Wissenschaftstheorie – die Wissenschaft von den Wissenschaften

Gerade die vermeintliche Unwissenschaftlichkeit der Philosophie, ihre Unabhängigkeit von etablierten Forschungsmethoden, macht ihre Sonderstellung aus. Wie jede Wissenschaft gliedert sich auch die Philosophie in mehrere Unterdisziplinen auf. Zu den prominentesten gehören Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie. Der Name ist dabei Programm: Wissenschaftstheorie ist die theoretische Beschäftigung mit den allgemeinen Grundlagen der Wissenschaften. Sie behandelt also Themen wie Forschungsmethoden und die Fragen, wann das Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung als bewiesen gilt und wie es widerlegt werden kann.

Erkenntnistheorie – Was können wir wissen? Was ist Wahrheit?

Einen Schritt weiter geht die Erkenntnistheorie. Sie geht der Frage nach, inwieweit wir überhaupt in der Lage sind, etwas objektiv zu erkennen, das heißt, inwieweit unsere Erkenntnisse mit der Realität übereinstimmen. Das mag zunächst wie eine müßige Fragestellung klingen, sieht aber schon viel interessanter aus, wenn wir einmal unsere Wahrnehmung mit der von verschiedenen Tieren vergleichen. Hunde oder Katzen etwa sehen viel schlechter oder besser gesagt ganz anders als Menschen. Katzen sehen weniger Farben als der Mensch, können dafür aber viele verschiedene Grautöne unterscheiden, was für die Jagd in der Dämmerung von Vorteil ist. Hunde orientieren sich vor allem mithilfe ihres scharfen Geruchssinns. Fledermäuse benutzen Ultraschall zur Orientierung, Vögel nehmen das Magnetfeld der Erde wahr. Wessen "Weltbild" ist nun richtig? Wie können wir wissen, was wahr ist? Oder können wir es prinzipiell nicht wissen?

Auch mit diesen Fragen beschäftigten sich bereits die alten Griechen. Platon und Aristoteles gelten als die Begründer der abendländischen Philosophie. Die Fragen, die sich heute die Erkenntnistheorie stellt, behandelte damals die Metaphysik. Auch das ist ein Wort mit griechischen Wurzeln und bedeutet etwa "jenseits der Physik". Metaphysik beschäftigte sich folglich mit den Fragen, die die Physik (heute würde man sagen, die Naturwissenschaft) nicht beantworten konnte.

Ohne Ethik ist gesellschaftliches Miteinander nicht möglich

Der zweite große Themenbereich der Philosophie umfasst ethische Fragestellungen. Mit ethischen bzw. moralischen Fragen werden wir Tag für Tag konfrontiert. Einige betreffen das alltägliche Leben jedes Einzelnen, andere das Selbstverständnis einer ganzen Gesellschaft.

Es beginnt schon in Kindergarten und Schule: Was soll klein Lieschen tun, wenn Kevin ihr das Spielzeug wegnimmt oder sie haut? Zurückhauen? Zur Erzieherin gehen und petzen? Oder still leiden und auf Rache sinnen?

Und es endet bei den ganz großen Fragen: Ist Sterbehilfe erlaubt? Wie weit darf Gentechnik gehen? Ein Mensch, erzeugt aus dem Erbmaterial mehrerer verschiedener Frauen und Männer – wollen wir so etwas? Dürfen wir so etwas? Die Wissenschaft kann diese Fragen nicht beantworten, denn sie erforscht nur das, was ist, aber nicht, was sein soll. Auf die Frage, was wir tun dürfen, was wir tun sollen, geben Religionen eindeutige Antworten, aber deren Autorität wird von immer mehr Menschen infrage gestellt.

Die Philosophie versucht ethische Fragestellungen unabhängig von einer bestimmten Religion oder Weltanschauung zu behandeln. Aber wie ist das möglich? Woher nimmt die Philosophie die Autorität, uns zu sagen, was wir tun sollen? Nun, genau genommen sagt sie uns nicht, was wir tun sollen. Sie erforscht nur die Konsequenzen, die unser Handeln nach sich zieht, sie stellt die Verbindung her zwischen den Zielen von Menschen oder einer ganzen Gesellschaft und den Mitteln, also den Handlungen, die nötig sind, um diese Ziele zu erreichen.

