Felix Römer, Iris Becher

Felix Römer, Iris Becher (Bild: © Dorothea Tuch)

Mehr als nur ein Butterbrot

Karl (David Ruland) schlittert unbeholfen durchs Leben, hat einen versoffenen Vater und eine steinerne Mutter im Genick sitzen. Streitgespräche mit dem Vater sind Alltag, hinterher verzieht sich der Altvordere, ständig unter Strom stehend, ins Wirtshaus, um sich den Rest zu geben. Karl, ein verhinderter Franz Biberkopf, macht eine Lehrerausbildung, denn der Mensch muss es zu etwas bringen im Leben, will er doch mehr als nur ein Butterbrot. Es dauert lang, bis die Schüsse von Sarajewo fallen. Fast will es scheinen, als habe Hülsmann vor allem eine humorvolle Zerlegung der außenpolitischen Gespräche im Sinn. Lord Grey (Robert Beyer) beispielsweise revoltiert energisch gegen die deutsche Flottenaufrüstung gemäß Tirpitz. Nun, schließlich heißt es ausdrücklich ‚nach dem Roman von Rudolf Brunngarber' und die Zeit der Werktreue ist wohl endgültig vorbei, der Regisseur hat alle möglichen Freiheiten, die Hülsmann auch nutzt. Wer die Wiedergabe des Romaninhalts erwartet, braucht nicht unbedingt ins Theater zu gehen.

Die Allmacht der Wirtschaft

Fraglich ist nur, warum Hülsmann einige gelungene Passagen des Romans nicht ausschlachtet, etwa, dass die Verwertbarkeit der Rohstoffe des Menschen rund 4 Mark einbringt. Das ist der umgerechnete Wert des Individuums: Das Fett reicht für 7 Seifen, der Zucker für 6 Faschingskrapfen, das Phosphor für die Köpfe von Zündhölzern usw. Für Lakner lässt sich letztlich resümieren: Die Kriegszeit war die schönste Zeit, er wird sogar befördert und hat ausreichend zum Knabbern. Anschließend die Hungerjahre von Weimar, die Herrschaft der Trusts, die Massenverelendung angesichts der Ausbeutungsverhältnisse. Karl ersäuft inmitten der wirtschaftlichen Statistiken. Die Figur Karl Lakner und sein Schöpfer Brunngarber sind nicht gerade Klassenkämpfer, dennoch wird der – zwischenzeitlich vergessene - Autor heute noch von der Linken vereinnahmt. Karl, ein Einzelkämpfer und Underdog, geht unter im Getriebe der Allmacht der repressiven, gewinnmaximierenden Wirtschaft – das ist wohl Grund genug.

David Ruland, Jenny König

David Ruland, Jenny König (Bild: © Dorothea Tuch)

Lustige Szenen überdecken das dünne Ganze

David Ruland spielt den Karl als etwas eigensinnigen armen Tropf, der nur selten aufmüpfig wird. Noch armseliger wird es bei der Darstellung des österreichischen Kaisers Franz Joseph, gespielt vom österreichischen Schaubühnen-Dauerbeauftragten Felix Römer. Eine grandiose Szene, wir sehen einen senilen Herrscher, der mit Mühe seine geistigen Kräfte zusammenzuhalten vermag und den der Krieg mit Grabesluft umweht. Römer, komikerprobt, vielseitig eingesetzt und nur ausnahmsweise als grenzdebiler Kaiser aktiv, muss auch als eine Art SM-Opfer herhalten: Er wird von Iris Bechers Figur etwas gepeitscht und dann gefesselt. Die Szene, nüchtern und kalt absolviert, ist ohne Leidenseffekt. Derartige humoristische bis makabare Einsprengel sollen mit den Auslassungen versöhnen, sie dienen zur publikumswirksamen Auffrischung. Am Ende springt der desperate, hoffnungslos gekränkte Karl nicht über eine Brüstung - woher auch das Schutzgeländer nehmen, Ruland würde sich die Knochen brechen. Stattdessen wird eine Liebesaffäre mit Jenny König aufbereitet, die nicht gerade ans Herz greift und außerstande ist, den Gefühlshaushalt des Zuschauers zu aktivieren. Hülsmanns Roman-Auszug für die Bühne, seine Interpretation führt zu vielen passablen bis lustigen Szenen, die das dünne Ganze überdecken. Robert Beyer spielt gewohnt solide und Sebastian Schwarz gelingen einige komische Einlagen. Wahrlich keine große Inszenierung, aber ein unterhaltsamer Abend.

Karl und das zwanzigste Jahrhundert
nach dem Roman von Rudolf Brunngraber
Szenische Einrichtung von Ingo Hülsmann
Leitung: Ingo Hülsmann, Bühne: Michael Hülsmann, Stepan Ueding, Kostüme: Valerie Gasse, Dramaturgie: Giulia Baldelli, Licht: Eduardo Abdala.
Es spielen: Felix Römer, Sebastian Schwarz, Robert Beyer, Ingo Hülsmann, Jenny König, David Ruland, Iris Becher.

Schaubühne Berlin

Premiere vom 28. April 2014

Dauer: 1 Stunde, 50 Minuten, keine Pause

 

 

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