romantische Frau. Ihre ersten einschlägigen sexuellen Erfahrungen macht sie mit sechzehn Jahren, mit Kimi, einem jungen Rumänen, der auf das Betreiben von Marinas Familie hin abgeschoben wird. Die Beziehung zu Kimi stellt von nun an für Marina das Maß aller Dinge in Sachen Liebe dar, und sie macht sich eines Tages auf die Suche nach ihm. Ihre Reise nach Bukarest findet eine Unterbrechung in Berlin, wo Marina auf Britt trifft. Die Begegnung der beiden führt zu einer gleichgeschlechtlichen Erfahrung.

Marco, circa 40 ist ein italienischer Journalist, der in Berlin als Korrespondent einer römischen Zeitschrift arbeitet. Er begegnet Britt in Malmö, und es kommt zu einer kurzen aber heftigen Liebesaffäre. Wie Britt erholt auch Marco sich von einer schiefgegangenen Ehe. Obwohl die Begegnung in Stockholm einen entscheidenden Wendepunkt für beide darstellt, blitzt Marco in Folge bei Britt ab. Als sie zu einem späteren Zeitpunkt Marcos Bedeutung für ihr Leben erkennt, wird es dafür zu spät sein.

Amina, 37, ist PR-Beraterin, Tochter eines marokkanischen Diplomaten und einer Deutschen, lebt in Nizza. Sie begegnet Marco über die Internetseite einer Partnervermittlungs-Agentur. Nach einem stürmisch-romantischen Briefwechsel via Mail funkt es zwischen ihnen. Amina gibt die unabhängige, disziplinierte Person, emanzipiert sowohl in wirtschaftlicher wie auch in sexueller Hinsicht. Zu Beginn ist sie auf ein Abenteuer aus und bezeichnet die Sache mit Marco als Freizeit-Beziehung. Dann freilich verliebt sie sich Hals über Kopf, was von Marco auch erwidert wird, bis eine Affäre Aminas mit Axel, den sie zufällig in Rom kennenlernt, ihrer noch jungen Liebe ein jähes Ende setzt.

MannAxel, 30, taucht zu Beginn und am Ende des Romans auf. Er ist von schlichtem Gemüt, Mechaniker von Beruf, lebt in Hanau und ist sich mit seiner blonden, attraktiven Erscheinung der Wirkung auf das andere Geschlecht bewusst. Er jagt auf seinem Motorrad Frauen und der schnellen Befriedigung nach. Der hormongesteuerte junge Mann verführt im Verlauf des Romans sämtliche Protagonistinnen.

 

Kritik

Darf und soll man an einen selbstverlegten Erstlingsroman strenge Maßstäbe anlegen? Das ist die Frage. Für eine ernsthafte Rezension sollte man, aber für die Verfasser vielleicht dies sinnvollerweise mehr in Form von Verbesserungsvorschlägen vorbringen. Für das nächste Werk.

Zum Stil

Erst einmal: Die Autorin ist Tochter einer deutschen Mutter und eines marokkanischen Vaters, eines Diplomaten, in Rom geboren, in Berlin ausgebildet zur Journalistin bei renommierten Zeitungen. Sie kann schon mal stilistisch gut schreiben. Anders als bei so manchem jetzt gefeierten Sexprodukt. Der Romaneinstieg in Rom, bei dem schon einige der Personen eingeführt werden, ist stark, gekonnt. Gut gefallen haben mir die Rombeschreibungen etwa oder die Schilderung des Drumherum einer Vernissage. Andererseits entgehen die Personencharakterisierungen manchmal nicht den Klischees wie bei dem blonden, gut aussehenden One-Night-Stander oder bei der Fremdgeh-Gattin, die sich angeblich befreien muss und auch vor dem üblichen gut bestückten farbigen Gärtner nicht halt macht. Anderes fand ich unglaubwürdig: nämlich dass gerade der italienische Mann, ein Latin Lover von Gottes Gnaden, scharf aufs Heiraten wäre! Die sind scharf auf alles mögliche, aber aufs Heiraten meist die weiblichen Protagonisten. Aber gut: Ausnahmen bestätigen die Regel.

Abgehakte Listen?

Die Anfänge mit der sympathisch rüber kommenden Figur der Marina fand ich gut und auch irgendwie anregend, jawohl. Im Verlauf des Romans aber stört mich, dass wie nach einer Liste so alles abgehakt wurde: von den Stellungen her, vom flotten Dreier, von Lesbenbeziehungen bis Schmuddelsex - habe ich was vergessen? Ach ja, das Buch ist v o r dem Sado-Maso-Bestseller erschienen, das fehlte noch. Dann kommen Szenen vor, da läßt der Film "Eyes wide shut" mit Nicole Kidman und Tom Cruise heftigst grüßen.

Isabelle Sand

Isabelle Sand

Das Buch - Isabelle Sand: Schweißperlen

Buchtitel

Erschienen 2012 im Sand Verlag, Manilva. 412 Seiten. 14,80 Euro. ISBN 978-84-615-8006-4

Es gibt eine eigene, gut gemachte Webseite mit vielen Leser(innen)-Reaktionen dazu: www.isabellesand.com

 

 

 Die Fotos zu diesem Artikel wurden auch alle der oben genannten Homepage entnommen.

Fazit

Die Handlungsstränge sind gut entwickelt und verknüpft - echte Romanqualität, die so viel verkrampften Sex gar nicht gebraucht hätten. Ich selbst hätte

  • die Figur der Amina nicht auch noch eingefügt, weniger ist manchmal mehr. Der abgedruckte langatmige Chat ist zum Großteil langweilig. Diesen Fehler des Zuvielreinpackens machen viele Anfänger.

  • Ich hätte auch Britt und Marco ein Happy-End gegönnt und vor allem den Leserinnen (die sind ja hauptsächlich die Konsumenten), die eine leichte Urlaubslektüre suchen. Da liebt man wenigstens Happy-Ends.

  • Das Nachwort ist überflüssig: Da werden alle Personen noch einmal aufgeführt, ein bisschen interpretiert (das sollte man dem Leser selbst überlassen) und deren Scheitern in Sachen echter Liebe nochmals vorgeführt. Warum? Will man auf einen Fortsetzungsband hinaus?

Irgendwie erinnert das Buch stark an eine Mischung aus Benoite Groults "Salz auf unserer" Haut, schon das Titelbild legt diese Assoziation nahe, und Arthur Schnitzlers "Reigen". Aber warum soll man sich nicht von guten Vorlagen anregen lassen? Und man kriegt Lust, mal wieder "Lady Chatterly´s Liebhaber" zu lesen, was wir uns seinerzeit unter der Schulbank herumreichten - im Original immerhin! Oder eigentlich: mal wieder zu einem richtigen Krimi mit Toten und Morden zu greifen.

Arlequina, am 06.09.2012
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