Wer war Sawney Bean?

Treibjagd auf Kannibalen

Müde reitet ein junges Ehepaar vom Jahrmarkt nach Hause. Plötzlich tauchen mehrere völlig verschmutzte Gestalten auf und versuchen, die Beiden von ihren Pferden zu zerren. Dem Mann gelingt es, seine Angreifer abschütteln und sich in Sicherheit zu bringen. Seine bedauernswerte Frau hingegen stürzt vom Pferd, wird von den Fremden sofort getötet und noch an Ort und Stelle wie ein Tier ausgeweidet.

Der entsetzte Ehemann, der das Grauenhafte mitansehen musste, schlägt sich zu den Behörden durch und berichtet von dem fürchterlichen Geschehen. Der Bericht sorgt für dermaßen großes Aufsehen, dass König James IV persönlich eine Treibjagd auf die ruchlosen Mörder einleitete. MIt vierhundert Männern und zahlreichen Bluthunden an seiner Seite verfolgte er die Fährten der grausamen Angreifer. Letztendlich war das Aufspüren der Mörder den Bluthunden zu verdanken, die eine Höhle als deren Unterschlupf ausmachten.

Beim Betreten der Höhle bot sich den Männern ein wahrhaft unbeschreiblicher Anblick: Im Inneren lagen menschliche Organe und Extremitäten verstreut, ausgeweidete Leichen hingen zum Räuchern von der Decke, in Fässern fanden sich zum späteren Verzehr gepökelte Organe. Inmitten des Grauens hausten 47 in Lumpen gehüllte, vor Dreck starrende Höhlenbewohner.

Wie sich herausstellen sollte, handelte es sich um die Sippe eines gewissen Sawney Bean, wobei sich die Familie durch Inzest kräftig vermehrt hatte. Alle 47 Familienmitglieder wurden nach Edinburgh überstellt und ohne viel Federlesens zu Tode gemartert.

Der schottische Hannibal Lecter

Das Familienoberhaupt Alexander "Sawney" Bean soll Anfang des 15. Jahrhunderts in East Lothian geboren worden sein. Schon früh stellte sich Sawneys verschlagener Charakter heraus. Ohne einer geregelten Arbeit nachzugehen lernte er in der Stadt eine ebenfalls wenig ehrenhafte Frau kennen und beschloss, mit ihr eine Familie zu gründen. Manchen Quellen nach sollen die Beiden aus der Stadt gejagt worden sein. In der Nähe von Galloway Conty entdeckten sie eine versteckt gelegene Höhle – die perfekte Zuflucht für ihr ruchloses Leben!

In den nächsten Jahren überfielen und ermordeten sie unglücksselige Reisende und stahlen deren Besitz. Anfangs reichten die Beutezüge noch. Aber binnen weniger Jahre zeugten sie mehrere Kinder, die wiederum untereinander Nachwuchs zeugten. Rasch wuchs die Familie stark an und Sawney Bean sah nur noch einen Ausweg, um sie alle vor dem Verhungern zu bewahren: Kannibalismus!

Der Rest ist gruselige Geschichte: Weit über tausend Reisende, Wanderer und Dorfbewohner sollen der Kannibalenfamilie zum Opfer gefallen und von ihnen verspeist worden sein.

Wer war Sawney Bean?

Legende oder doch Wahrheit?

Erfindung frühzeitlicher "Klatschpresse"?

Auch wenn Kannibalismus wohl seit jeher Bestandteil der Menschheitsgeschichte war: Die Legende rund um Sawney Bean übt seit Jahrhunderten besondere Anziehungskraft aus. Eine ganze Sippe von Kannibalen, die sich inzestiös vermehrten und weit über tausend Menschen schlachteten und verspeisten, war und ist an Ungeheuerlichkeit wohl kaum zu übertreffen.

