Die Verortung Gottes in der Transzendenz

Bei seinen Überlegungen geht Bontz davon aus, dass Gottes unmittelbare Gegenwart jenseits der Grenzen unseres sinnlichen Wahrnehmungsvermögens, also im Transzendenten bzw. Numinosen liegt. Dabei unterscheidet Bontz weiter zwischen der allumfassenden Transzendenz und der absoluten Transzendenz. Und zwar ist für ihn die allumfassende Transzendenz in unserem Denken das "Jenseits" schlechthin, das dem rationalen Erkenntnisstreben verschlossen bleibt, das sich aber der geistlichen Intuition hier und dort offenbart. Hier ist also Bontz zufolge der Ort, an dem christlicher Glaube den verborgen oder unverborgen handelnden Gott sucht und findet. Demgegenüber ist die absolute Transzendenz für Bontz der Ort der absoluten Verborgenheit Gottes.

Von diesen beiden Bereichen der Transzendenz unterscheidet Bontz wiederum die sinnlich erfahrbare Immanenz sowie die unanschauliche Immanenz als die beiden Bereiche der sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit, in der wir leben. Dabei umfasst seiner Meinung nach die sinnlich erfahrbare Immanenz die ganze Weite unserer unmittelbaren Möglichkeiten zu kognitivem und affektivem Erleben, während die Gegebenheiten der unanschaulichen Immanenz zwar erforscht, aber nicht mehr exakt veranschaulicht werden könnten wie z.B. die Phänomene der Quantenphysik.

Was wir als unsere reale Welt erleben, ist insgesamt gesehen für Bontz nichts anderes als eine kleine Insel der Überschaubarkeit, der Immanenz, in der grenzenlosen Weite dessen, was wir durch den Begriff "Transzendenz" zu umschreiben versuchen. Aber zwischen den verschiedenen Sphären der Immanenz und der Transzendenz gebe es vermutlich fliessende Übergänge.

Religionen als Resultat der Evolution

Aufgrund vielfältiger Einflüsse und unterschiedlicher Bedingungen, die das Leben der Menschen bestimmt haben, kam es Bontz zufolge zu einer vielfältigen Ausgestaltung von Religiosität. Seiner Meinung nach ist es jedoch denkbar, dass alle Religionen im Grunde nur den einen allgewaltigen Schöpfer des Himmels und der Erde anbeten.

Dabei sei zunächst die Neigung einer Gemeinschaft, ihre Ideale personhaft verwirklicht in die Transzendenz bzw. das Numinose zu projizieren, vermutlich für die Entwicklung von Religiosität ganz entscheidend gewesen. Und aus solch frühestem Bewusstwerden der Möglichkeit einer transzendenten Korrespondenz mag sich später der Gedanke einer höheren Macht entwickelt haben, die schliesslich als Gottheit angebetet wurde.

Daraus kann für Bontz jedoch nicht abgeleitet werden, dass "Gott" nur eine "Erfindung" des Menschen sei. Vielmehr könnte der Schöpfer die Bedingungen der Evolution so gesetzt und deren "Zufälligkeiten" so bestimmt haben, dass die sich beim Menschen entwickelnden Denkstrukturen letztlich auf ihn verweisen, d.h., dass sich die Gedanken der Menschen eines Tages auf ihn richten würden. Insofern könne die Evolution als fortdauernde Selbstoffenbarung Gottes begriffen werden.

 

Annäherung an das Transzendente

Neben der Religion ist es – so Bontz - die Philosophie, die sich in der Metaphysik dem Transzendenten, dem jenseits der Grenzen unserer unmittelbaren Erfahrungsmöglichkeit Liegenden, zuwendet. Aus der Metaphysik habe sich als eines ihrer Teilgebiete die philosophische bzw. natürliche Theologie entwickelt, die sich dem Geheimnis des Heiligen durch die Vernunft anzunähern sucht.

