I. Über den Tod hinausweisende Grunderfahrungen und die Frage nach einer transzendenten Dimension

Am Anfang des Buches steht für Kessler die Beschäftigung mit vier allgemein-menschlichen Grunderfahrungen, die seiner Meinung nach zeigen, dass die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod nicht vernunftwidrig, sondern zutiefst sinnvoll ist, dass folglich die Annahme einer umfassenderen Wirklichkeit und damit auch einer anderen, transzendenten Dimension, ohne die es kein Leben der verstorbenen Individuen geben könnte, berechtigt ist.

Die 1. Grunderfahrung sei das Wissen um unsere radikale Endlichkeit und Vergänglichkeit. Dieses Wissen beinhalte das Empfinden, dass der Mensch als Person weitaus mehr ist als sein vergänglicher Körper. Der Mensch sei mit anderen Worten von einer unstillbaren Sehnsucht nach etwas erfüllt, das über die Grenzen seiner Existenz hinausweist. Das führe – und das ist die 2. Grunderfahrung – zum Aufbegehren des Menschen gegen den Tod sowie zur Frage nach dem Sinn eines Lebens, das mit dem Tod endet. Vor allem uneigennützige Liebe könne sich niemals mit dem Tod des geliebten Menschen abfinden – für Kessler die 3. Grunderfahrung. Ihre volle Schärfe aber bekommt für ihn die Frage nach einer Vollendung über den Tod hinaus – und das ist die 4. Grunderfahrung – angesichts des zu frühen oder gewaltsamen Todes unzähliger Menschen und des damit verbundenen Unrechts, der nicht abzutragenden Schuld.

Die vier allgemein-menschlichen Grunderfahrungen implizieren also Kessler zufolge Forderungen und Versprechen, die in unserem irdischen Leben nicht erfüllt werden können, so dass sich unabweisbar die Frage nach einer rettenden Wirklichkeit und damit nach Gott stellt. Dies ist für Kessler auch das stärkste Argument gegen den Atheismus.

Realitätsferne Wunschprojektion oder Indiz für eine andere Dimension?

Das wichtigste Indiz dafür, dass es tatsächlich eine andere, transzendente Dimension gibt, aber besteht Kessler zufolge darin, dass der Mensch überhaupt eine metaphysische Sehnsucht, also beispielsweise das Verlangen nach Gerechtigkeit und nach einem letzten Sinn, hat. Denn wenn es gar keinen letzten Sinn gäbe, warum sollten dann in der Evolution Wesen mit Durst nach einem solchen Sinn überhaupt entstanden sein? Warum besitzt der Mensch überhaupt – so ist für Kessler weiter zu fragen – ein Gehirn, das so komplex ist, dass er sich mit seiner Hilfe auch auf eine andere, transzendente Dimension ausrichten kann, ihrer am Rande seiner Wahrnehmungsfähigkeit sogar gewahr werden, ihrer in extremen Grenzsituationen sogar innewerden kann. Der Glaube, dass es Gott gibt, könnte also darauf hinweisen, dass es Gott wirklich gibt.

Wesentlich ist für Kessler in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen den wissenschaftlichen Erklärungen von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen innerhalb der Welt und der meta-wissenschaftlichen Ebene der umfassenden Weltdeutung, also der Beschäftigung mit der Frage, warum (und wozu) eine weltartige Realität überhaupt existiert. Wer nach Gott frage, frage also nicht zurück nach einer ersten Ursache, nach dem ersten Glied einer Kette von Ursachen, sondern er frage nach dem Grund der ganzen Kette, nach dem, was die Kette als ganze begründet und trägt – und zwar in jedem ihrer Zustände (ob vor oder nach dem Urknall).

Transzendente Dimension?

Transzendente Dimension? (Bild: MaThoPa/pixabay.com)

II. Nahtod- und Out-of-body-Erfahrungen: Indizien für ein vom Körper ablösbares Bewusstsein?

Im zweiten Teil seines Buches beschäftigt sich Kessler ausführlich mit den sogenannten Nahtod-Erfahrungen (abgekürzt: NTE) und Out-of-body-Erfahrungen (Außer-Körper-Erfahrungen; abgekürzt: OBE), da diese seiner Meinung nach die Annahme eines vom Gehirn unabhängigen Bewusstseins und einer anderen, von Raum und Zeit unabhängigen, Dimension unterstützen.

