Schule in der DDR war zehnklassig

Seit 1959 gab es in der DDR die zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule, auch kurz POS genannt. Diese musste von allen Kindern, die das sechste Lebensjahr bis zum 31. Mai vollendet hatten, besucht werden. Fast jedes Kind besuchte davor einen Kindergarten bzw. eine einjährige Vorschule und wurde gut auf diesen neuen Lebensabschnitt vorbereitet. Die Kinder waren stolz, endlich eine große Zuckertüte zu bekommen und dazu zu gehören. Die Schule unterteilte sich in drei große Abschnitte, die den Schülern in der Regel jeweils einen neuen Klassenlehrer bescherten:

 

  • Unterstufe von der 1. bis zur 4. Klasse
  • Mittelstufe waren die Klassen 5 und 6
  • Oberstufe von der 7. bis zur 10. Klasse.

 

Das ist dem heutigen Schulsystem gar nicht unähnlich. Auch die unterrichteten Fächer entsprechen dem heutigen Stand. In der 5. Klasse entstanden aus dem Heimatkundeunterricht (dem heutigen Sachkundeunterricht) mehrere Einzelfächer wie Geografie, Geschichte und Biologie. In der sechsten Klasse kam Physik dazu. Ab der 7. Klasse folgte als Wahlpflichtfach eine zweite Fremdsprache – in der Regel Englisch oder Französisch –, Chemie, Staatsbürgerkunde und Fächer, die frühzeitig eine enge Verbindung zur Arbeitswelt schaffen sollten. So gab es das Technische Zeichnen, Einführung in die sozialistische Produktion (ESP), in denen theoretische Grundlagen der sozialistischen Arbeitswelt behandelt wurden und letztendlich die Produktive Arbeit (PA), bei dem die Schüler direkt in die Betriebe gingen und tatsächlich in der Produktion halfen. Ab 1978 erfolgte in der 9. und 10. Klasse auch der Wehrunterricht, den die Jungen in einem zweiwöchigen Wehrlager absolvieren mussten und die Mädchen bekamen in der Zeit eine Ausbildung in Zivilverteidigung. Letztendlich bekamen die Schüler in der 10. Klasse eine Einführung in die Astronomie, was ja heute leider fast gänzlich aus den Schulen verschwunden ist.

Viel Spaß im Russischunterricht

Als erste Fremdsprache wurde in der 5. Klasse Russisch eingeführt. Viele Schüler hatten zunächst Freude daran, da die neuen Wörter nicht nur komisch klangen, sondern mit den kyrillischen Buchstaben auch eine völlig andere Schreibweise eingeführt wurde. Für mich war das ganze noch mal ein besonderes Erlebnis, da ich mir Anfang der 5. Klasse den rechten Arm brach und die neue Schreibweise mit links erlernen durfte. Der Russischunterricht war bis zur zehnten Klasse immer anstrengender, weil natürlich auch politische Elemente eingeflochten wurden, aber in Erinnerung sind bis heute die russischen Lieder geblieben, die noch bei jedem Klassentreffen gesungen werden und deren Text man komischerweise auch nicht vergessen hat. Bis heute ist immer auch ein bisschen Stolz dabei, wenn man zufällig an russischer Schrift vorbeikommt und seinen Kindern den Wortlaut vorlesen kann und in die staunenden Gesichter blickt. Leider ist es mit der russischen Sprache so wie mit allen anderen Fremdsprachen, wenn man sie nicht anwendet, vergisst man sie. In Erinnerung geblieben sind auch verschiedene Brieffreundschaften mit Schülern aus der damaligen Sowjetunion. Man schrieb sich nicht nur bunte Briefe, die über Luftpost verschickt wurden, sondern bekam auch das eine oder andere Paket, das immer wunderschöne typisch russische Utensilien wie Matroschkas oder traditionelle Holzlöffel enthielt. Manche Brieffreunde besuchten sich sogar. Trotz Luftpost waren die Briefe oft sehr lange unterwegs und obwohl ein neuer Brief wieder anstrengende Übersetzungsarbeiten nach sich zog, fieberte man  immer einer neuen Nachricht entgegen.

