Der Weltaltermythos gemäß babylonischer Vorstellungen

Der sogenannte Weltaltermythos geht auf ein von Hesiod überliefertes Gedicht über die fünf Menschengeschlechter zurück, wie die Welt in den altbabylonischen Vorstellungen ausgesehen haben mochte. Den Beginn der Zeitrechnung stellte das »goldene Zeitalter« dar, in welchem paradiesische Zustände geherrscht hätten. Das weiter unten gezeigte Gemälde Lucas Cranachs d. Ä. Verdeutlicht die Unbeschwertheit der Menschen jener Zeit. Alter, Hunger und Krankheit waren in diesen Tagen unbekannte Worte.

Die Babylonier benannten ihre historischen Epochen nach Metallen. Je weiter die Zeit zurücklag, umso wertvoller wurde das Metall. (Bild: Nemo/Pixabay)

Der römische Dichter Ovid, welcher selbst mehr als eintausend Jahre nach den Babyloniern lebte, beschrieb das »goldene Zeitalter« als die friedliche Zeit, welche ohne Gesetze auskam und in der die Götter die Menschen mit Speiß und Trank reichlich ausstatteten.

Nach dem »goldenen Zeitalter« setzte eine Phase der Dekadenz in den Köpfen der Menschen ein. Die darauffolgende »silberne Zeit« ist noch immer von glückseligen Tagen gekennzeichnet, allerdings begann laut babylonischer und römischer Überlieferung bereits die Zeit der Mühe. Felder mussten bestellt und Häuser gebaut werden, denn er zuvor herrschende ewige Frühling neigte sich dem Ende zu. Herbst und Winter kamen über die Welt und zwangen die Menschen zur Arbeit. Aufgrund der Gottlosigkeit der Welt vernichtete Zeus als Herrscher dieses zweiten Zeitalters sehr schnell das Menschengeschlecht des »silbernen Zeitalters«,woraufhin das »bronzene Zeitalter« folgte, welches eine Epoche des andauernden Krieges einläutete, in der die Gefallenen und Erschlagenen in das Reich des Hades, in die Unterwelt, hinabsinken.

Auf jene Phase der Zerstörung und des Leids folgt unmittelbar das »heroische Zeitalter«, welches eine Art Lichtseite der »bronzenen Epoche« darstellt. Kriege stehen noch auf der Tagesordnung, doch sind es Helden, die die Geschicke der Schlachtfelder in die Hand nehmen und Völker zu Siegen verhelfen. Historiker vermuten, dass diese vierte Epoche durch die Griechen geschaffen wurde, um ihre eigenen Helden in das bekannte Geschichtsschema einzubetten.

Als letztes Zeitalter der Frühantike wird die »eiserne Zeit« genannt, die grausamste und schlimmste aller Welten, in der Tod, Elend und Krankheiten die Menschen heimsuchen.

Das Goldene Zeitalter in ein Gemälde gefasst. (Bild: Lucas Cranach der Ältere)

An der Wahl der Worte können also durchaus Rückschlüsse auf die Mentalität der Menschen des Altertums und Parallelen zur modernen Zeit gezogen werden. Das Phänomen der Verklärung zurückliegender Jahre muss bereits in den Köpfen der Antike vorgeherrscht haben. Lediglich die positiven Seiten der Vergangenheit wurden gewahrt, womit der Drang, diese im Nachhinein zu »vergolden« erklärt werden kann. Kurzum: Der Satz »Früher war alles besser« begleitet die Menschheit bereits seit mehreren Tausend Jahren.

Geschichtsschreibung griechisch-römischer Prägung

Zwar erlebten Griechen und Römer zu völlig verschiedenen Zeitpunkten den Höhepunkt ihrer Kulturen, dennoch überschnitten sich ihre Art der Geschichtsschreibung mehr als deutlich.

Wie angedeutet, hatten beide Völker über ihre Dichter durchaus Kenntnis von dem babylonischen Weltbild des Weltaltermythos, lehnten es jedoch ab, diesen als das Modell für das eigene Geschichtsdenken zu benutzen.

Dies ist insoweit konsequent, als dass mit der Erfindung der Philosophie ein gewaltiger Schub an menschlicher Eigenständigkeit einsetzte. Das Hinterfragen des Hergebrachten kam in Mode. Es war daher zwingend, dass die erleuchteten griechischen Historiker nach einem eigenen, besseren Weg suchten, als die Babylonier ihn vorgegeben hatten. Der Objektivierung des Seins sollte eine Objektivierung der Vergangenheit folgen.