Und zwar handele es sich hier um das Phänomen, dass Patienten mit einer NTE Dinge wussten, die sie eigentlich gar nicht wissen konnten, dass sie sich also ihr Wissen durch Beobachtungen angeeignet hatten, die sie wegen des Ausfalls ihrer Hirnfunktionen und der Position, in der sie sich befanden, gar nicht hätten machen können. Man habe es hier folglich mit dem Phänomen zu tun, dass jemand etwas sieht und hört, was er nicht durch die Sinnesorgane seines materiellen Körpers, sondern außersinnlich wahrnimmt.

Durch diesen Sachverhalt, dass Menschen nach einer NTE oder OBE etwas wissen, was sie nicht aufgrund sinnlicher Wahrnehmung wissen können, wird – wie Kessler betont - die weit verbreitete Ansicht in Frage gestellt, dass Bewusstsein, Selbstgefühl etc. fest an den funktionierenden menschlichen Körper gebunden seien, dass, wenn die elektrischen Hirnströme erlöschen, auch das Bewusstsein erlösche, dass, wenn der organische Körper zerfalle, auch die Person mit ihrer Ich-Perspektive aufhören würde zu existieren.

Endloses Bewusstsein oder individuelle Seele?

Bei der Erklärung des Phänomens, dass Menschen, deren Gehirnfunktionen zeitweise ausgefallen sind, etwas in der äußeren Realität wahrnehmen und hinterher wissen, was sie nachweisbar nicht mit den natürlichen Sinnen wahrgenommen haben können, stehen sich - so Kessler - zwei alternative Deutungsversuche einander gegenüber: endloses Bewusstsein oder individuelle Seele.

Die Vorstellung eines sogenannten endlosen Bewusstseins stammt vom holländischen Kardiologen und Nahtodforscher Pim van Lommel. Dieser Konzeption zufolge gibt es ein universales, immer schon bestehendes Bewusstsein, in dem alle Informationen gespeichert sind, also auch die Informationen, die wir bewusst wahrnehmen. In dieser Sichtweise verschmilzt nach Ansicht Kesslers das individuelle Bewusstsein mit dem endlosen Bewusstsein und geht in ihm auf. NTE zeigen seiner Meinung nach aber etwas Anderes, nämlich nicht Auflösung des individuellen Selbst, sondern dessen Steigerung und Vollendung, und zwar auf der Grundlage einer engen Bindung an andere Menschen.

Er bevorzugt deshalb die zweite Möglichkeit der Erklärung außersinnlicher Wahrnehmungen, nämlich die Vorstellung eines vom Körper und Gehirn ablösbaren "Personkerns", der sich - wie manche NTE und OBE nahelegen - mit einem neuen, schwerelosen, immateriellen Körper oder Leib verbindet und dadurch während des Ausfalls der Hirnfunktionen die Wahrnehmungs- und Bewegungsfähigkeit des Betroffenen aufrechterhält. Diesen "Personkern" könne man als "Geist" oder "Seele" bezeichnen.

Kessler bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Überlegungen des Mathematikers und Physikers Günter Ewald, wonach es ein mit dem gehirnbasierten Bewusstsein (ähnlich wie bei verschränkten Quantenzuständen) nichtkausal verschränktes, ablösbares Parallelbewusstsein (Seele/Person) mit einem andersartigen, schwerelosen Parallelkörper geben könnte, was weiter bedeuten würde, dass es bei einer NTE bzw. OBE zu einer kurzfristigen Ablösung der Seele vom Körper/Gehirn käme, ohne dass die Verschränkung mit diesem aufgelöst wäre, während im definitiven Tod nur das Parallelbewusstsein (die Seele) mit dem andersartigen Parallelkörper existent bliebe. Genau dieses Parallelbewusstsein, der Personkern, würde also die Selbigkeit, die Identität, der Person über ihren Tod hinaus gewährleisten. (S. zu den Theorien von Pim van Lommel und Günter Ewald die Beiträge unserer Kollegin "Textdompteuse": http://pagewizz.com/buchrezension-guenter-ewald-auf-den-spuren-der-nahtoderfahrungen/

http://pagewizz.com/ewiges-leben-als-immerwaehrendes-endloses-bewusstsein/)

