Streetkids

 

Das Problem der Straßenkinder ist Russland nicht neu und zählt praktisch fast zur Tradition. Kriege, insbesondere Bürger- und die Weltkriege haben dieses Phänomen immer wieder hervorgerufen und so fanden sich in den 20er Jahren auch etwa 6 bis 7 Millionen Kinder obdachlos in den Straßen.

 

Damals wurde von der Leninistischen Bewegung reagiert und ein Auffangsystem geschaffen. Es wird als "nahezu lückenlos" beschrieben. 1928 wurde also die Geheimpolizei und der Geheimdienst dazu herangezogen, die Kinder auf den Straßen zu schnappen und in Gewahrsam zu nehmen. Unterschiede, in der Behandlung von Kindern und Kriminellen gab es nicht. Sie wurden einzeln oder in Banden festgenommmen und abgestellte Soldaten verhinderten die Flucht. Diese Unterbringungseinrichtungen waren geschlossen!

 

Es dauerte sieben Jahre, bis das Straßenkinder-Phänomen unter Kontrolle war. Die Unterkünfte und ihre Betreiber organisierten Arbeitsdienste, Pionier-und Jugendorganisationen und suchten vereinzelt auch Adoptiveltern. Diese aber erwarteten meist Arbeitsleistung von den Kindern und Jugendlichen, mit einem Wort, eine wohlerzogene Arbeitskraft, weshalb viele Kinder wieder zurück ins Heim gebracht wurden. Zurück in der "Anstalt", war das Kind bald wieder "fluchtreif". Es ist anzunehmen, dass Kinder damals einfach auf der "Flucht", sprich der Straße, starben. Krankheit, Drogen und Alkoholismus taten ebenfalls ein grausames Werk. Mit 1941 kam es erneut zu einer Welle an obdachlosen Straßenkindern, auch das Verbrechen unter jugendlichen Straßenkindern stieg an.

 

Wer nun denkt, es gäbe kein Waisenhaus in Russland, irrt. Es gibt Waisenhäuser, doch es sind Masseneinrichtungen. Um diesen Massen Herr zu werden, setzte man auf – heute würde man sagen menschenunwürdige - harte Bedingungen, die den Verlust der Privatsphäre umfasste. Und die Waisenhäuser wurden vor der Öffentlichkeit abgeschirmt. Es gab ein paar Vorzeigehäuser, der Rest blieb bei Visiten der Öffentlichkeit geschlossen.

 

 

 

Die Sowjetunion zerfällt

 

Klebstoffschnüffeln als Droge unter Straßenkinder (G. Turine, Tlaxcala)Nicht für alle war der Zerfall der Sowjetunion in den 90er Jahren ein Segen. Viele Russen rutschten in Folge dieser dramatischen Umwälzung im Land, die der Niedergang des Kommunismus mit sich brachte, ins soziale Nirgendwo. Ein großer Teil der Bevölkerung, etwa ein Viertel, lebt unterhalb der Armutsgrenze. Das sind vor allem Rentner, kinderreiche Familien und AlleinerzieherInnen. Und so ist es auch zu erklären, dass diese Destabilisierung der Verhältnisse zu einem Anstieg der Straßenkinder und Waisen führte. Und das, obwohl es in Russland ein Schrumpfen der Bevölkerung gibt. In der Zeit seit 1996, so DIE ZEIT (6.12.12) verringerte sich die Bevölkerung Russlands um 7 Mio. Menschen. Dies wird auf Schwangerschaftsabbrüche zurückgeführt, die sich ebenfalls jährlich im Mio.-Bereich abspielt.

 

 

Antimagitski

 

Und dennoch leben Kinder und Jugendliche weiterhin auf der Straße und die Waisenhäuser sind überfüllt. Während man in den vergangenen Jahren versuchte, die Waisenkinder-Zahl auch mit Auslandsadoptionen im Rahmen hielt, wurde dies vor kurzem per Gesetz wieder verboten. Die überfüllten Waisenhäuser, in denen man die Kinder mitunter vernachlässigt, müssen die Jugendlichen mit 16 oder 17 Jahren verlassen. Erstaunlicherweise gibt es aber eine Fürsorgeleistung durch den Staat, der aber erst ab 18 Jahren an ehemalige Waisenkinder ausbezahlt wird. Und so befinden sich weiterhin Jugendliche auf der Straße, denn die Not treibt sie in die Kriminalität, die Prostitution und ins Rauschgiftmilieu. Nur eines von zehn ehemaligen Waisenhaus-Kindern/Jugendlichen schafft den Sprung in die Gesellschaft, der Rest landet in Besserungsanstalten, Gefängnissen und in der Kriminalität. Ein Drittel der Straßenkinder geht der Prostitution nach, vermutlich aber sind alle auf die eine oder andere Weise beteiligt. Drogen werden von etwa drei Viertel der Kinder und Jugendlichen konsumiert. Die Folge ist, dass sich die Kids mit Krankheiten gegenseitig anstecken. Da wäre vor allem Hepatitis zu nennen, die fast alle Straßenkinder befällt und HIV, wobei hier die genannten Zahlen so stark variieren (6.645 bis zu 1 Mio.) dass sie nicht mehr glaubwürdig sind.

