Bei der Frage, wie genau Lernen funktioniert, gibt es allerdings eine Reihe von Problemen: Es muss definiert werden, was Lernen genau ist. Die Abläufe dabei im Gehirn sind noch nicht vollständig erforscht. Studien zur Praxis sind teilweise umstritten oder noch nicht durchgeführt. Auch sind die Menschen so verschieden, dass nicht alles, was bei einem gut klappt bei einem anderen auch funktioniert.

Nervenzelle mit Synapsen (Bild: OpenClips / Pixabay)

Definition von "Lernen" laut dem Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie

 

Nach einer allgemeinen Definition besteht das Lernen ganz grob darin, dass das

 

Nervenzellensystem verändert

wird. Dabei gehen Informationen von außen ein, wodurch Nervenzellen und Verbindungen/Kontaktstellen (die Verbindungen werden Synapsen genannt) betroffen sind. Bei Kindern werden vielfach ganz neue geschaffen, bei Erwachsenen wird in der Regel nur noch die Effizienz der vorhandenen Synapsen verstärkt.

 

In einem besonders gut untersuchten Bereich des Gehirns (dem Hippocampus) sei das so, dass die Informationen von den Synapsen an vielen Nervenzellen gespeichert werden. Wie viele Nervenzellen das für eine einzelnen Information sein müssen, ist allerdings noch nicht bekannt. (Für den Anspruch des Max-Planck-Instituts ist überhaupt der genaue Prozess des Lernens noch weitgehend unverstanden.) 

Geschehen kann natürlich auch das Gegenteil: Die Informationen gehen verloren. Vergessen funktioniert laut dem Institut jedenfalls genau umgekehrt zum Lernen. Die Effizienz der Synapsen werde verringert, die Informationen würden sozusagen langsam verblassen – nicht wie ein Lichtschalter plötzlich ausgeknipst. Ganz weg ist die Information in der Regel nicht, deswegen lässt sich einmal Gelerntes in der Regel leichter wieder lernen. Ein vollständiger Verlust der Information ist laut dem Institut bei dem Verlust einer einzelnen Zelle oder Synapse noch nicht zu befürchten, es bedürfe eines umfangreichen Absterbens von Nervenzellen oder einer massiven Unterbrechung der zugehörigen Synapsen.

Dabei ist noch wichtig zu Wissen, dass Lernen ein sehr weit gefasster Begriff ist. Das Lernen geschieht bewusst oder unbewusst. Mögliche Bereiche des Lernens sind abstraktes Wissen, soziales Verhalten und körperliche Bewegungen. Gelernt werden kann dabei nicht nur positives Wissen, sondern auch negative Verhaltensweisen wie bei Problemen zuzuschlagen. 

Wie funktioniert Lernen: Sinnvolle Lerntechniken für alle Altersstufen laut wissenschaftlicher Studien

Die oben dargestellte Theorie zum Thema "Lernen" war interessant, aber was soll man konkret tun, wenn man etwas lernen möchte? Um Näheres zur Frage "Wie funktioniert Lernen" zu erfahren, muss man sich also die wissenschaftlichen Praxisstudien ansehen. Ein beliebter Bereich ist dabei das Sprachenlernen – da es ganz verschiedene Sinne fordert, wie das Denken, die Bewegung von Zunge, Gaumen und Lippen, und außerdem die Absichten und Gefühle anderer Menschen verstanden werden müssen.

Frankreich Eiffelturm (Bild: Nemo / Pixabay)

Methode 1: Ein konkretes Ziel haben

 

Als überragend wichtig wird die Motivation beschrieben. Möchte man es selbst lernen? Hat man ein definiertes Ziel, z.B. in einem ersehnten Urlaub die Sprache des Landes zu sprechen?

 

Möchte man beispielsweise einmal in Paris in vernünftigem Französisch Baguette kaufen?

 

Dann beschäftigt man sich nämlich wohl von mehreren Seiten und öfter mit der Sache - das führt wohl zum Ansprechen mehrerer Nervenzellen und Stärkung der Synapsen.

Methode 2: Technische Erleichterung durch Ansprechen mehrerer Sinne

 

Nach diversen Untersuchungen wird tatsächlich schneller gelernt und besser behalten, wenn etwas über mehrere Sinne aufgenommen wird. Also beim Auswendiglernen beispielsweise nicht nur den Text leise durchlesen, sondern laut, und dazu Gesten erfinden. Theoretischer Hintergrund könnte sein, dass dadurch unterschiedliche Arten von Nervenzellen angesprochen werden.

Kommen in einem Spruch beispielsweise in je einem Satz die Begriffe "Vogel, Storch und Laus" vor, sollte man beim

 

"Vogel" die Arme schwenken, beim

"Storch" mit den Händen klappern, sich bei der

"Laus" auf dem Kopf kratzen.

