"Volturnus schläft" nicht ein, sondern liest sich gut und flüssig

Den Einstieg in den Roman bildet ein Ausschnitt des Gedichts »Das scheintote Kind«. Dieses Gedicht stimmt auf das gesellschaftlich unsichtbare, unscheinbare Leben einer Blinden in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein. Sie wird kaum wahrgenommen und ist scheintot.

Die erste tatsächliche Seite des Romans wirkt wie ein Intermezzo aus dem Fanatasie- bzw. Horrorgenre entnommen. Gemeint ist die erste Hälfte des kurzen ersten Kapitels mit Namen "Begierde".

Exkurs: Volturnus war im alten Rom ein Gott des Wassers und der Flüsse (Bild: Simon / Pixabay)

Beschrieben wird in dieser Szene wie eine lüsterne Person eine junge Frau am Ufer der Nagold beobachtet und quasi mit den Blicken auszieht. Die Beschreibungen der Person und ihrer Aktionen sind allerdings unglücklich gewählt, da sie den Eindruck erwecken, ein Drache bzw. ein Monster aus einem Horror- bzw. Fantasieroman würde die junge Frau beobachten und lüstern angaffen und nicht ein Mensch. ("Seine Augen ...[]... glommen in ...[]... vulkanischen Licht", "Vulkanaugen", "Drachenblick", "Drachenhöhlen" ...)

Diese Wortwahl der Autorin verwirrt ein wenig beim Lesen und erweckt auf der ersten Seite diesen falschen Eindruck da das Wort Drachen und Verbindungen des Wortes so häufig vorkommen. Die innere Stimme fragt sich: "Sollte das nicht ein Historienroman sein?"

Dann blättert man um und der scheinbare Horror- bzw. Fantasieexkurs finden ein Ende und der eigentliche Roman fängt mit einer Beschreibung der Szene am Ufer der Nagold aus der Sicht der jungen Frau und ihrer Welt an. Die Welt ist wieder im Historiengenre angesiedelt und auch die Sprache und der Stil passend. Der Stein des Anstoßes ist vorübergegangen und man taucht in die Welt der blinden Agnes Ganter, Tochter der Wirtin Ganter ein.

Lob

Der Roman wurde mit viel Liebe zum Detail geschrieben. Die Blinde im Roman ist an keiner Stelle aus der Rolle gefallen und der Alltag der Blinden wird sehr glaubhaft und realistisch dargestellt. Der Autorin gelingt es gut die Welt einer Blinden im 18. Jahrhundert darzustellen mit all ihren Facetten und auch die Reaktionen und Ablehnungen des Volkes gegenüber Behinderten.

Die Beschreibung der Welt im Roman ist sehr gut gelungen und wirkt plastisch fast greifbar als wäre man mitten im Geschehen. Die Lebenswelt und Umwelt der Menschen dieser Zeit und deren Verhaltenslogik auf Basis ihrer vergleichsweise kleinen Welt wurden sehr gut dargestellt.

Kurzum die Gratwanderung zwischen Immersion und Authentizität sind im Roman sehr gut gelungen, ohne den Lesefluss oder die Dynamik zu stören. Der Roman überzeugt durch flüssigen und glaubhaften Stil ohne schwerfälligen Ballast schriftlicher Natur. Er gewinnt mit dem Fortschreiten der Handlung immer mehr an Fahrt und Spannung und bietet einiges an Überraschungen.

Kritik

Einen Kritikpunkt gibt es allerdings in Form eines kleinen medizinischen Fauxpas im Werk. Eine Person beißt im Werk einer anderen Person ein Stück Fleisch aus dem Laib. Menschenbisse zählen zu den gefährlichsten Bisswunden für uns Menschen aufgrund der hohen Infektionsgefahr.

Zusätzlich bleibt die Wunde im Roman nicht nur unversorgt, sondern die verletzte Person wird im Freien auch noch an den Pranger gestellt. Dort wird sie mit allerlei Unrat und Fäkalien beworfen und auch Insekten hätten leicht Zugang zu der Wunde. Danach wird die Person im Kerker mit Fäkalien besudelt und verprügelt. So weit, so gut.

Der Pferdefuß an der Sache ist, dass die Person die Verwundung weder zu bemerken scheint, noch scheint die Wunde sich zu entzünden oder brandig zu werden, obwohl sie tagelang unbehandelt bleibt.

Bettina Schott gelingt der Erstling "Volturnus schläft" - Leseempfehlung!

Die erste Seite im Roman ist ein wenig abschreckend zu lesen und zum Glück währte dieser Eindruck nur diese erste Seite lang. Die böse Seite ist schnell vorüber und rasch fühlt man sich in der Welt von Agnes Ganter gut aufgehoben. Ihre Eingeschränktheit, ihr Überlebenskampf in einer ablehnenden Umwelt werden gut dargestellt.

Der Leser fühlt mit der Protagonistin mit, die einfach nur als vollwertiges Mitglied der Kleinstadt ernstgenommen und wahrgenommen werden will. Der Roman erhält eine Leseempfehlung meinerseits, da die Liebe zum Detail und das Herzblut der Autorin für ihre Arbeit im Stil und der Ausdrucksweise zum Vorschein kommen.

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