Sind wir tatsächlich ein Volk von Schafen? Mit 1. April 2012 tritt in Österreich die Vorratsdatenspeicherung in Kraft. Geflissentlich putzt sich die heimische Regierung an der ohnehin denkbar unbeliebten EU ab: Sie setze lediglich eine EU-Richtlinie um. Nennenswerten Widerstand gibt es keinen. Der Gründe hierfür gibt es mehrere - der bekannteste verbirgt sich hinter nachfolgender Phrase:

"Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten"

Überwachung ist machbar, Herr Nachbar!Dies impliziert auf perfide Weise ein Schuldeingeständnis, sobald man auf vermeintliche Bürgerrechte beharrt. Hat der Kritiker der Vorratsdatenspeicherung etwa Dreck am Stecken? Anders lässt es sich offenbar nicht erklären, weshalb ihm beim Gedanken unwohl wird, dass persönliche Daten ein halbes Jahr von Providern gespeichert und auf Anfrage herausgerückt werden müssen. Freilich wird dieser Gedanke nicht konsequent genug weitergesponnen. Was spräche dagegen, sämtliche Telefonate, Mails oder Bankkonten von Politikern offenzulegen? Würde dies nicht das Vertrauen in unsere HerrscherInnen wieder stärken? Ein solcher Vorschlag würde freilich nicht einmal eines Kommentars gewürdigt werden. Oder wie wäre es damit, nicht nur öffentliche Plätze, sondern auch Wohnungen mit Überwachungskameras auszustatten? Nachweislich finden viele Untaten hinter geschlossenen Türen statt.

 

Natürlich mag dies auf den ersten Blick absurd und grotesk übertrieben erscheinen. Tatsächlich aber handelt es sich bei den so genannten "Bürgerrechten" wie dem Recht auf Privatsphäre nur um hohle Phrasen mit dehnbarer Bedeutung und Auslegung. Eine solche Interpretationsfreiheit ist nur dann möglich, wenn Regeln und Gesetze nicht absolut, sondern relativ definiert und exekutiert werden. Beispielsweise unterscheiden sich die Gesetze einzelner Staaten teils frappant voneinander. Die Rechtslage von Frauen in Saudi-Arabien ist eine gänzlich andere als jene in Mitteleuropa. Wie ist dies eigentlich möglich, wenn es doch angeblich universal gültige Menschenrechte gibt? Nun: Diese Rechte sind abstrakt und werden willkürlich anerkannt oder "angepasst".

 

In Europa hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass der Staat nicht einfach nur für den Schutz seiner Bürger zuständig sein soll, sondern überdies hinaus nicht einfach das Recht, als vielmehr sogar die Pflicht hat, ihn in immer höherem Maße zu gängeln und zu bevormunden. Dies steht im Widerspruch zur US-amerikanischen Tradition, dem Staat misstrauisch zu begegnen, was wiederum in Europa für Unverständnis sorgt und den Amerikanern Dummheit, Unmenschlichkeit und Bösartigkeit unterstellt. Denn: Weiß nicht Vater Staat am Besten, was gut für uns sei? Hie und da regt sich mitunter Unmut, wenn etwa die geliebte Glühbirne schrittweise verboten wird. Andererseits spräche doch wirklich nichts dagegen, Energie einzusparen...

 

Nicht viel anders verhält es sich mit der Privatsphäre und dem viel zitierten Spruch "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten". Die Annahme ist dabei, dass der Staat und seine Vasallen im besten Interesse handeln und dem Bürger grundsätzlich zu misstrauen sei. Dabei werden bevorzugt Terrorakte als Grund für den Abbau der "Bürgerrechte" genannt. Eine trügerische Vermutung, die gerade durch verheerende Anschläge wie 9-11 diskreditiert wird. Glaubt man der offiziellen Darstellung, kamen die Anschläge wie aus heiterem Himmel und überraschten selbst die mächtigen US-Geheimdienste mit ihren zig tausend Mitarbeitern, modernster Technik und Milliardenbudgets völlig.

