Kurts Aufstieg vom "Landei zum Rockstar"

Die Autoren beginnen ihre Spurensuche in Kurts Heimatstadt Aberdeen im US-Bundesstaat Washington, wo sie in Gesprächen mit Kurts Großvater Leland Cobain und anderen Personen wichtige Details über Kurts Kindheit und Jugend in Erfahrung bringen. So soll die Beziehung zwischen Kurt und seiner Mutter sehr problematisch gewesen sein. Dennoch hat sich Kurt selbst als glückliches Kind bezeichnet und seine Kindheit als unbeschwert beschrieben. Diese unbeschwerte Kindheit nahm jedoch ein jähes Ende, als sich die Eltern scheiden ließen und sich neue Partner suchten. Kurt suchte Zuflucht in der Popmusik. Zum 14. Geburtstag bekam er von einem Onkel die erste Gitarre geschenkt und nahm Gitarrenunterricht. Mit 16 entdeckte er über einen Freund den Punk und fand, wie er später sagte, seine Bestimmung. Von besonderer Bedeutung in Kurts Jugendphase war auch die Bekanntschaft mit einem Sohn evangelikaler Christen, bei denen er eine Zeitlang wohnte und die ihn zum Christentum bekehrten. In dieser Zeit hatte er angefangen zu glauben, dass er Aberdeen entkommen könnte und dass der Rock'n'Roll ihm diesen Ausweg bieten könnte. 1987, kurz nach seinem 20. Geburtstag, ging dieser Wunsch in Erfüllung. Er zog nach Olympia, der Hauptstadt von Washington, gründete zusammen mit Freunden "Nirvana" und erhielt seinen ersten Plattenvertrag. Der "Seattle Sound", der unter der Bezeichnung "Grunge" für Furore sorgen sollte, war geboren. Schließlich bekam die Band einen Plattenvertrag, der ihr eine uneingeschränkte kreative Freiheit einräumte. Resultat war Nirvanas zweites Album "Nevermind", das einschlug wie eine Bombe. Es wurde bald als Meisterwerk anerkannt.

"Nevermind" enthielt jedoch nicht nur großartige Musik, sondern enthüllte auch – so die Autoren - die politische Botschaft des "Grunge". Das heißt: Die Texte dieser neuen Form der Rock-Musik sprachen die Ängste der amerikanischen Jugend an. "Viele fühlten sich entfremdet durch ein Jahrzehnt Herrschaft der republikanischen Partei im Weißen Haus und den nicht lange zurückliegenden Golfkrieg, den mancher Theoretiker als Wegbereiter zur Akzeptanz der alternativen Musik ansieht. Die wütende, kulturverändernde Single "Smells Like Teen Spirit"… wurde sofort als Hymne der Generation X gefeiert und Cobain als deren Stimme." Kurt war selbst ein großer Fan von Bill Clinton, und es wird ihm – wie die Autoren betonen – zugeschrieben, Clinton bei der Präsidentschaftswahl 1992 geholfen zu haben, indem er eine Generation junger Amerikaner davon überzeugte, den Saxophon spielenden Demokraten zu wählen.

Kurt und Courtney

Breiten Raum nimmt in dem Buch die Schilderung der Ehe zwischen Kurt und Courtney Love ein, und man erfährt viel über Courtneys – problematische -Persönlichkeit. Und zwar begann die Beziehung zwischen Kurt und Courtney 1991, als Nirvana kurz vor dem großen Durchbruch standen, und Kurt schien zunächst glücklich zu sein. In den Monaten vor Kurts Tod gab es allerdings– wie die Autoren anschaulich schildern – immer öfter Streit. Meistens ging es dabei um Geld. So hatte Courtney verlangt, dass Kurt einen größeren Anteil von den Tantiemen, die beim Verkauf der Alben erzielt wurden, erhalten sollte als die anderen Bandmitglieder, und damit die Freundschaft unter den Bandmitgliedern zerstört. Ferner bestand sie auf dem Kauf eines repräsentativen Anwesens, in dem sich Kurt sichtlich unwohl fühlte. Deshalb freute er sich auf die Tour durch Europa, die für das Frühjahr 1994 geplant war. Er fühlte sich dann aber krank und sagte die Tour ab. Ein Arzt diagnostizierte bei ihm eine schwere Bronchitis. Am 3. März flog Kurt nach Rom, um sich dort mit Frau und Tochter zu treffen, und zwar im feinsten Hotel der Stadt. Am frühen Morgen des nächsten Tages rief Courtney an der Rezeption an und bat, einen Notarzt zu rufen. Sie habe ihren Mann ohnmächtig vorgefunden. 24 Stunden später schlug Kurt im Krankenhaus die Augen wieder auf. Ursache für seine Ohnmacht war ein Mix aus Alkohol und zu vielen Beruhigungsmitteln, die er versehentlich, wie es hieß, eingenommen hatte. Zurück in Seattle wurde Kurt jedoch von seiner Plattenfirma und von seinem Management wegen seines Drogenkonsums unter Druck gesetzt und willigte schließlich ein, in einer Klinik einen Entzug zu machen. Er erschien dort am 29. März, verschwand jedoch zwei Tage später. Am 8. April fand man auf seinem Anwesen seine Leiche und daneben einen Abschiedsbrief. Nach Meinung des Gerichtsmediziners war er schon seit drei Tagen tot.