Um ethische Entscheidungen zu treffen, braucht man Ziele

Theoretisch behandelt Philosophie ethische Fragestellungen also neutral und frei von bestimmten Wertvorstellungen. In der Praxis wird man sich aber auf gewisse Grundprinzipien als Ausgangspunkt für ethische Überlegungen einigen müssen wie etwa die allgemeinen Menschenrechte.

Was hier auf den ersten Blick sehr theoretisch und praxisfern klingt, lässt sich jedoch auch auf unser alltägliches Miteinander anwenden, sogar auf die Probleme von klein Lieschen und Kevin im Kindergarten.

Wenn wir uns klarmachen, welche Folgen unser Handeln hat, sowohl ganz unmittelbar als auch auf lange Sicht, werden wir vielleicht nicht immer gleich dem ersten spontanen Impuls folgen, sondern bewusst entscheiden, wie wir uns verhalten. Selbst klein Lieschen wird es verstehen, wenn die Erzieherin ihr erklärt, dass Zurückhauen, also Gewalt, zu immer mehr Gewalt führt. Will man diese Eskalation von Gewalt vermeiden, müssen andere Wege der Konfliktlösung gefunden werden. Das ist kein strenges, unbegründetes und unabänderliches Gebot, sondern ein Bedingungssatz:

Wenn ich dieses möchte und jenes nicht, dann muss ich mich so oder so verhalten.

Die Entscheidung über meine Ziele treffe ich also selbst und überlasse sie nicht einer abstrakten Gottheit.

Jede Gesellschaft braucht allgemein verbindliche ethische Normen

Nun ist natürlich nicht jeder ein Philosoph und hat Lust, sich mit derartigen Fragen zu beschäftigen. Die meisten Menschen passen sich im Lauf ihres Lebens der Mehrheit an und verhalten sich so wie ihre nächste Umgebung. In der Jugend kann das auch Rebellion und Abkehr von etablierten gesellschaftlichen Normen bedeuten. Wirklich unabhängig ist diese Rebellion in den meisten Fällen aber auch nicht, sondern sie folgt einer Peergroup, die die Funktion der "Gesellschaft" übernimmt.

Damit auch die Menschen, die nicht selbst über ethische Fragen nachdenken möchten oder können, Orientierung zum moralisch einwandfreien Verhalten finden, braucht eine Gesellschaft allgemein verbindliche ethische Normen. Politiker, Wissenschaftler, aber auch Künstler und Schriftsteller tragen durch öffentliche Äußerungen zur Meinungsbildung bei. Durch diesen öffentlichen Diskurs ergibt sich ein Kanon von moralischen Werten, die zum Teil in Gesetze gefasst werden, zum Teil nur bloße Handlungsempfehlungen darstellen. Wer zu bequem oder nicht in der Lage ist, selbst über die Gründe und Folgen seiner Handlungen nachzudenken, tut gut daran, diese allgemein akzeptierten Normen als Maßstab seines Verhaltens zu benutzen. Wobei gültige Gesetze natürlich für jeden verbindlich sind, auch wenn der Einzelne ihnen persönlich nicht zustimmt.

Fazit

Philosophie ist durchaus kein Spielfeld für völlig realitätsfremde Freaks und abgehobene Theoretiker. Im Gegenteil: Ein beträchtlicher Teil der Philosophie beschäftigt sich mit Fragen, mit denen Menschen ständig in ihrem Alltagsleben konfrontiert sind. "Philosophische" Entscheidungen treffen wir jeden Tag, auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst sind. Damit diese Entscheidungen nicht im Bereich des Irrationalen und der bloßen Gefühle verbleiben, bedarf es der Philosophie.

Autor seit 13 Jahren
51 Seiten
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