III. Projektionen und Hoffnungsentwürfe über den Tod hinaus

Im dritten Teil des Buches will Kessler verdeutlichen, dass zwar Vieles dafür spreche, dass der biologische Tod nicht das Ende der Person sei, sondern dass nach dem Tod noch etwas komme, aber dass niemand wisse, was das sei, da auch NTE und OBE immer noch Erfahrungen vor der Todesgrenze seien. Diese könnten lediglich eine Ahnung vom Jenseits vermitteln. Ferner handle es sich bei den Vorstellungen über ein Leben nach dem Tod, die zu allen Zeiten Menschen aller Kulturen entwickelt hätten, vielfach um bloße Projektionen menschlicher Sehnsüchte, Wunschträume und Interessen in ein Jenseits nach dem Tod.

Sehr problematisch sind für Kessler auch Versuche, mit Mitteln der Astrophysik oder der Quantenphysik über den Tod des Individuums hinaus zu spekulieren. Hier werden seiner Meinung nach die physikalische und die religiöse Ebene miteinander verwechselt oder vermischt. Er kritisiert vor allem, dass solche Vorstellungen unserer materiell-energetisch strukturierten Welt verhaftet bleiben und nicht darüber hinausgehen.

Von besonderer Bedeutung waren Kessler zufolge immer Vorstellungen von einer Weiterexistenz der Seele über den Tod hinaus durch Reinkarnation, also ihre Wiedergeburt in anderen Körpern. Dabei gibt es, wie er zeigt, einen bemerkenswerten Unterschied zwischen östlichen sowie antiken Vorstellungen von Reinkarnation und ihrer Neuauflage in der Moderne. Während nämlich die östliche und antike Wiedergeburtsvorstellung pessimistisch sei, nicht Trost, sondern Last und Leid bedeute, so dass man gerade nicht auf Wiedergeburten hoffe, sondern auf deren Ende, sei die heutige westliche Wiedergeburtsvorstellung zwar dem östlichen Denken entlehnt, aber gerade umgekehrt optimistisch-positiv gewendet, nämlich mit Hoffnungen auf "eine zweite Chance" verbunden.

Wie Kessler kritisch anmerkt, sei die Reinkarnationshypothese nicht wissenschaftlich bewiesen, sondern gehöre in den Bereich weltanschaulicher oder religiöser Deutungen. Grundsätzlich sind für ihn Vorstellungen über das, was nach dem Tod kommt, Hoffnungsentwürfe, die mehr oder weniger glaubhaft, vernünftig und hilfreich erscheinen.

Weiterleben nach dem Tod?

Weiterleben nach dem Tod? (Bild: sciencefreak/pixabay.com)

IV. Der jüdische und der jesuanische Hoffnungsentwurf

Im jüdisch-christliche Hoffnungsentwurf ist - wie Kessler im 4. Teil des Buches weiter verdeutlicht - die Vorstellung von einem göttlichen Urgrund und damit die Vorstellung, dass die Natur, dass all das Gewordene und wieder Vergängliche, nicht alles ist, dass es vielmehr auch ein Ungewordenes und Unvergängliches gibt, die religiöse Kernbotschaft. Hinsichtlich des "Wesens" diesen göttlichen Ur-Grundes könne nur gesagt werden, dass er alles umgibt und transzendiert, dass er aber zugleich allem immanent, also in allem drin ist, und dass Gott überpersonal ist, dass er aber auch die Qualität des Personalen in sich trägt, so dass er sich den Menschen liebend zuwenden kann.