Und so gingen die Geschichtsschreiber an der Ägäis dazu über, in den Überlieferungen nach untergegangenen großen Völkern zu suchen, um diese als chronologische Fixpunkte in die Geschichtsbücher zu übernehmen.

Kennzeichnend für diese neue Form der Geschichtsschreibung ist allerdings ein ganz anderer Punkt: Griechen und Römer gingen jeweils mit dem Erstarken der eigenen Kultur dazu über, sich selbst als epochale Völker zu betrachten.

Und daher folgte bereits in der griechischen Geschichtslehre das eigene Volk auf die vorhergehenden Reiche der Assyrer, Meder und Perser.

Mit dem Niedergang Griechenlands und dem Aufstieg Roms adaptierten die Römer nicht nur wesentliche kulturelle Elemente der Hellenen sondern gleichfalls deren Form der Geschichtsschreibung. Lediglich die Tatsache, dass aufgrund der Feldzüge Alexanders des Großen in der römischen Geschichtsschreibung das Zeitalter der Griechen als die Makedonische Epoche bezeichnet wurde, unterschied das Verständnis über die Vergangenheit dieser beiden Völker.

Doch die Interpretation der Vergangenheit hängt stets von dem kulturellen Standpunkt des Betrachters ab. Das griechisch-römische Bild war stark genug, dem Sturz des imperium Romanum zu trotzen, für die Ewigkeit sollte es hingegen nicht gemacht worden sein. Bis in das neunte Jahrhundert hinein hielt sich die antike Zeitrechnung. Zeitgenossen betrachteten das neu errichtete Heilige Römische Reich (Deutscher Nation) sogar als Weiterführung der Tradition der Caesaren und ihrer Reiche.

Nicht für lang, wie sich zeigen sollte.

Mit der tiefgreifenden Christianisierung der europäischen Völker änderte sich auch deren Verständnis der Vergangenheit. (Bild: Didgeman/Pixabay)

Eine neue Zeitrechnung bricht an

Der Fall Roms hatte ein gewaltiges Machtvakuum hinterlassen, in welches nicht nur einwandernde Völkerschaften drängten. Auch die christliche Kirche hatte erkannt, dass sich eine einmalige Gelegenheit ergeben hatte, um den eigenen Glauben in der abendländischen Kultur weiter zu verankern.

Der Gedanke, die Religion mit der Politik zu verknüpfen, wurde auf die oberste Tagesordnung gesetzt.

Die Idee von der Einheit von Staat und Kirche wurde geschaffen, welche in den kommenden Jahrhunderten bis 1789 vorherrschen sollte.

Den Beginn der christlichen Geschichtsschreibung markierte der Sündenfall Adam und Evas sowie das Erscheinen Christi. Das Jahr 0 als fixe Terminologie wurde »erfunden«. Als Ende der Zeit wurde der bevorstehende und unvermeidliche Weltuntergang angesehen. Das Zeitfenster zwischen diesen beiden Ereignissen sah man als jene Epoche an, die für den Menschen gedacht war.

Mit der fortschreitenden Entwicklung der christlichen Theologie änderte sich die starre Form der Geschichtsschreibung kaum. Ab spätestens dem Hochmittelalter gingen die Gelehrten allerdings davon aus, dass das Ende der Zeiten durch das Jüngste Gericht, nicht etwa durch den direkten und sofortigen Weltuntergang gekennzeichnet wäre.

Dieser Umstand beförderte die Religiosität der Massen enorm. Da das Eintreffen des Jüngsten Gerichtes nicht bekannt war, bemühte man sich, seinen Glauben für alle deutlich hervorzuheben. Es war daher kein Zufall, dass die Verfolgung von religiösen Minderheiten in eben jene Zeit fiel.

Das humanistische Weltbild

Mit dem Beginn der Reformation begann das Ende der absoluten Dominanz der (katholischen) Kirche, die im Verlauf des Mittelalters genügend Macht entwickelt hatte, nach Belieben die weltlichen Fürsten und Könige exkommunizieren zu können. Die Spaltung des Christentums in mehrere Richtungen legte die Grundlagen für die herannahende Aufklärung, durch welche alle Bereiche des Lebens durch kritische Geister hinterfragt wurden.