Die Ungereimtheiten im Fall Cobain

Für den Gerichtsmediziner und auch für die Polizei stand sofort fest, dass Kurt Selbstmord begangen hatte. Einen Monat später berichtete jedoch in Seattle ein Journalist über Ungereimtheiten in dem Fall. So hatte die Spurensicherung keine identifizierbaren Fingerabdrücke auf Schrotflinte, Patronenhülsen und dem Kugelschreiber gefunden, der durch den Abschiedsbrief gebohrt war. Außerdem war in dem Brief von Selbstmord nicht die Rede, und die letzten Zeilen des Briefes, die man in diesem Sinne interpretieren könnte, waren scheinbar nachträglich, in einer anderen Handschrift, hinzugefügt worden. Es hatte auch jemand in dem Zeitraum zwischen dem Todeszeitpunkt und dem Auffinden des Toten versucht, Kurts gesperrte Kreditkarte zu verwenden. Ferner ergaben toxikologische Untersuchungen, dass Kurt einen enorm hohen Morphinspiegel im Blut hatte. Nach Ansicht einer forensischen Ermittlerin, die die Autoren dazu befragt haben, wäre Kurt in diesem Zustand gar nicht in der Lage gewesen, sich zu erschießen. Alle Gegenargumente werden von ihr "zerpflückt". Schließlich stellte sich auch heraus, dass sich Kurt in dem Raum, in dem er tot aufgefunden wurde, nicht verbarrikadiert hatte, wie zunächst behauptet worden war.

War Kurt selbstmordgefährdet?

Wichtiges Beweismaterial liefern auch die Tonbänder, auf denen der Privatdetektiv Tom Grant seine Gespräche mit den Beteiligten im Fall Cobain aufgezeichnet hat. In diesem Zusammenhang betonen die Autoren, wie skeptisch sie der Mordtheorie zunächst gegenüberstanden, dass sie sie für eine der üblichen Verschwörungstheorien hielten, dass aber das Material, das Grant ihnen vorgespielt hat, sie letztlich überzeugt hätte. Und zwar hatte Courtney Grant am 3. April 1994 damit beauftragt, ihren Mann zu suchen, da sie seit seinem Verschwinden aus der Klinik nichts mehr von ihm gehört hätte. Tatsächlich hatte Kurt seine Frau nur eine Stunde nach seinem Verschwinden aus der Entzugsklinik telefonisch informiert, unter welcher Nummer er zu erreichen sei. Das wichtigste Resultat seiner Recherchen war für Grant die Diskrepanz zwischen den wiederholten Behauptungen Courtneys, ihr Mann habe schon lange geplant, sich das Leben zu nehmen, und habe bereits in Rom einen Selbstmordversuch unternommen, und der Aussage seiner Freunde und auch der Psychologen in der Entzugsklinik, er sei nicht selbstmordgefährdet gewesen. In diesem Zusammenhang verwiesen diese immer wieder darauf, wie sehr er durch die Geburt seiner Tochter Frances Bean aufgeblüht sei, und dass er gerade im Frühjahr 1994 überglücklich gewesen sei, da ein Arzt endlich die Ursache seines Magenleidens erkannt und ihn von seinen unerträglichen Magenschmerzen befreit hatte. Laut Auskunft seines Großvaters steckte Kurt voller Zukunftspläne. Darin sollte jedoch Courtney keine Rolle mehr spielen, da er sich scheiden lassen und auch sein Testament zu Ungunsten von Courtney verändern wollte. Grant folgerte daraus, dass vor Kurts Ermordung eine "Selbstmordspur" gelegt werden sollte, da es – wie es Amerikas führender Experten für manipulierte Tatorte ausgedrückt hat – hilfreich sei, schon im Vorfeld eine Selbstmordneigung des Opfers in den Köpfen der Leute zu verankern, wenn man einen Mord als Selbstmord inszenieren will.