V. Auferstehung Jesu und Auferstehung der Toten – neu bedacht

Was die Vorstellung über ein Weiterleben nach dem Tod betrifft, so ist ja für den christlichen Glauben die Überzeugung von der Auferweckung Jesu nach seinem Tod am Kreuz zentral. Es wird aber Kessler zufolge - wie er im fünften Teil des Buches zeigt - nichts über Jesus so missverstanden, fehlinterpretiert und verfälscht wie die Auferstehung. Und zwar müsse hier unterschieden werden zwischen dem frühen Osterbekenntnis und den späteren Ostererzählungen. So werde im Osterbekenntnis kurz und knapp ausgesagt, Gott habe Jesus von den Toten auferweckt, Christus sei auferweckt, während in den Ostererzählungen dieses Ereignis mit zahlreichen Details ausgeschmückt und damit erzählerisch inszeniert werde. Dazu gehöre insbesondere die Behauptung, das Grab Jesu sei leer gewesen.

Für Kessler ist jedoch das leere Grab kein notwendiger Bestandteil des christlichen Glaubens, denn Auferstehung meine nicht Wiederbelebung des Leichnams und damit Rückkehr ins irdische Leben, sondern die Entrückung/Erhöhung der Person, ihre Verwandlung (Transformation) und ihr Eintreten in die ganz andere Dimension Gottes - wie es auch Äußerungen von Jesus und Paulus nahelegen würden. Dies bedeute auch, wie Kessler in Abgrenzung zu anderslautenden Vorstellungen betont, dass es sich dabei um eine Auferstehung im Tod, also eine sofortige Auferstehung handele.

Die Rede von der Leiblichkeit der Auferstehung, der leibhaftigen Auferstehung der Toten, sei wiederum – wie auch die NTE bzw. OBE nahelegen - zu verstehen als Weiterleben des Personkerns, der Seele, in einem anderen, schwerelosen Leib, damit aber auch - da der Leib gleichbedeutend sei mit der Person in ihrem konkreten Gemeinschafts- und Weltbezug - als Rettung der unverwechselbaren Person mitsamt ihrem Bezogensein auf andere und auf die Welt, wobei auch die schwierigen, die abgebrochenen, die zerstörten Beziehungen geheilt und zu ihrer Erfüllung gebracht würden.

VI. Gott – das letzte Ziel unseres Lebens

Abschließend macht sich Kessler Gedanken über die ganz andere Wirklichkeit, in die Tod und Auferstehung und damit der Ausstieg aus der Raum-Zeit führen. Christen würden hier, wie er betont, von der "Begegnung mit Gott" sprechen. Wesentlich sei hier die Vorstellung von einem durch die unvergleichliche Liebe Gottes bewirkten Läuterungsprozess. Es gehe hier also um das Bereuen von Schuld und die Bereitschaft zu persönlicher Veränderung. Denn nur dadurch würden Vergebung und Versöhnung möglich und damit die Rettung aller, der Täter und der Opfer.

Kessler stellt auch klar, was es wirklich bedeuten könnte, ewig zu leben. Damit sei nämlich nicht das unendliche Weitergehen des irdischen Lebens gemeint, sondern seine grundlegende Transformation, seine Vollendung, also ein Leben in Fülle voller Dynamik und in freudiger Überraschung, und zwar in der Beziehung zu anderen. Das heißt: Man erlebe das Glück der Begegnung mit dem Anderen und habe es zugleich auch immer nochmals vor sich, ohne Angst der Trennung oder des Nicht-beachtet-Werdens. In einer solchen liebevollen, aber offenen Gemeinschaft komme die Person des Einzelnen zu ihrer vollen Identität, zur Erfüllung ihres unerfüllten Wesens. Solche Prozesse der Wiedergeburt und Auferstehung könnten aber – so Kessler – auch bereits in unserem "irdischen" Leben stattfinden.

Bewertung

Hans Kesslers Buch ist für mich eine faszinierende Mischung aus kühner, aber dennoch von Vernunft geleiteter, Spekulation, religiösem Bekenntnis und wissenschaftlicher Expertise. Denn Kessler zeigt, wie man den Kern des religiösen Glaubens, nämlich die Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tod in der Obhut Gottes, rational begründen könnte. Er eröffnet damit die Möglichkeit, eigentlich Undenkbares doch zu denken und sich eigentlich Unvorstellbares doch vorzustellen. Man kann auch sagen: Hier finden diejenigen Antworten auf ihre drängendsten Fragen, die mit den Antworten, die sie bisher darauf erhalten haben, nicht zufrieden sind. Zudem ist das Buch auch für Nicht-Wissenschaftler lesbar.

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