 

 

Lichtblicke

 

Es gibt sie, die Hilfsangebote. Etwa möchte der Gemeinnützige Verein "Take my hand e.V." - Hilfe für Adoptivkinder und Waisen anbieten. So kommen Waisen in Russland und GUS zu einer adäquaten medizinischen Versorgung und Rehabilitation. Kosten für Behandlung des Kindes oder Reha-Maßnahmen werden zum Teil von "Tmy" übernommen. Gerade Kinder mit Einschränkungen werden von medizinischer Versorgung oft ausgeschlossen. Natürlich suchen die Kinder Adoptiveltern, umso besser ihre Gesundheit, desto höher ihre Chancen. Für Jugendliche, die nicht mehr adoptiert werden können, wird im Projekt "Tür in die Zukunft" gesorgt. Etwa Teenager sollen in den Genuss von Bildung kommen und so beteiligt man sich an Kosten für Förderung, Nachhilfe oder Prüfungsvorbereitung. Daneben hilft man auch behinderten Kindern, ein neues Zuhause zu finden und den Kindern und Jugendlichen, die das Waisenhaus verlassen mit Ernährung und Unterstützung.

 

Straßenkinder mobil zu betreuen, ist der Auftrag der russischen Caritas-Tochter, die sich auch der Durchführung weiterer Aktivitäten verschrieben hat. Dazu gehören Kochkurse und Sommerlager, Persönlichkeitstrainings und andere Workshops. Man betreut auch traumatisierte Kinder, etwa in Tomsk.

 

Tomsk-7?

 

In der ehemals geschlossenen Stadt Tomsk-7 explodierte 1993 der Großteil der zur Uran- und Plutoniumherstellung dienenden Anlage. Der 250 Quadratmeter umfassende Austritt radioaktiven Gases, wird auf 30 Terabecquerel (Beta und Gamma-Strahler) beziffert, sowie auf ca. sechs Gigabecquerel Plutonium. 120 km² wurden verseucht. Der radioaktive Niederschlag erging über Georgiewka und Nadeschda, sowie über weitere Gegenden. Tumore und Gendefekte bei der Bevölkerung, die sich mit verseuchter Nahrung und Wasser versorgte, waren die Folge. Die norwegische Umweltorganisation Bellona zählte 30 größere "kritische Störfälle" in diesen Werken in Tomsk. Es dürften also pro Jahr 10 Gramm Plutonium in die Atmosphäre gelangten. Darüber hinaus sammelten sich in den 50 Jahren unglaubliche Mengen an atomaren Müll auf dem Anlagenareal, in unterirdischen Depots und in leakenden Auffangbauten. 2008 wurden die Werke stillgelegt, die Brennstäbe-Aufbereitung und die Chemikalien-Herstellung wurde aber trotz der vernichtenden Studien aus dem Jahr 2008 aufrechterhalten. Trotz der Bemühungen, das Kombinat zu verklagen, wird meist keine Entschädigung bezahlt, da die Kläger meist vorzeitig versterben.

 

Weitere Projekte

Aber das sind Projekte deutschen Ursprungs, wie auch das Kinderhilfsprojekt für Streetkids in St. Petersburg der Deutschen Lebensbrücke e. V., die sich mit Spendenansuchen auf ihren Seiten an die Besucher wendet. Laut diesen Seiten soll es allein in Moskau 50.000 Straßenkinder geben. Gleichzeitig gilt Moskau, gemeinsam mit Tjumen als das am meisten entwickelte Gebiet Russlands.

 

Die gemeinnützige Organisation "Opora" (Rückhalt), widmet sich auch der Unterstützung der Waisenkinder in Russland. Mit ihren Mitteln kann jedoch über Lücken in der Struktur der Waisenhäuser hinweggetäuscht werden, was nicht allen Verantwortlichen gefällt.

 

Fazit

Der Weg ist noch weit und wird von der Führung nur halbherzig beschritten. Viele Betreuer in den Einrichtungen machen einen eher frustrierten Eindruck. Welche Möglichkeiten sind ihnen in der Mitgestaltung gegeben? Wie ist es um die Lehrerbildung und das Erziehungswesen in den Staaten Russlands bestellt? Ein weiterer zu hinterfragter Fakt ist vielleicht der Grund der "Abwendung" der Eltern von ihren Kindern. Welche Gründe gibt es für diese Abwendung? Es erscheint in jedem Fall unglaubwürdig, zu behaupten eine "plötzliche und unerklärliche" Abwendung finde seitens der Eltern statt. Es ist möglich, dass der Entzug der elterlichen Rechte und die behördliche Handhabe mit diesem Phänomen der "Sozialwaisen" einhergeht. Aber das dürfte kein priorisiert zu lösendes Problem der russischen Regierung sein.

 

 

 

Autor seit 3 Jahren
195 Seiten
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