Prüfungen zum Ende der 10. Klasse

Zum Ende der 10. Klasse fanden in der Schule in der DDR schriftliche und mündliche Abschlussprüfungen statt. In einer Woche wurden zentral drei schriftliche Prüfungen geschrieben. Deutsch und Mathe waren Pflicht, bei den Naturwissenschaften konnte man zwischen Biologie, Chemie und Physik wählen, wobei pro Jahr abwechselnd immer nur zwei Naturwissenschaften angeboten wurden. Außerdem mussten mindestens zwei mündliche Prüfungen absolviert werden, wer sich noch in anderen Fächern verbessern wollte, konnte bis zu fünf mündliche Prüfungen ablegen. Damit hatte man die mittlere Reife erlangt, konnte eine Berufsausbildung beginnen oder ein Fachschulstudium aufnehmen. Ein vorzeitiges Beenden der Schule nach der achten oder neunten Klasse war auf Antrag der Eltern ebenfalls möglich. Auch mit den Abgangszeugnissen dieser Klassenstufen war eine Berufsausbildung möglich, die allerdings ein Jahr länger als die üblichen zwei Jahre dauerte und nur mit einem Teilfacharbeiterabschluss endete.

Organisation der Schule in der DDR

Die Schüler wurden von der ersten bis zur zehnten Klasse im Klassenverband unterrichtet. Differenzierung gab es in der normalen POS nicht, dafür standen die Spezial- und Sonderschulen zur Verfügung.

Von Anfang an wurden die Leistungen auch durch Zensuren bewertet. Eine sechs gab es damals nicht. Auf dem Zeugnis standen auch für Fleiß, Ordnung, Betragen und Mitarbeit eine Note. So konnte man auf einen Blick das Gesamtverhalten des Schülers beurteilen. Diese sogenannten Kopfnoten wurden mit der Wende ebenfalls abgeschafft, aber unterdessen z.B. in Brandenburg wieder eingeführt.

Unterrichtet wurde an sechs Tagen in der Woche. Auch der Samstag war ein normaler Schultag. In der Regel wurden sechs Stunden gegeben, ab der 7. Klasse auch mal tageweise sieben bis acht, samstags nicht mehr als fünf.  Einheitlich gestaltet waren ebenfalls die Ferien. Im Oktober und Mai gab es jeweils eine Woche Herbst- bzw. Frühjahrsferien. Im Winter waren drei Wochen frei und im Sommer lange acht Wochen Sommerferien. Auch die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr waren frei. Das Schuljahr begann einheitlich am 1. September bzw. am darauffolgenden Werktag, wenn dieser auf ein Wochenende fiel. So konnte man sich langfristig auf den Rhythmus einstellen und brauchte sich nicht  jedes Jahr an neuen Terminen orientieren.

 

Zeugnisse gab es zum Halbjahr vor den Winterferien und vor den Sommerferien. Wer eine fünf hatte, wurde  nicht versetzt (außer in den Kopfnoten).

So sah ein Zeugnisheft in der Schule in der DDR von innen aus
DDR-Zeugnisheft

DDR-Zeugnisheft

Sonderschulen und Wege zum Abitur

Neben dem üblichen Schulweg in der POS gab es noch eine Reihe von Spezialschulen. Außer den sogenannten Hilfsschulen für geistig und lernbehinderte Kinder gab es auch Sonderschulen für Körperbehinderte, Blinde, Sehschwache, Gehörlose, Schwerhörige sowie Sprachheilschulen.