Die verheerenden Folgen von Kurts angeblichem Selbstmord

Was Tom Grant bei der Suche nach der Wahrheit auch immer wieder antrieb, war die weltweite Welle von Selbstmorden bei Nirvana-Fans, die in dem Glauben, Kurt habe Selbstmord begangen, ihrem Idol in den Tod folgen wollten. Insgesamt gab es 68 dokumentierte Fälle von Cobain-Nachahmungstaten. Wahrscheinlich geht die wirkliche Zahl in die Hunderte, da die meisten Selbstmörder keine Abschiedsbriefe hinterlassen. Das heißt: Bei seinen Fans hatte Kurts Tod eine Trauer und Verzweiflung ausgelöst, wie es – so die Autoren - bei keinem anderen Tod eines Rockstars der Fall gewesen war. Sie führen dies darauf zurück, dass wohl in den von Ängsten geprägten Texten Kurts auch eine Botschaft der Hoffnung lag, in einer Welt, die beherrscht wurde von der Nachkriegsgeneration.

Begegnung mit dem Mörder?

Abschließend schildern die Autoren ihre "Suche nach dem Killer". Ihr erster Gesprächspartner ist dabei ein heruntergekommener Musiker mit dem Namen Eldon Hoke, der behauptet hatte, Courtney habe ihm 50 000 Dollar angeboten, damit er ihren Mann umbringt, aber es sollte so aussehen, als habe er Selbstmord begangen. Hoke bestand sogar einen Lügendetektortest bei Amerikas führendem Experten auf diesem Gebiet, dem er sich vor der Teilnahme an einer Fernsehshow unterziehen musste. Im April 1997 wurde Hoke unter ungeklärten Umständen von einem Zug überrollt. Vor seinem Tod hatte er aber noch den Namen des Mannes verraten, der angeblich den Mord an Kurt begangen hat. Die Autoren haben sich mit diesem Mann getroffen, ihn befragt und wurden konfrontiert mit einem seltsamen Mix aus Geständnissen und anschließenden Dementis. Die Autoren dachten deshalb, er wolle nur prahlen und sich wichtig tun, bis sie von einem Informanten erfuhren, dass er plötzlich sehr wohlhabend geworden sei. Das Interesse der Autoren erregte auch ein weiterer rätselhafter Todesfall, der mit dem Fall Cobain in Zusammenhang stehen könnte. So ist der Polizeibeamte ermordet worden, der mit der Untersuchung der Herkunft des Heroins beschäftigt war, das in Kurts Blut gefunden wurde.

Bewertung

Für mich ist das größte Verdienst des Buchs, dass die Autoren gründlich aufräumen mit all den Vorurteilen und Klischees, die über Kurt Cobain und sein trauriges Schicksal bis heute im Umlauf sind, da sie in den Medien immer wieder "aufgewärmt" werden. Diese Behauptungen beruhen, wie das Buch zeigt, schlicht und einfach auf Unkenntnis der wahren Gegebenheiten. So wird - wie eingangs bereits erwähnt - behauptet, Kurt sei im Frühjahr 1994 physisch und psychisch "am Ende gewesen", er sei seiner Rolle als Rockstar überdrüssig geworden und habe keinen anderen Ausweg gewusst als den Selbstmord. Die Gespräche mit Freunden und Verwandten, die die Autoren geführt haben, vermitteln einen ganz anderen Eindruck von Kurts Verfassung. Das heißt: Gerade im Frühjahr 1994 war er, wie er selbst gesagt hat, glücklich wie noch nie, und zwar, weil er endlich von seinem qualvollen Magenleiden erlöst war. Und wenn man liest – die Autoren haben dies drastisch geschildert – welche höllischen Schmerzen er etliche Jahre ertragen musste, muss er sich wirklich wie neugeboren gefühlt haben. Ferner ist ihm nachträglich höchster Respekt dafür zu erweisen, dass er sich trotz dieser Qualen dazu aufgerafft hat, zu komponieren und öffentlich aufzutreten. Dies zeugt von einer starken Persönlichkeit. Er war also – wie ihn sein Freund und Bandkollege Krist Novoselic beschrieben hat - warmherzig, großzügig und sanft, aber er war nicht schwach. Außerdem – auch das wird oft unterschlagen – war er sehr humorvoll und hat sich über die Leute lustig gemacht, die ihn als lebensuntüchtiges, selbstmordgefährdetes "Sensibelchen" abstempeln wollten. Ferner war er im Frühjahr 94 auch bei der Bekämpfung seiner Drogensucht auf einem guten Wege. Und nicht zuletzt war seine Tochter für ihn wie ein Lebenselixier. Kurt wollte also im Frühjahr 1994 sein Leben grundlegend verändern, aber er wollte es nicht beenden.

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