Abschied am offenen Sarg zu Hause: Eine Chance für die Hinterbliebenen

Sie hatten einen Todesfall in der Familie und fanden nicht mehr die Gelegenheit, Abschied zu nehmen? Sie wollen das nie mehr erleben? Genau so fing es bei uns an. Ein Familienmitglied leidet heute noch unter einem misslungenen Abschied nach dem Tod einer nahestehenden Person. Was also liegt näher, als einen verstorbenen Angehörigen zu Hause aufzubahren und  den nächsten Menschen einen Abschied in aller Ruhe und in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen? 

Nachdem unsere Mutter sehr plötzlich im Krankenhaus verstorben war, ließen wir sie vom Bestatter zu uns nach Hause bringen, wo wir noch anderthalb Tage lang Zeit hatten, uns von ihr zu verabschieden. In dieser Zeit besuchten uns viele Angehörige und Freunde, sie nahmen ebenfalls Abschied und begleiteten uns ein Stück in unserer Trauer. Wir hatten jedoch auch Zeit für uns, versammelten uns mehrmals als Familie am offenen Sarg, um gemeinsam zu beten, zu weinen und unseren Dank und andere offene Dinge auszusprechen. Es war jedoch auch jeder von uns einzeln immer wieder bei der Verstorbenen, um ihr einfach kurz etwas mitzuteilen, sie zu berühren, um fünf Minuten am Sarg zu verharren oder eine Stunde, um zu singen, nachzudenken, oder in inneren Dialog mit der Verstorbenen zu treten. 

Wir haben erlebt, wie wichtig die Zeit ist. Während wir in den ersten Stunden sprachlos und wie gelähmt waren, fand jeder von uns im Lauf der Zeit seinen individuellen Weg, Abschied zu nehmen. Hätten wir nur eine halbe Stunde gehabt, in der der Bestatter hinter uns schon mit dem Füßen scharrt, wäre der ganze Abschiedsprozess anders verlaufen. Es braucht Zeit zu verstehen, was jetzt passiert ist, es braucht Zeit, zu sich zu finden und es braucht Zeit, zu erfühlen, was jetzt für jeden Einzelnen noch einmal wichtig ist. Wir sind sehr froh, dass wir uns diese Zeit genommen haben, möchten diese Erfahrung nicht mehr missen und würden es jederzeit wieder so machen. Zu unserer Überraschung sind auch fast alle Menschen, die wir eingeladen haben, unsere Mutter noch einmal zu sehen, gekommen. Alle, die gekommen sind, sprachen von einer positiven Erfahrung. Wir dachten, dass es nicht jedermanns und jederfraus Sache ist, eine tote Person zu sehen. Das ist es auch nicht, aber in unserem Umfeld waren die Reaktionen sehr, sehr positiv.

Der Abschied zu Hause ist eine logistische Herausforderung.

Ich will jedoch nicht verhehlen, dass es eine Aufbahrung zu Hause auch zusätzliche Belastungen mit sich bringt. 

Das größte Problem ist die Logistik. In den Stunden nach dem Tod muss so viel bewältigt und organisiert werden: Mit dem Bestatter muss die Bestattung geplant werden, wir haben auch die Todesanzeigen gleich mit ihm formuliert, dazu braucht man das Datum des Begräbnisses, was wiederum Telefonate mit dem Pfarrer voraussetzt... Wer einmal einen Todesfall erlebt hat, weiß, wie viele Dinge es zu organisieren gibt. Gleichzeitig müssen Angehörige verständigt werden und wenn Sie Menschen einladen, sich bei Ihnen zu Hause noch einmal vom Verstorbenen zu verabschieden, muss dies besonders zeitnah geschehen.

Wenn Sie jedoch einen Verstorbenen zu Hause aufbahren, müssen Sie gleichzeitig den Raum mit der Verstorbenen herrichten: Blumen, Kerzen, eventuell ein Kreuz und Weihwasser. Haben Sie das alles parat? Zudem werden Sie unvermittelt von einer gewissen Anzahl von Menschen aufgesucht werden, wir wollten die Leuten zumindest in der Küche Getränke anbieten. Wer geht einkaufen? 

Veranschlagen Sie unbedingt genug Zeit zwischen dem Eintreffen der Verstorbenen und dem Eintreffen der Trauergäste. Sind die Trauergäste erst da, kommen Sie zunächst einmal zu nichts mehr! 

Denken Sie auch daran, wer den Alltag organisiert. Das gilt für jeden Trauerfall und ganz besonders, wenn Sie Ihre Wohnung für Ihre Verwandtschaft, Nachbarn und Freunde öffnen: Wer kocht, wer kümmert sich um die Kinder, wer versorgt Tiere? Wenn sie einen Verstorbenen zu Hause aufbahren wollen, sollten Sie unbedingt Helfer haben, die vom Trauerfall nicht so betroffen sind wie Sie selbst und die Ihnen den Rücken freihalten. Begrenzen Sie auch unbedingt die Zeit, in der Sie fremde Menschen um sich haben. Sie brauchen auch Zeit für sich.

Wir haben in der Zeit, in der unsere Mutter in unserem Wohnzimmer aufgebahrt war, auch kaum das Haus verlassen, sodass organisatorische Arbeiten einfach liegen blieben. Wenn Sie nicht alles delegieren können oder wollen, ist es gut, einen Tag mehr bis zum Begräbnis zu haben, die Aufbahrung bindet Kräfte. 