 

Damit merkt man sich meist auch den Rest des Satzes sowie die Reihenfolge der Sätze viel besser, als wenn man ihn ohne Bewegungen immer wieder nachspricht.

Das wird beispielsweise für Reime in der Kindermusikschule gemacht, und selbst wenn ich diese Gesten nicht mehr mache, sehe ich sie vor mir und erinnere mich auch nach längerer Zeit noch an den Text. 

Methode 3: Wiederholen und die Frage des gesamten Zeitaufwands beim Lernen

 

Außerdem muss man natürlich sehen, dass man das Gelernte nicht gleich wieder vergisst. Theoretischer Hintergrund ist wohl, dass dadurch die Verbindungen zuerst gestärkt werden und danach nicht so leicht verblassen. Wie viel Wiederholen ist notwendig, um eine Vokabel nicht zu vergessen, welche Abstände sind dafür gut? Das wird am Anfang häufiger sein, mit der Zeit werden die Abstände immer größer und es reicht beispielsweise, die entsprechende Sprache immer mal wieder zu sprechen. Laut einer umstrittenen Vergessenskurve von Hermann Ebbinghaus sollte man das Gelernte vor allem

 

innerhalb von 24 Stunden noch einmal wiederholen.

Danach noch einmal nach einer Woche und

zuletzt noch einmal nach einem Monat.

 

Ungefähr ein Drittel der Lernzeit sollte aus Wiederholungen bestehen. Kritisiert wurde daran vor allem, dass er diese Beobachtungen nur aus Selbstversuchen schloss – vielleicht war er ein Mensch mit einem besonders guten Gedächtnis? Aus eigener Erfahrung denke ich, dass man das Gelernte nicht nur am nächsten, sondern auch am übernächsten und dem darauf folgenden Tag wiederholen muss. Letztendlich muss jeder das für sich ausprobieren. 

Und ist die Zahl der Übungsstunden als solches erheblich? Für Höchstleistungen bei sich wiederholenden Tätigkeiten sind sie zumindest auf jeden Fall notwendig. Das zeigt die Studie von Anders Ericsson, die er an der Berliner Hochschule der Künste durchführte. Danach hatte bis zu einem Alter von Anfang 20 die "Besten" im Fach Violine durchschnittlich bereits 7.410 Übungs­stunden geleistet, die "Guten" durchschnittlich bereits je 5.301 Stunden und eine Vergleichsgruppe angehender Musiklehrer nur 3.420 Stunden. Plakativ hat das Malcolm Gladwell in dem Bestseller formuliert, nach dem man "10.000 Stunden bis zur Meisterschaft" von egal was braucht. Damit liegt man in einem umkämpften Bereich jedenfalls gut im Rennen zur Erlangung von Spitzenleistungen. Innerhalb von 10 Jahren muss man dazu 10.000 Stunden, also ungefähr 3 Stunden und 30 Minuten pro Tag, üben. Da man kaum eine neue Tätigkeit gleich 3 Stunden pro Tag ausüben kann, sollte es eine Steigerung geben: Erst wenig, dann mittel, dann viel Üben: Beispielsweise ungefähr

 

3 Jahre lang 1 Stunde pro Tag

4 Jahre lang 3 Stunden pro Tag

3 Jahre lang 7 Stunden pro Tag!

 

7 Stunden üben pro Tag, das ist mit einem normalen Schul- oder Arbeitsalltag kaum leistbar. Kaum, denn nach einem Interview hat der Pianist Lang Lang schon als sechsjähriger neben der Schule fast 6 Stunden Klavier geübt: 1 Stunde vor der Schule, 45 Minuten Mittags und je zwei Stunden am Nachmittag und am Abend! Viel nebenbei gemacht hat er natürlich nicht, neben Schule, Hausaufgaben, Essen und Schlafen nur noch ein bisschen TV gesehen. (Zur Erläuterung der Zahlen: 10.000 Stunden durch 10 Jahre sind 1.000 Stunden pro Jahr. Angenommen pro Jahr gehen 2 Wochen weg für Krankheit, 7 Wochen insgesamt für die meisten Sonntage und 5 Wochen für Urlaub: dann bleiben noch 39 Wochen übrig, also noch 273 Tage pro Jahr. Macht gut 3 Stunden und 30 Minuten pro "Arbeitstag". )

Für alle die jetzt vollkommen demotiviert sind: Die 10.000 sind ja sozusagen bis zur Meisterschaft. Angehende Musiklehrer hatten laut der obigen Studie nur ungefähr 1/3 der Stunden geübt, und die spielen im Vergleich zum Großteil der Bevölkerung sicher auch sehr gut. Die mussten also 10 Jahre lang nur gut eine Stunde pro Tag üben. Bzw. 