Dabei ist für Bontz von besonderer Bedeutung, dass die Vernunft den Glaubenden davor bewahrt, durch Einwände des vordergründig analysierenden Verstandes verunsichert zu werden. Beim Nachdenken über religiöse Transzendenz ist also Bontz zufolge zu unterscheiden zwischen dem analysierenden und logisch folgernden Verstand und der die Zusammenhänge erfassenden und deutenden Vernunft. Die Vernunft erkenne die äussersten Grenzen menschlicher Urteilsfähigkeit und erahne jenseits davon etwas von der namenlosen Weite dessen, was kritisches Denken nicht mehr fassen könne.

Aus der Sicht umfassender Vernunft ist mit anderen Worten – so Bontz - der menschliche Verstand für Fragen transzendenter Möglichkeiten gar nicht zuständig und versagt bei der Begegnung mit der unvergleichbaren Wirklichkeit religiöser Transzendenz.

Arationales, rationales und irrationales Denken

Ein Denken, das der Wirklichkeit religiöser Transzendenz wirklich angemessen ist, bezeichnet Bontz als arationales Denken. Das heisst: Bontz zufolge wird christlicher Glaube in der Auseinandersetzung mit einer Vielzahl untauglicher Einwände des Verstandes zur arationalen Gewissheit.

Während mit anderen Worten rationales Denken den objektiven Möglichkeiten der immanenten Wirklichkeit entspricht und deshalb die erfolgreiche Auseinandersetzung mit der Umwelt gewährleistet, entsprechen arationale Gedanken subjektiv erlebten Wirklichkeiten. Entsprechend liegt Bontz zufolge Irrationalität dann vor, wenn wir der unbegreiflichen Wirklichkeit des Transzendenten mit rationalen Argumenten oder der Realität dieser Welt mit arationalen Gedanken begegnen.

Das beste Beispiel für die Neigung des Menschen, der unbegreiflichen Wirklichkeit des Transzendenten mit rationalen, statt mit arationalen Argumenten zu begegnen, also unsere auf die diesseitige Wirklichkeit abgestimmten Denkmuster auch auf transzendent-übergeordnete Wirklichkeiten anzuwenden und damit die Wirklichkeit Gottes in die engen Kategorien unserer Daseinserfahrung zu zwängen, ist für Bontz die Frage nach der Theodizee, also die Frage, warum der vollkommen gute, alles wissende und allmächtige Gott eine Welt erschaffen hat, in der es Übel und Böses von so unvorstellbarem Ausmass gibt.

Die Theodizeefrage

Konkret macht Bontz zufolge die Theodizeefrage deutlich, dass uns offensichtlich die Allmacht Gottes einerseits und seine Güte und Liebe andererseits als unvereinbar mit dem Elend dieser Welt erscheinen. Wir könnten mit anderen Worten den Gedanken an eine geistige Existenz, die absolut frei über den Forderungen der Ethik steht, zwar formulieren, aber unserem Bewusstsein nicht veranschaulichen. Deshalb dränge sich uns immer wieder die Vorstellung auf, Gott setze sich in seiner Allmacht über die Forderungen der Moral hinweg. Bei einer solchen Denkweise würden aber tatsächlich fundamental unterschiedliche Wirklichkeiten als vergleichbar betrachtet und deshalb zueinander in Beziehung gesetzt.

So sei das Elend dieser Welt ein Teil der "Sinnlich erfahrbaren Immanenz", während die Güte Gottes als unbegreifliche Jenseitigkeit der "Allumfassenden Transzendenz" und seine Allmacht sogar der "Absoluten Transzendenz" zugerechnet werden müssten. Das Theodizeeproblem liegt demnach Bontz zufolge nicht in der Unvereinbarkeit von Gottes Allmacht und Güte mit dem Elend der Welt, sondern in der Irrationalität eines Denkens, das meint, die rational fassbare Wirklichkeit müsse die arational begründete Gewissheit unseres Glaubens unmittelbar bestätigen.

Hier wird für Bontz auch eine anthropomorphe Gottesvorstellung sichtbar, verbunden mit der Orientierung am Bild des guten Menschen, wie sie in der Anrede "Guter Gott" zum Ausdruck komme. Wer aber dem Heiligen irgendeine Eigenschaft zuordnet, leugnet dadurch - so Bontz - nicht nur dessen Universalität, sondern vor allem seine unbeschränkte Freiheit. Die Theodizeefrage macht deshalb seiner Meinung nach deutlich, wie leicht Religiosität durch offensichtliche Widersprüche zwischen menschlicher Vorstellung von Gottes Liebe und irdischer Wirklichkeit gefährdet werden kann.