 

Auch für die verschiedensten Begabungen gab es Spezialschulen. So wurde in sogenannten Russischschulen diese Fremdsprache bereits ab der 3. Klasse unterrichtet. Es gab natürlich Kinder- und Jugendsportschulen, sowie Spezialschulen für Musik, Mathematik, Naturwissenschaften oder Elektronik. An solchen Schulen konnte man das Abitur ablegen, allerdings hier in Ausnahmefällen wegen erweitertem Unterricht oder erhöhtem Trainings auch in 13 Jahren. Ansonsten wurde das Abitur in der DDR nach zwölf Schuljahren abgelegt.

 

Das Abitur wurde in der Regel in der Erweiterten Oberschule (EOS) abgelegt. Für die Zulassung zur EOS war auf jeden Fall eine zweite Fremdsprache nötig. Die Schüler gingen ab der 9. Klasse in die EOS. Ab 1983 war der Wechsel (außer in den Spezialschulen) erst nach der 10. Klasse möglich. Schülern der EOS wurde ab 1981 sogar eine Ausbildungsbeihilfe in Höhe von 100 Mark in der 11. Klasse und 150 Mark in der 12. Klasse gewährt. Es war sehr schwer, einen begehrten Platz in einer EOS zu bekommen. Aus jeder Klasse wurden je nach Klassenstärke nur 2 bis 3 Schüler ausgewählt. In erster Linie waren die Leistungen ausschlaggebend, aber auch das soziale Engagement während der Schulzeit. Ich persönlich hatte damals das Glück, zu den zwei Auserwählten meiner Klasse zu gehören, gab meinen Platz aber ab, denn ich verfolgte ein anderes Bildungsziel.

Es gab außerdem die Möglichkeit, in einer dreijährigen Berufsausbildung mit Abitur gleichzeitig einen Berufsabschluss und das Abitur zu erlangen. Die Anzahl der Ausbildungsstellen war auch hier begrenzt und erfolgte nicht jedes Jahr in den gleichen Berufen, aber hier waren die Chancen auf jeden Fall größer, einen Abiturplatz zu bekommen.

Schule in der DDR war nicht schlecht

Natürlich ist es schwierig, die Schulsysteme von zwei unterschiedlichen Gesellschaftssystemen zu vergleichen. Hinzu kommt auch, dass die Menschen oftmals zu den unterschiedlichsten Meinungen bezüglich der Anforderungen und Bildungsinhalte neigen. Fakt ist aber, dass zum Beispiel Finnland eines der sozialsten Schulsysteme in Europa hat – und Finnland hat damals von der DDR abgeguckt. Fakt ist, dass in der DDR ein einheitliches Schulsystem bestand. Die Abschlüsse waren vergleichbar und überall anerkannt. Für mich ist es ein unhaltbarer Zustand, dass in jedem Bundesland andere Regeln gelten und dass niemand bereit ist, von althergebrachten Zuständen (die nicht immer altbewährt sein müssen) abzuweichen. Fakt ist auch, dass Schule in der DDR kostenlos war, was sich von der Kinderkrippe bis zum Hort durchzog und sogar in einer Ausbildungsbeihilfe für Abiturienten mündete.  Es gab zwar nur keine Privatschulen, weil sie vom System nicht geduldet wurden, aber so gab es auch keine besser gestellten Schüler, denn auch heute ist es so, dass sich viele Eltern gar keine Privatschule leisten können, weil allein schon die Busgebühren horrend hoch sind. Auch der frühe Übergang in eine weiterführende Schule ist zu überdenken. Kein Kind hat in der vierten Klasse die Reife, über seinen eigenen Bildungsweg selbständig zu entscheiden. So wird der weiterführende Bildungsweg immer von den Eltern bestimmt sein und man braucht sich nicht zu wundern, wenn immer mehr Kinder an den hohen Anforderungen scheitern. Berlin und Brandenburg bestreiten mit einer sechsjährigen Grundschule da wohl einen besseren Weg.

 

In den letzten Jahren wurden auch immer mehr Ganztagsschulen eingeführt. Auch da gab es in der DDR schon umfangreiche Angebote. Es lohnt sich, da mal einen Blick drauf zu werfen.

Autor seit 12 Jahren
99 Seiten
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