 

3 Jahre lang 20 Minuten pro Tag

4 Jahre lang 1 Stunde pro Tag

3 Jahre lang gut 2 Stunden pro Tag.

Wie stark sich die Leistung mit der Zahl der Übungsstunden für diese Tätigkeit korrespondiert, hängt jedoch ohnehin nach einer neuen Studien von Brooke Macnamara stark von dem Bereich ab, in dem man lernen will. In Gebieten, in denen sich die Tätigkeiten immer wieder wiederholen, wie in Sport und im Instrumentenspiel, macht die Zahl der Übungsstunden bis zu 25 % aus. In klassischen Berufen wie der Arbeit als Versicherungsvertreter und Pilot dagegen nur 1-5 %.

(Nicht-) Methode 4: Angeborenes Talent

 

Zu erwähnen ist hier zum ersten, dass gar nicht jeder genügend Ausdauer für so langes Üben haben wird. Manchmal sieht man beispielsweise anscheinend schon im Babyalter, ob überhaupt die Geduld und Ausdauer für eine hohe Zahl von Übungsstunden besteht. Der Kinderarzt meines Sohnes prophezeite beispielsweise bereits bei der U3, als mein Sohn 5 Wochen alt war, dass er später seine Hausaufgaben freiwillig machen wird.

Viel Zeit mit Üben zu Verbringen ist auch kein Garant für den Erfolg. Haben die weniger Guten nur einfach nicht richtig geübt, nicht effektiv genug? Als wahrscheinlicher wird von den meisten Forschern angesehen, dass nicht jeder durch vieles Üben alles super erlernen kann. Dann müssen noch andere Faktoren hinzukommen, die Einfluss auf das erzielbare Ergebnis haben. Solange dies noch nicht richtig erforscht ist, wird der "Rest" allgemein mit dem Begriff "Talent" bezeichnet. Man hat es, oder hat es nicht. Was ist Talent? Ist das die Möglichkeit zur Bildung von mehr Nervenzellen und Synapsen, werden die Synapsen mehr angeregt oder ist die Gehirnstruktur insgesamt irgendwie anders? Vermutet wird in der Studie von Brooke Macnamara beispielsweise, dass die Größe des Arbeitsgedächtnisses eine Rolle spielt, also die Menge an Informationen, die man gleichzeitig verarbeiten kann. Der Bestsellerautor Kinderarzt Remo Largo meint im übrigen, dass es immer ein angeborenes erzielbares Maximum gibt. Mehr ginge auch bei viel Förderung und Üben nicht. Ohne Förderung und üben blieben die Kinder jedoch deutlich hinter den angeborenen Möglichkeiten zurück. 

Und wie groß ist eigentlich prozentual ungefähr der Einfluss von Talent im Verhältnis zu effektivem, langem Üben und günstigen Umgebungsbedingungen? Schlüsse könnte man vielleicht aus Forschungen zu den Ursachen der Intelligenz schließen. Intelligenz wird als kognitive Leistungsfähigkeit auf verschiedenen Gebieten im Verhältnis zu anderen Leuten derselben Altersgruppe und desselben Kulturkreises definiert. Aber auch hier wurden bisher recht unterschiedliche Werte festgestellt. Beispielsweise ist zu lesen, dass bei den häufig untersuchten Mittelschichtsfamilien Gene und Umwelteinflüsse sich zu je ungefähr 50 % auf die gemessene Intelligenz auswirken. Bei Kindern aus ungünstigen Lebensbedingungen, die in besser gestellten Familien aufwachsen und gefördert werden, sei der Einfluss der Umwelt jedoch größer. Dies wird jeweils aus Studien mit eineiigen Zwillingen geschlussfolgert, die in verschiedenen Familien aufwachsen und deren Intelligenzquotient verglichen wird. Hatten die vielleicht auch in den verschiedenen Familien ähnliche Bedingungen zum Aufwachsen? Gerade die Beobachtung, dass der in besseren Lebensbedingungen aufwachsende Zwilling später intelligenter ist als der in ungünstigen Bedingungen verbliebene könnte für einen recht große Bedeutung der Förderung und demzufolge einen eher geringen Einfluss der Gene sprechen. Wie auch immer: Unsere Gene können wir - noch? - sowieso nicht mal eben ändern. Unser Lernverhalten schon, deswegen ist die Frage der Gene sowieso nicht die wichtigste bei dem Thema "Wie funktioniert Lernen". 

