Man möchte kaum glauben, dass Lee Everett mal ein angesehener Professor war, wenn man ihn jetzt niedergeschlagen auf der Rückbank eines Polizeiwagens sieht. Das Ziel der Fahrt: Ein Hochsicherheitsgefängnis. Denn Lee ist ein verurteilter Mörder. Doch auf dem Weg ohne Wiederkehr in ein normales Leben geschieht Verstörendes: Plötzlich steht ein Mann auf der Straße, der Wagen kommt von der Straße ab und fährt in den Graben. Lee bleibt zwar unverletzt, muss aber mitansehen, wie der Sheriff am Steuer des Wagens von offenbar Geisteskranken angegriffen und zerfleischt wird. In letzter Sekunde kann er sich befreien und fliehen. Ziellos irrt er umher, bis er in einer Vorstadtsiedlung beschließt, eines der Häuser zu betreten und um Hilfe zu bitten.

Anstatt ihm zu helfen, fällt ihn jedoch eine grauenhaft entstellte Frau an, und schön langsam muss sich Lee an den erschreckenden Gedanken einer Zombie-Epidemie gewöhnen. Als ihn dann auch noch ausgerechnet ein kleines Mädchen namens Clementine bittet, ihn zu ihren Eltern im weit entfernten Savannah zu bringen, sieht sich der kinderlose Lee zunächst überfordert. Und doch: Im Angesicht der steten Gefahren, die nicht nur von den Untoten drohen, wächst jener Mann, der sich selbst bereits aufgegeben hatte, weit über sich hinaus. Für Clementine geht er buchstäblich über Leichen …

"Telltale Games": Spezialist für Computerspieladaptionen

Seit Jahren begeistern sowohl Robert Kirkmans Comicserie "The Walking Dead", als auch die gleichnamige TV-Serie von AMC. Kein Wunder also, dass in einem Zeitalter, in welchem Computerspiele mehr als viele Blockbuster einspielen können, eine Adaption für leidenschaftliche Zocker nicht fehlen darf. Dieser Aufgabe hat sich "Telltale Games" angenommen, die durch ungewöhnliche Adventuregames wie "Sam & Max" oder "The Wolf Among Us", aber auch das durchaus spannende "Jurassic Park – The Game" bekannt wurden.

Neben der Spiele-Adaption des TV-Überhits "Game of Thrones" nahmen sich "Telltale Games" auch der "The Walking Dead"-Serie an und schafften das fast Unmögliche: Die spannende Handlung von Kirkmans Comicserie bzw. der TV-Serie zu übertrumpfen. Dabei basiert das Horrorgame eher lose auf der Comicvorlage. Obwohl einige Charaktere wie Glenn ein Cameo haben, ist die Handlung der Computerspiele eine Eigenkreation von "Telltale Games". Und die hat es wahrlich in sich. Im klassischen Point-and-Click-Adventure-Stil gezeichnet, der inzwischen natürlich technisch veraltet wirkt, entfaltet sich von Beginn weg eine ganz eigene Atmosphäre. Obwohl die Zombie-Epidemie im Mittelpunkt steht, werden Fans von Shootern enttäuscht.

Vielmehr besteht die Hauptaufgabe des Spielers darin, aus der Perspektive von Lee die Handlung voranzutreiben. Zwar gibt es einige kleinere Rätsel, diese sind jedoch auch mit Herumprobieren leicht zu lösen. Weitaus größeren Platz nehmen die Entscheidungen des Spielers ein. Im Laufe der Handlung muss er immer wieder bestimmte Entscheidungen treffen, die sich auf den weiteren Verlauf auswirken. In harmloseren Fällen bewirkt eine rüde statt einer freundlichen Antwort das Missfallen einer Nebenfigur.

Jede Entscheidung zählt

Schwieriger werden jedoch moralische Dilemma, wenn es gilt, sich für die Rettung einer bestimmten Figur gegenüber einer anderen zu entscheiden. Dafür bleiben meist nur wenige Sekunden Zeit, sodass eine sorgfältige Abwägung, wen man (vorläufig) rettet, und wen man dafür auf der Strecke lässt, nicht möglich ist. Der Spieler muss aus dem Bauch heraus entscheiden, was natürlich insofern interessant ist, dass meist Sympathien – oder eben Antipathien – über Gedeih und Verderb entscheiden.

Unterteilt ist die erste Staffel des Horrorgames "The Walking Dead" in fünf Episoden, wobei eine Zusatzepisode enthalten ist, die mit der Hauptstory noch nicht verbunden ist und sich erst in der zweiten Staffel auswirken kann, falls man diese spielt und die "Ergebnisse" der ersten Staffel in die zweite übernimmt.

Das ungewöhnliche Konzept der Reihe besteht zwar darin, dass die Entscheidungen des Spielers den Spielverlauf beeinflussen. Doch der lineare Ablauf der Story bleibt stets derselbe, wenn auch mit anderen Nebenfiguren an der Seite. Wer mit Kirkmans Comics bzw. der TV-Serie vertraut ist, ahnt natürlich, dass viele Charaktere sterben werden. Und hier leisten "Telltale Games" Außergewöhnliches: Selbst unbedeutende Nebenfiguren wachsen einem mit der Zeit ans Herz, sodass jeder plötzliche Tod einen schmerzlichen Abschied bedeutet.

Nicht nur für "The Walking Dead"-Fans interessant

Die Story selbst ist ungemein dicht, ohne unnötige Längen, und besticht insbesondere durch die überraschenden Wendungen, aber auch die interessanten Dialoge. Untermalt wird das düstere Szenario durch den atmosphärisch stets passenden Score. Grafikfetischisten werden sich gewiss am hoffnungslos veralteten Comicstil stoßen. Aber "The Walking Dead" ist wie bereits dargelegt kein Shooter, sondern ein interaktives Survival-Game mit sympathischen, realistisch agierenden Charakteren. Ein besonders aufschlussreiches Feature stellt nach jeder abgeschlossenen Episode ein Vergleich dar, wie viel Prozent anderer Spieler eine bestimmte Entscheidung getroffen haben. Hierbei zeigte sich zumindest aus Sicht des Rezensenten der überwältigende Wunsch, selbst bei einem Computerspiel die moralisch "richtigen" Entscheidungen zu treffen, also beispielsweise einen Jungen gegenüber einem Erwachsenen zu retten.

Clementines Geschichte wird in der nicht minder spannenden zweiten Staffel weitererzählt. Für Fans ungewöhnlicher Adventuregames gibt es nicht viel Grund zu überlegen: Das Horrorgrame "The Walking Dead" legt in der ersten Staffel den Grundstein für eine geradezu epische Serie. Einziger kleiner Wermuttropfen könnte für manche Spieler die fehlende deutsche Synchronisation sein. Zwar gibt es deutsche Untertitel, doch sind diese teilweise dermaßen grotesk falsch übersetzt, dass sie unfreiwillig komisch wirken.

Fazit: Man muss kein Fan der "The Walking Dead"-TV- oder Comicserie sein, um sich für diese Computerspiel-Adaption zu begeistern.

rainerinnreiter, am 11.01.2016
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