Der Glaube blieb den Menschen nach wie vor wichtig, doch wurde seine Bedeutung für die oberen Klassen soweit reduziert, als dass die Anzahl der Ausschlüsse aus der Kirche drastisch sank. In den protestantischen Ländern übernahmen zudem die weltlichen Regenten die Macht in ihren (Landes-)Kirchen, sodass von nun an weitere Druckmittel auf den Papst in Rom vorhanden waren.

»Gewährt uns größere Unabhängigkeit vom Heiligen Stuhl oder mein Reich wird zum reformierten Glauben wechseln«, waren beliebte Drohgebärden der damaligen Diplomatie.

Aus diesem Grunde war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die überlieferte Geschichtsschreibung an sich in Frage gestellt wurde. Ein regelrechter »Run« auf die vorchristliche Zeit setzte ein. In der Architektur besann man sich wieder den antiken Baustilen, während die Historiker und Philosophen auf altertümliche Denkmuster zurückgriffen.

Die Zahl Drei wurde schnell wieder zum Inbegriff des Perfekten. Mathematiker erforschten wie einst Pythagoras oder Thales Dreiecke und ihre Berechnungen. Pyramiden begannen die Entdecker zu faszinieren. Die Geschichtsschreiber wiederum entwarfen ein Drei-Typen-Schemata der Vergangenheit: Antikevorchristliche Zeit«), Mittelalterchristliche Zeit«), Neuzeitnachchristliche Zeit«). Das heutige Weltbild wurde geschaffen, wenngleich die Zahl seiner Elemente mittlerweile auf vier bis fünf erweitert worden ist.

Humanistisches vs. Marxistisches Weltbild

Da Vincis Darstellung der Körperproportionen als Inbegriff des neuen, freien Denkens der Aufklärung und des Humanismus in Kunst und Medizin (Bild: Da Vinci/Wikimedia)

Der Mann, der dem Marxismus und dessen Geschichtsbild seinen Namen gab: Karl Marx (Bild: John Mayall/Wikimedia)

Das marxistische Fünftypenschema

Als eine »Unterart« der humanistischen Geschichtsschreibung bildete sich während der industriellen Revolution eine ganz eigene Form der Historie heraus. Die Ideologie des Marxismus hatte den »neuen Menschen« zum Ziel und entwickelte in Anlehnung an das Christentum eine separate Form des Verständnis von Vergangenheit, die aus der Sicht des Klassenkampfes interpretiert wurde. Entgegen der humanistischen Geschichtsschreibung, die durch zahlreiche Geister geschaffen wurde, war das Schema der marx'schen Geschichtsschreibung stark durch »Das Kapital« vorgegeben. Ein Fünftypenschema wurde entwickelt.

Am Anfang stand die klassenlose Urgesellschaft, auf welche zunächst die Sklavenhaltergesellschaften römischer und griechischer Prägung folgten. Diese entwickelten sich wiederum zur christlichen, mittelalterlichen Feudalgesellschaft, die vom modernen Kapitalismus abgelöst worden wäre und eine Epoche der unglaublichen Ausbeutung der Arbeiterklasse darstellte.

Diese überaus unerfreuliche Zeit würde nach dem marxistischen Fünftypenschema durch einen Umweg über die Diktatur des Proletariats in der kommunistischen Gesellschaft enden, die ihrerseits keine Klassen kennen würde.

Das Geschichtsbild des Marxismus war – ähnlich wie das christliche – somit in sich geschlossen.

Conclusio

Geschichte ist stets ein Produkt von Völkern und ihrer kulturellen Prägung. Die Einteilung der Vergangenheit erfolgt immer unter dem Eindruck des eigenen historischen Verständnisses. Oder um es kurz zu formulieren: »Der Sieger schreibt die Geschichte«. Es gibt zahllose Beispiele dafür, dass mit militärisch erfolgreichen Nationen deren Sichtweise auf geschichtliche Vorgänge überdauerte, während die Art und Weise der Kategorisierung des Vergangenen der Unterlegenen dahinschwand. Unsere heutigen Kenntnisse über antike griechische und römische Historiker rühren lediglich daher, dass ihre Kulturen in gewisser Hinsicht über einen längeren Zeitraum hinweg die Stärke errungen hatten, das Weltbild der Nachwelt entscheidend zu prägen. Insoweit dürfte es spannend sein zu erfahren, wie die kommenden Generationen über die momentane Gegenwart urteilen wird.

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