Bohrende Frage nach dem Gesundheitszustand

Wolfgang Schäuble, den es seinerzeit am schwersten getroffen hatte, ist in der Folgezeit immer wieder scharf unter die Lupe genommen worden mit der vielfach unausgesprochenen, manchmal auch ausgesprochenen Frage, ob er angesichts seines körperlichen Handicaps auf Dauer in der Lage sein werde, die Last eines Ministeramts zu tragen. Er war und ist dazu fähig – auch wenn er im November 2010 öffentlich, völlig unbeherrscht, wohl auch entnervt, beispielsweise den Sprecher seines Hauses vor den Fernsehkameras "zur Schnecke" machte. Ein unerhörter Vorgang – vor der Bundespressekonferenz – der einmal wieder die Frage nach dem wahren Gesundheitszustand des Finanzministers laut werden ließ.

Nach vier Tagen deutete sich ein Wunder an

Vor 25 Jahren, nach dem Attentat, hatte es um Wolfgang Schäuble gar nicht gut gestanden. Die Ärzte in der Freiburger Universitätsklinik sprachen seinerzeit zunächst in der ihnen eigene Unterkühltheit von einer "gesundheitlichen Krise"; die Verfassung des Politikers sei "sehr ernst". Doch nur vier Tage später deutete sich ein Wunder an, das dem ungeheueren Lebenswillen des schwer Verletzten zugeschrieben wurde. Vier Tage später war Bundeskanzler Helmut Kohl zu Schäuble vorgelassen worden. Er habe ihn, sagte Kohl anschließend, bei vollem Bewusstsein angetroffen, und: "der Wille, dies alles durchzustehen, ist bei ihm deutlich spürbar". Eine Viertelstunde konnte Kohl mit seinem Innenminister sprechen – der aber zu Antworten deshalb nicht in der Lage gewesen sei, weil er an ein Beatmungsgerät angeschlossen war. Er wollte "dies alles durchstehen", aber, so hieß es damals aus dem Kreis der Angehörigen, er sei sich "des Ernstes der Lage voll bewusst".

Die Lähmung im Unterkörper wich nicht

Zu Besorgnis gab seinerzeit die Tatsache Anlass, dass sich die Lähmung im Unterkörper nicht zurückbilden wollte. Gleichzeitig, vier Tage nach dem Anschlag, ließ die "eingetretene Stabilisierung" des Allgemeinzustandes zu, die noch ausstehende Gesichtsoperation vorzunehmen. Der Eingriff an Gesicht und Kiefer, bei dem Geschoßteile entfernt wurden, dauerte mehrere Stunden. Anschließend wurde Schäuble wieder auf die Intensivstation der Klinik gebracht.

Kohl baute auf den starken Willen des Ministers

In diesen Tagen und Wochen baute Bundeskanzler Helmut Kohl fest darauf, Wolfgang Schäuble wieder am Kabinettstisch zu sehen. Eine Ablösung des damaligen Innenministers war in Bonn kein Thema. Wobei sich der Kanzler natürlich ein Türchen offen ließ, offen lassen musste. Zumindest bis zur ersten gesamtdeutschen Wahl am 2. Dezember 1990 wollte Kohl keinen anderen Politiker auf den Sessel des Bundesinnenministers berufen. So wurden Aufgaben ge- und verteilt: Im Kabinett wurde Wolfgang Schäuble von Bundesjustizminister Hans Engelhard (FDP) vertreten, im Bundestag von den beiden Parlamentarischen Staatssekretären Carl-Dieter Spranger und Horst Waffenschmidt. Die laufenden Amtsgeschäfte wurden von dem dienstältesten der beiden beamteten Staatssekretäre, dem Ende Juli selbst von einem Attentat bedrohten Hans Neusel, wahrgenommen. Und Schäuble kam zurück, körperlich gehandikapt, aber ausdauernd und zäh. Im Rollstuhl, aber eine Stütze für Kohl, und danach für Angela Merkel.

Die Bulletins der Ärzte vom 16. Oktober 1990

"Im Verlauf der Nacht haben sich bei Minister Dr. Schäuble die lebenswichtigen Funktionen (Herz/Kreislauf, Atmung, Niere, Blutgerinnungsfähigkeit) weitgehend stabilisiert. Er ist wach und kontaktfähig. Die Atmung muss noch teilweise apparativ unterstützt werden. Die neurologischen Ausfälle an der unteren Körperhälfte sind unverändert. Angesichts der eingetretenen Stabilisierung der lebenswichtigen Funktionen erscheint es möglich, die vorgesehene Operation der Gesichtsverletzung in naher Zukunft durchzuführen".

(Bulletin von 10.00 Uhr)

"Seit der letzten Erklärung von heute 10.00 Uhr sind keine Veränderungen im Gesundheitszustand von Minister Dr. Wolfgang Schäuble aufgetreten. Da sich Kreislauf und Atmung weiter stabilisiert haben, wird die aufgrund der Gesichtsverletzung erforderliche Operation heute am späten Nachmittag und Abend durchgeführt".

(Bulletin von 16.00 Uhr)

Das Porträtfoto stammt von der Jungen Union - das zweite Foto zeigt den "Tatort" Oppenau

 

 

 

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