Verstorbene zu Hause aufbahren - ein Erfahrungsbericht (Bild: Hans/Pixabay)

Tipps!

1. Lassen Sie sich Zeit!

Nehmen Sie sich genug Zeit, alles zu organisieren, nehmen Sie sich Zeit für sich, verschieben Sie das Begräbnis einen Tag nach hinten, wenn es zu zeitnah sein sollte!

2. Besorgen Sie sich Helfer!

Für Telefondienste, zum Dekorieren des Raums, zum Einkaufen, zum Gassi gehen mit dem Hund...

Pro und Contra auf einen Blick

Pro

  • Der Abschied am offenen Sarg zu Hause erleichtert das Verstehen, was jetzt passiert ist.
  • Dazu gehört auch das Erleben, dass der oder die Tote sich verändert.
  • Man hat mehr Zeit, sich darüber klar zu werden, was man noch braucht, um sich gut zu verabschieden.
  • Man hat einen geschützten und intimen Rahmen, das zu tun, wonach einem ist, dazu gehören auch Dinge, die sehr persönlich sind und in einer öffentlichen Leichenhalle vielleicht peinlich.
  • Familienmitglieder können gemeinsame Rituale gestalten...
  • ... und auch einzeln und allein noch Zeit mit dem oder der Verstorbenen verbringen.
  • Man kann auch nahe stehenden Personen die Chance geben, den Verstorbenen noch einmal zu sehen.
  • Diese Menschen können wichtige Begleiter sein.

 

Contra

  • Der organisatorische und logistische Aufwand steigt.
  • Die Aufbahrung zu Hause bindet Energien/Kräfte der Familienmitglieder, die dann nicht für andere Dinge zur Verfügung stehen.
  • Eventuell fallen Zusatzkosten an.
  • Wer seine Türen öffnet, bekommt es mit Trauerreaktionen andere Menschen zu tun, die manchmal merkwürdig und nicht immer hilfreich und gut zu ertragen sind.
  • Das Kommen und Gehen anderer Leute kann auch stressig werden.
Einen Verstorbenen zu Hause offen aufbahren
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Ich will einen Verstorbenen zu Hause aufbahren. Was muss ich tun?

Im Prinzip: Dem Bestatter Ihren Wunsch mitteilen. Er sollte Bescheid wissen und sich um die nötigen Schritte kümmern. 

Wenn jemand zu Hause verstirbt, brauchen Sie jedoch zunächst einen Arzt, der den Tod feststellt. Im Krankenhaus wird der zuständige Arzt vom Krankenhaus verständigt und Sie brauchen sich nicht darum zu kümmern. Normalerweise können Sie einen Verstorbenen ohne besondere Bewilligung 36 Stunden nach Eintritt des Todes zu Hause behalten, es sei denn, er hatte ansteckende Krankheiten. Das bedeutet jedoch, dass Sie in Ihrer Entscheidung von Anfang an klar sein sollten, wenn Sie es sich nach zwei Tagen überlegen, ist es zu spät. Unter Umständen kann die Frist jedoch durch eine behördliche Bewilligung verlängert werden.

Im Internet wird immer wieder berichtet, dass man gegen Behörden, Institutionen und sogar Bestatter ankämpfen muss, um den Wunsch nach einer Aufbahrung zu Hause durchzusetzen. Bei uns war das nicht so, wir hatten bei unserem Bestatter immer das Gefühl, es sei das Selbstverständlichste der Welt. Ehrlich gesagt, würde ich nicht gegen den Bestatter kämpfen, sondern eher den Bestatter wechseln, wenn es Probleme gäbe. Gibt es Probleme mit Instituionen, ist der Bestatter immerhin der wichtigste Partner, der sich auskennt und Vieles möglich machen kann.

Sind diese Extrawünsche nach einem Todesfall teuer?

Das lässt sich nun überhaupt nicht pauschal beantworten. Natürlich kostet es Geld, wenn man Verstorbene mit dem Auto herumführen lässt. Doch auch die Aufbahrung in einer Leichenhalle kostet Geld, hier spart man unter Umständen wieder, und ist jemand zu Hause verstorben, entfallen auch die Extrakilometer. Es hängt von den ganz individuellen Umständen ab, ob eine Aufbahrung zu Hause zu Extrakosten führt und nur Ihr Bestatter kann Ihnen das ausrechnen.

 

Einen Tipp kann ich jedoch aus meiner Erfahrung beisteuern: Es fallen keineswegs Extrakosten für einen besonders aufwändigen Sarg an. Bei einer offenen Aufbahrung ist der Sargdeckel definitionsgemäß abgenommen und nicht im Blickfeld. Es spricht nicht einmal etwas dagegen, gleich den billigen Verbrennungssarg zu verwenden, falls eine Kremation ansteht. Wir haben das so gemacht und ein paar Leute haben gemeint, wir hätten aber einen besonders schönen Sarg gehabt. Gemeint haben sie aber die Innenausstattung, die naturgemäß ins Blickfeld gerät. Um jemanden schön einzubetten, braucht man aber keinen teuren Sarg.

Autor seit 12 Jahren
124 Seiten
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