Die eigentliche Ursache für solche Widersprüche und Missverständnisse besteht Bontz zufolge darin, dass Gottes Wesen fälschlicherweise als Dualismus der Personalität Gottes als "Vater im Himmel" und seiner Universalität als "zeitloser Grund allen Seins und Geschehens" begriffen werde und nicht als Einheit von Personalität und Universalität.

Ein neues Denken über Gott

Ein Ausweg aus der scheinbaren Aporie der Theodizeefrage kann Bontz zufolge nur durch eine andere Sicht auf das Leiden in dieser Welt gefunden werden, wobei er erinnert an den Ruf zur Nachfolge Jesu, die dem Leid einen Sinn gibt, die dort einen Weg der Prüfung, Bewährung und Heiligung zeigt, wo wir nur Erniedrigung und Schmerz erkennen. Vielleicht würden sich Liebe und Leid gegenseitig bedingen, weil Leid der Aufruf zu teilnehmender Liebe sei und Liebe in der Begegnung mit dem Leid reife. Möglicherweise liege in Gottes Schöpfungsplan hier ein Weg der Fortentwicklung des Menschen.

Es sei mit anderen Worten Aufgabe jedes Christen, mit seinen Kräften aller Benachteiligung von Mitmenschen entgegenzutreten, Armut zu lindern und vor allem dem Nächsten nicht nur in seiner äusseren, sondern ebenso auch in seiner inneren Not beizustehen, also dem Nächsten mit Liebe und Solidarität zu begegnen, und zwar im Vertrauen darauf, dass jedes Elend dieser Welt letztlich geborgen und in unbegreiflicher Weise aufgehoben ist im Wollen des Allmächtigen, das nicht der Qual, sondern dem Heil seiner Geschöpfe gilt. In allem Mühen, eine Not zu lindern, von den ersten Anfängen gegenseitiger Hilfeleistung im Tierreich bis zu jedem mitmenschlichen Tun sehen wir deshalb – so Bontz – Gottes Werk.

 

Gott, das Böse und das Gute

Ich möchte die Überlegungen von Herbert Bontz zur Theodizeefrage ergänzen durch das Konzept des Bösen, das der protestantische Theologe und Religionsphilosoph Ingolf U. Dalferth formuliert hat.

Danach ist Böses strikt theologisch als das zu verstehen, was Gott durch das Gute überwindet, das er für seine Geschöpfe tut. So ist es Dalferth zufolge nach Ansicht aller monotheistischen Religionen das Beste für die Geschöpfe, nicht von der göttlichen Quelle ihres Lebens abgeschnitten zu sein, und die christliche Botschaft sei, dass Gott selbst das verhindere, indem er das Böse überwindet, das seine Geschöpfe von ihm trennt.

Gott beseitige also nicht alles, was für uns böse und übel ist, sondern er sorge dafür, dass selbst das schlimmste Übel, das wir erdulden müssen, ihn von uns nicht trennen kann. Wo Menschen mit anderen Worten nichts als Leiden, Böses und Übel sehen mögen, zeige sich Gottes Gegenwart, indem er daraus Neues und Gutes entstehen lasse. (Quelle: Ingolf U. Dalferth/Karl Kardinal Lehmann/David Kermani, Das Böse, S. dazu auch meinen Beitrag https://pagewizz.com/woher-kommt-das-bose?)

Schlusswort

Abschliessend möchte ich festhalten, dass das von Herbert Bontz verfasste Buch hinsichtlich der Erkenntnisse über den christlichen Glauben, die er hier formuliert hat, auch nach fast dreissig Jahren noch erstaunlich aktuell wirkt. Ich möchte es deshalb Lesern empfehlen, die angesichts der zahlreichen Übel und Missstände, die es gegenwärtig auf der Welt gibt, im christlichen Glauben Halt und Orientierung suchen.

 

 

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