Die Bedeutung des Alters beim Lernen

Etwas mehr praktische Relevanz hat da schon die Wichtigkeit des Alters für das Lernen. Nicht so sehr wenn man 70 ist und sich für sich selber informieren möchte; dann kann man sich nicht jünger machen, um völlig Neues mit weniger Mühe zu lernen. Aber für die Erziehung von Kindern und Enkeln ist es noch hilfreich. Dass kleine Kinder vieles besser lernen könnte daran liegen, dass sich bei ihnen Nervenzellen und Synapsen neu bilden. Folgende Zeiträume werden fürs Sprachenlernen angegeben: Neugeborene könnten noch alle Laute der Welt hören; ab dem 1. Lebensjahr verlieren sie diese Fähigkeit und beschränken sich zunehmend auf die Laute, die sie häufig hören – meist also nur noch die der Muttersprache.

 

Danach wird die Aussprache nicht mehr exakt nachgeahmt – das passiert nur bis zum 3. oder ungefähr dem 6. Lebensjahr.

 

Bis zum ungefähr 10. Lebensjahr werde die Grammatik perfekt erlernt.

 

Das Erlernen von Vokabeln sei dagegen noch später gut möglich. Auch im Rentenalter. Dann dauere es nur typischerweise etwas länger, da Nervenverbindungen sich auflösten und sich die Informationen neue Wege suchen müssten. Wie viel länger es dauere, hänge von dem Vorwissen in dem Bereich und der allgemeinen geistigen Fitness ab – wer sich auch in den letzten Lebensjahrzehnten permanent Neuem stellte könne das besser als jemand, der sonst hauptsächlich dass TV ansehe. (Allerdings merkt man nach einem Bericht auch größere Altersunterschiede zumindest während einer kürzeren Lernphase kaum: Ein 17-Jähriger und ein 47-Jähriger besuchten den gleichen Chinesisch-Intensivkurs. Mit der Aussprache taten sich beide in etwa gleich schwer, der 17-Jährige ging allerdings etwas unbefangener mit der Grammatik um und bildete deswegen lockerer mal einen ganzen Satz.)

Gilt eigentlich uneingeschränkt die Regel, je früher je besser? Manche meinen aus obigen Gründen ja. Manche meinen nur, wenn die Kinder schon einen Bezug zum eigenen Leben erfahren. Bei Kleinkindern habe das Hören von fremdsprachlichen CDs dann einen Bezug zum eigenen Leben, wenn sie auch sonst zumindest teilweise in der Sprache kommunizierten. Sonst würde das noch nichts bringen. (Gehörlosen Eltern wurde beispielsweise früher geraten, ihre Kinder vor den Fernseher zu setzen; das half jedoch nicht bei dem Erwerb von Sprachfähigkeiten.) Wenn die Kinder etwas älter wären würden sie eher den Sinn dessen verstehen und vielleicht auch schon in der Schule Englisch haben, dann würde es sich dann mehr lohnen.

Fazit zu "Wie funktioniert Lernen"

Um etwas sehr gut zu lernen müssen wir nach obigen Ausführungen also am besten (hier in chronologischer Reihenfolge aufgelistet): 

A) Voraussetzungen:

- Hoffen, dass man ein für den Bereich eventuell hilfreiches "Talent" hat.

- Ziemlich früh anfangen, idealerweise oft bereits als Kleinkind.

- Motivation haben.

B) Die Arbeit:

- Mehrere Sinne ansprechen, z.B. mit Hilfe von Gesten lernen.

- Den Stoff wiederholen.

- Eine insgesamt erhebliche Zeit für das Lernen aufwenden.

Der theoretische Streit über die Frage: Wie funktioniert Lernen

Unterschiedliche Herleitungen der Forscher wirken sich dabei übrigens meist nur theoretisch aus. Lernen sehr junge Menschen vieles besser als sehr alte Menschen, weil sie es besser können? Oder weil sie es mehr wollen, zum Beispiel weil sie erkennen, dass man auch ohne 100 %iges Nachahmen durchkommt?

 

Beispielsweise meinen die einen Forscher, dass sehr junge Leute viel besser Sprachen lernen können als Alte. Andere Forscher vertreten die Ansicht, dass alle Altersstufen in etwa gleich gut Sprachen lernen könnten – es nur nicht tun. Ältere hätten zum einen meist weniger Zeit dazu. Und Versuche, Erwachsenen Sprachen beizubringen wie Kindern schlugen fehl, den Erwachsenen war es zu albern, sich immer und immer wieder kurze Sprüche anzuhören. In der Praxis läuft es also meist auf das gleiche hinaus: Junge Kinder imitieren ganz genau und können so eine Sprache akzentfrei lernen. Bis zur Pubertät imitieren Kinder immer noch ziemlich genau und eignen sich daher die Grammatik perfekt an – auch solche grammatikalischen Regeln, die zum Verständnis nicht unbedingt notwendig sind wie den Unterschied in der Vergangenheitsform zwischen "sein" und "haben".

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