Lee

Wir sehen in diesem Bildframe einen Mann, um die 40, vielleicht älter. Er trägt Hut, Hemd und Weste. Dazu ein braunes Sakko, was in dieser Gegend ob der Hitze darauf hindeutet, dass ihm sehr an seinem Eindruck gelegen ist. Er möchte gut angezogen sein. Das offene Hemd deutet darauf hin, dass auch ihm die Temperatur aufgefallen ist. Keine Masche oder Kravatte, keinen Schmuck oder Brille, nur eine glatte Rasur und einen Schnauzbart, der die Oberlippe bedeckt, und - Koteletten.

 

Das Licht kommt von links, er wirft einen Schatten etwa in seiner Größe und Silhouette an der Wand hinter ihm. Er steht etwa einen bis 2 Meter vor der Kamera (Straight on Angle), die die Position eines "Banditen" einnimmt. Er wird in einem gewissen Winkel rechts neben ihr/ihm vorbeigehen, wenn er weitergeht – oder läuft. Es trennen ihn nur wenige Schritte von der offenen Tür, die an den Banditen vorbei ins Freie führen würde. Sein Gesichtsausdruck lässt darauf schließen, dass er in diesem Moment die Möglichkeiten abwägt. Oder über das eben Gesehene reflektiert. Er wirkt demütig.

 

Das vom Licht beschienene Objekt zeigt Körperfarbe, die auf Tageslicht hindeutet. Die eleganten oder funktionalen Lichtelemente, die in diesem Raum angebracht sind sind zur Zeit nicht in Betrieb – was auf die Tageszeit einen Hinweis geben könnte. Der Raum weist darüber hinaus weitere Lichtquellen auf, die aus einem Seiten- und/oder Oberlichtfenster hereinstrahlt. Seine rechte Hand wirf einen Schatten auf seinem Sakko, die Ansicht einer Hand, die nach etwas greift. Die Gesichtszüge sind markant, treten aber nicht hervor. Der Schattenwurf ist recht sanft und zeichnet sich nur in geringem Maße ab, was auf Mehrfachbelichtung hindeutet. Ein inszenierter Moment, der darauf hindeutet, dass Tonino Valerii ein sehr sorgfältiger Regisseur ist.

 

Der Bildraum wird sowohl vom Protagonisten als auch von der dahinterliegenden weißgetünchten massiven Wand dominiert, die Aufmerksamkeit ruht auf ihm. Es ist eine Einstellung, die vielleicht zwischen Medium Shot, der gern in Western eingesetzt wird und einem Medium Close Up angesiedelt ist, was die Konzentration im Gesicht des Protagonisten erklärt, der auf eine Reaktion wartet – ob akustisch oder visuell – die es ihm ermöglicht, die Hand an seinen Revolver zu legen und den Gegner zu eleminieren. Es ist eine Situation der Spannung, die gelöst wird, durch die Aufforderung eines der Banditen, die Waffe auszuhändigen. (Dann wird die Spannung in seinem Gesicht erkennbar, was freilich in diesem Bild nicht erfassbar ist. Aber ich bin im Vorteil, ich kenne den Film schon.)

 

Er ist der Protagonist, ohne ihn kann keine Handlung geschehen. Wenn er nicht da wäre, wären auch die Banditen nicht da und hätten keinen Grund, sich diesem Pistolero zu nähern. Dann wären sie wohl im Saloon und spielten Karten. So aber bilden sie mit dem Mann im Bild, Talby, ein Spieler-Gegenspieler-Schema, das ganz Klischee auch ihre sozialen Rollen mittransportiert. Der Pistolero ist kein Cowboy im eigentlichen Sinne, die drei die ihn stellen, auch keine Sheriffs im eigentlichen Sinne. Es ist eine Wild-West-Situation, in der "Vergeltung" geübt wird in Glauben, es würde "Gerechtigkeit" geübt, allerdings fehlt eine unparteiische Instanz, die über das Strafaußmaß entscheidet.

 

Während aber der Revolverheld als ergiebiger, komplexer Charakter durch den Film führt, sind seine Gegenspieler in dieser Szene nur "Flat Characters", die außer ihrer offensichtlichen Präsenz wenig erkennbare Wesenszüge aufweisen. Sie charakterisieren sich aber dadurch selbst und sind nicht auf Vorstellung durch Dritte angewiesen (was nebenbei eine interessantes Experiment darstellen könnte, etwa wenn es hier plötzlich eine Stimme gäbe, die die drei Figuren vorstellt, beurteilt und ihre Überlegungen in diesem Moment hinterfrägt).

 

 

Dies vor allem, weil in der nächstfolgenden Sequenz Talby, zur Strafe unbewaffnet an drei Pferde gebunden wird, die ihn einige Runden über den harten Steppenboden schleppen, ihn dabei demütigen, verletzen und ordentlich sein schönes Westernoutfit verunstalten. Sie haben sich also damit begnügt, Vergeltung zu üben, ihn aber nicht getötet – was vielleicht noch gekommen wäre, wären sie nicht unterbrochen worden.

 

 

 

Formales

 

Der Filmausschnitt entstand bei Minute 34. des Italowesterns der eine Gesamtlänge von 1:24.24.

Wenn man auch die Hauptfigur als kunstvoll inszenierten Charakter wahrnimmt, der wiederum mit einer zweiten Figur im Dialog auftritt, so ist der Schwerpunkt auf der Handlung die sich in mehreren Phasen entfaltet: Zunächst die in einer sozialen Rolle zementierten Scott, die sich zu einem Schusswechsel und einer Gerichtsverhandlung steigert, bis die Krise sich durch sein Bemühen, von Talby akzeptiert zu werden zu lösen beginnt und einen Umschwung herbeiführt, der sich aber nur zögerlich entfaltet, zumal die von Talby gefundene Lösung: Teilhaberschaft in einem Saloon sich bei gleichzeitiger Entwaffnung der Ortsbevölkerung zu einer sehr konfliktbehafteten, vielleicht übereilten Entwicklung führt, die mit ihrer Hastigkeit der Ausführung, der Zähigkeit und Härte der Mentalitäten ein katastrophales Ende nimmt – bei der praktisch Murph und Talby das Zeitliche segnen – eine Tragödie also.

 

 

Wer ist Tonino Valerii?

 

Tonino Valerii, ein Italiener und stammt aus den Abruzzen, wurde 1934 geboren und gestaltete eine Menge Filme, Serien und war nicht nur als Assistant Director und Director, sondern auch als Schauspieler tätig. Er gilt als erfolgreicher Autor und die Datenbank imdb findet immerhin 17 Einträge in dieser Kategorie. "Day of Anger" war nicht sein erstes Projekt, doch es folgten eine ganze Reihe von namhaften Movies - "A Girl Called Joules", "My Dear Killer", "A Reason to Live, A Reason to Die" und "My Name ist Nobody". In den 80er Jahren ging er mit Serien an den Start und in den 90ern folgten wieder TV-Movies und Mini-Serien. Er starb 2016 in seiner Heimatstadt in Teramo, Italien.

 

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