Allein: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei Sawney Beans Kannibalenfamilie lediglich um eine Erfindung der englischen Klatschpresse. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig und einleuchtend. Beispielsweise hätte ein dermaßen ungeheures Verbrechen für zahlreiche schriftliche Berichte durch Zeitzeugen gesorgt. Doch weder die Untaten selbst, als auch die zweifellos nicht minder aufsehenerregende Massenhinrichtung hinterließen in den entsprechenden Chroniken Spuren.

Erstmalige Erwähnung fand Sawney Bean konsequenterweise in einem englischen Vorläufer der Klatschpresse im 18. Jahrhundert. Auf Grund der damaligen Spannungen zwischen England und Schottland kann man argwöhnen, dass eine solche Legende den schottischen Feind denunzieren sollte.

Das Körnchen Wahrheit hinter der Legende

Des weiteren sprechen logische Gründe gegen die Existenz einer solchen Kannibalenfamilie. Gerade im dünn besiedelten Schottland hätte das spurlose Verschwinden von weit über tausend Menschen innerhalb weniger Jahre wohl für groß angelegte Suchaktionen gesorgt. Es scheint auch unwahrscheinlich, dass eine Großfamilie dermaßen unbemerkt ihr Unwesen treiben konnte.

Kann man deshalb den Mythos rund um Sawney Bean zu den Akten legen? Ja und nein.

Einerseits sprechen alle Indizien gegen die umfangreichen Gräueltaten einer ganzen Sippschaft in einem spärlich besiedelten Landstrich. Selbst der Name "Sawney Bean" ist völlig unbelegt.

Auf der anderen Seite steckt vermutlich ein Körnchen Wahrheit in der monströsen Legende. Immer wieder kam es in Schottland zu Hungersnöten, in deren Verlauf auch Kannibalismus betrieben wurde. Somit entbehrt die ganze Geschichte nicht eines wahren Kerns, der lediglich aufgebauscht und "sensationalisiert" wurde. Denn: Auch zu früheren Zeiten liebte man gruselige Klatschgeschichten...

Sawney Beans Einfluss auf "The Hills Have Eyes":

"The Hills Have Eyes": Sawney Bean im 20. Jahrhundert

Populär wurde die Legende rund um Sawney Bean vor allem durch den 1977 von Wes Craven produzierten Horrorfilm "The Hills Have Eyes" (auf Deutsch unter dem Titel "Hügel der blutigen Augen" erschienen). Dabei wurde der Zeitrahmen verlegt - vom späten Mittelalter Schottlands ins moderne Amerika -, ohne vom Handlungskern wesentlich abzuweichen. Eine durch Inzest und Abgeschiedenheit zu Kannibalen mutierte Familie macht Jagd auf Menschen.

Dem großen Erfolg von "The Hills Have Eyes" folgten eine Fortsetzung sowie einige Jahre später zeitgemäße Remakes.


"Wrong Turn": Endstation Kochtopf

Großer Beliebtheit erfreut sich auch die mittlerweile in Serie produzierte "Wrong Turn"-Reihe. Auch hierbei stehen im Wald hausende Kannibalen im Zentrum der Geschichte und machen Jagd auf meist ausnehmend junge und attraktive Schauspieler, die mitunter im Kochtopf landen. Dem durchaus gelungenen ersten Teil folgten qualitativ minderwertige Schnellschüsse, die für die Auswertung auf DVD und blu-ray konzipiert waren.

Der seltsame Kult rund um Sawney Bean

Auch wenn der Mythos rund um Sawney Bean und seine kannibalistischen Nachkommen bloß eine bemerkenswert gut erfundene Gruselgeschichte darstellt: Dessen Popularität ist ungebrochen. Schließlich zählen Kannibalismus und Inzest nach wie vor zu den schockierendsten Tabuthemen. Beide miteinander vermixt ergeben eine gleichermaßen faszinierende, wie auch abstoßende Legende, die wohl noch lange überleben wird. Zumindest solange sich damit noch gutes Geld machen lässt...

Autor seit 13 Jahren
815 Seiten
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