 

Dieselbe krude Logik wird etwa bei den restriktiven Waffengesetzen angewendet. Entwaffnet und potenziell kriminalisiert werden aufrechte Bürger, die ihr eigenes Leben oder ihren Besitz zu schützen wünschen. Dies kommt natürlich gerade Verbrechern zugute, die sich um Gesetze keinen Deut scheren und im Gegensatz zu ihren Berufskollegen in den USA kaum fürchten müssen, auf bewaffneten Widerstand zu treffen. Alleine die Vorstellung, Leib, Leben und Eigentum nicht in die, nun ja, vertrauensvollen Hände der Exekutive zu legen, gilt in hiesigen Breiten als anrüchig. Waffenbesitzer werden entsprechend als "Waffennarren" diffamiert. Wenig verwunderlich angesichts des Kultes rund um den Staat, der mitunter etwas über die Stränge schlagen mag, aber grundsätzlich unser aller Übervater sei. Der zarte Hinweis darauf, dass die Juden Ende der 1930er Jahre gezielt entwaffnet wurden, scheint ohnehin keiner ernsthaften Überlegung wert zu sein. Dabei sind und waren gerade Diktaturen bestrebt, das eigene Volk zu entwaffnen.

 

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Vorratsdatenspeicherung, die ja angeblich nur zu Bekämpfung von Verbrechen gedacht sei. Die tatsächlich vereitelten Verbrechen wird man an einer Hand abzählen können. Denn Verbrecher neigen dummerweise dazu, sich der Verfolgung möglichst zu entziehen. Aus diesem Grund twittern Bankräuberbanden ihre Überfallspläne nicht und unterhält die Al-Kaida kein offenes Forum, in welchem das nächste Anschlagsziele veröffentlicht und der Terrorist des Monats gewählt wird. Ins Visier geraten - wieder einmal - unbescholtene, arglose Bürger, die sich dem Verdacht ausgesetzt sehen, auf Grund ihrer Kritik an der Vorratsdatenspeicherung Verbrechern in die Hände zu spielen.

 

Was in den Diskussionen um die offenbar in einigen Bereichen obsolet gewordene Privatsphäre selten einfließt, ist der Umstand, dass sich gesetzliche oder gesellschaftliche Regeln im Laufe der Zeit ändern. Es ist in Westeuropa erst wenige Jahrzehnte her, dass Homosexualität nicht mehr unter Strafe steht. Was heute kein Tabu mehr darstellt, hätte damals eine Geld- oder sogar Freiheitsstrafe nach sich ziehen können. Wissen wir heute, was in zehn oder zwanzig Jahren ungesetzlich sein wird? Vielleicht kann man in zwanzig Jahren heute verbotene Drogen in Supermärkten erwerben, wohingegen der Kauf von Alkohol unter Strafe stehen wird. Wer dies als absurd erachtet, möge - das ist noch erlaubt - nach gesellschaftlichen Veränderungen innerhalb der letzten Jahrzehnte googeln. 1980 wäre man wohl für verrückt erklärt worden, hätte man den Fall der Berliner Mauer, die Einführung der Scharia in Teilen Londons oder das sukzessive Verkaufsverbot von Glühbirnen prognostiziert.

 

Zu guter Letzt kann man die Verfechter des Grundsatzes "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten" ruhigen Gewissens in die Kategorie jener Heuchler schubladisieren, die ihre eigenen Ansichten als universell gültig erachten. Niemand soll daran gehindert werden, seine Kontoauszüge, seine IP-Adresse oder protokollierte Telefongespräche an die Haustür zu tackern. Wer aber dafür eintritt seinen Nachbarn zu zwingen, für die eigene Überwachung zu bezahlen (die Kosten der Vorratsdatenspeicherung werden alleine in Österreich mehrere Millionen Euro kosten, die am Ende natürlich in jedem Fall der Steuerzahler zu berappen hat) und sich als potenzieller Verbrecher gebrandmarkt zu fühlen, möge davon Abstand nehmen, Worte wie "persönliche Freiheit" jemals wieder in den Mund zu nehmen.

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