Die Hexenküche - eine Szene aus Goethes Faust

Faust und Mephisto betreten die Hexenküche (die wohl im Urfaust noch nicht vorkommen soll, weil dort keine Verjüngung von Faust erforderlich ist). Die beiden finden die Hexenküche leer vor. Keine Hexe da. 

Mephisto hat vor, einen Zaubertrunk für Faust brauen zu lassen, der ihn verjüngen soll, um Erfolg bei den Frauen bzw. bei Gretchen zu haben. Als die Hexe zurückkommt, nennt Mephisto sein Anliegen und die Hexe beginnt in dem köchelnden Zaubertrank zur rühren. Dabei spricht sie das Hexeneinmaleins, das Mephisto nicht sinnvoll für einen Verjüngungszauber zu sein scheint. Zudem erkennt er, dass dieses Hexeneinmaleins keinen erkennbaren Sinn ergibt.

Auch Faust ist etwas überrascht, doch Mephisto versucht ihn mit folgenden Worten zu beruhigen:

(Zitat-Beginn)

 "Das ist noch lange nicht vorüber,
Ich kenn' es wohl, so klingt das ganze Buch;
Ich habe manche Zeit damit verloren,
Denn ein vollkommner Widerspruch
Bleibt gleich geheimnisvoll für Kluge wie für Toren.
Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.
Es war die Art zu allen Zeiten,
Durch Drei und Eins, und Eins und Drei
Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.
So schwätzt und lehrt man ungestört;
Wer will sich mit den Narr'n befassen?
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen."

(Zitat-Ende)

Damit nimmt der werte Herr Goethe den Interpreten seines Werkes direkt den Wind aus den Segeln. Er deutet uns Lesern im Grunde klar und deutlich an, dass diese Worte des Hexeneinmaleinses keinen tieferen Sinn haben. Dennoch tüfteln Literaturwissenschaftler und Mathematiker gleichermaßen seit Generationen an einer Lösung ...

Das Hexeneinmaleins - das Rätsel, das lt. Goethe eigentlich keines ist

Du mußt versteh'n!

Aus Eins mach Zehn,

Und Zwei laß geh'n,

Und Drei mach gleich,

So bist Du reich.

Verlier die Vier!

Aus Fünf und Sechs,

So sagt die Hex',

Mach Sieben und Acht,

So ist's vollbracht:

Und Neun ist Eins,

Und Zehn ist keins.

Das ist das Hexen-Einmaleins!

 

Ich nehme den verehrten Herrn von Goethe einfach mal beim Wort

Dass das Ganze keinen Sinn ergibt, ist auf den ersten Blick schon klar - oder? Neugierig macht es dennoch - und das ist ja auch gewollt und gut so. Kein Wunder also, dass auch ich als Kind meinem Großvater neugierig lauschte. Den Rest des Stückes kannte ich selbstverständlich noch nicht. Aber Zauberer- und Hexengeschichten fesseln kleine und große Kinder bis heute, wie wir alle wissen. Also nehmen wir jede Zeile mal 'unter die Lupe'. Das heißt, ich nehme alles wortwörtlich, wie es Goethe vorgibt:

  1. Aus Eins mach Zehn >> 1 = 10
  2. Und Zwei lass geh'n >> 2 ist weg
  3. Drei mach gleich >> 3 ist weg, dem Erdboden gleich oder gleich der Zwei
  4. Jetzt bin ich also reich... gut so:))
  5. Verlier' die Vier >> Hoppla, wohin mit ihr? Unauffällig fallen lassen ....
  6. Aus Fünf und Sechs (...) mach' Sieben und Acht >> okay: 5 und 6 = 7 und 8
  7. So ist's vollbracht:
  8. Und Neun ist Eins >> 9 = 1 = (siehe 1.) 10
  9. Und Zehn ist keins 10 = nichts

DAS ist das Hexen-Einmaleins!

Was bleibt also übrig, wenn man Johann Wolfgang von Goethe beim Wort nimmt?

Die Sieben und die Acht sind übrig. Die Acht gilt, aufgrund ihrer Form, als die Zahl der Unendlichkeit, da das Unendlichkeitszeichen eine liegende 8 ist. Die 8 steht daher auch für alles Mystische und für den Tod.

Die Sieben hingegen ist nach wie vor die Zahl der Hexen. Sie gilt sowohl als Glücks- als auch als Unglückszahl. Die Woche hat sieben Tage, am 7. Tage sollst du ruhen. Da komme ich gedanklich momentan nicht weiter.

Nehme ich hingegen Goethe weiterhin beim Wort, dann ergeben 'Sieben und Acht' = 7 + 8 = 15 und die Quersumme von 15 wird zur 6. Die Sechs wird zur Acht - laut dem Hexeneinmaleins. Damit sind wir wieder bei der Unendlichkeit, der Mystik und dem Tod. Wie passend für das Hexeneinmaleins! Und zudem entspricht es auch der Tatsache, dass man offensichtlich endlos rätseln und überlegen und deuten kann.:) Das ist das Geniale daran.

Diese Interpretation ist meine ganz eigene, die ich mir schon als Teenager in der Oberstufe zurechtgelegt habe. Interessant ist, was Mathematiker mit dem Rätsel anstellen, wenn sie Herrn von Goethe wörtlich nehmen - und dann ebenfalls auf die 15 kommen - sogar in mehrfacher Form: http://www.zum.de/Faecher/D/BW/gym/faust/einseins.htm

Leider interpretieren sie das Ergebnis nicht oder führen es nicht zu Ende. 

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die 15 in 10 und 5 aufzulösen. Die 10 ist nichts, bleibt die 5, die dann zur Sieben würde. Wäre auch schon mystisch genug. Doch sind die Interpretationsmöglichkeiten für die Sieben sehr vielfältig.

Ich mach's noch mystischer und nehme das Tarot zu Hilfe

Johann Wolfgang von Goethe kannte das Tarot und hat sich selbst damit beschäftigt. Er war halt neugierig. Die Interpretationsmöglichkeiten der Zahlen des Hexeneinmaleinses sind auch über das Tarot möglich. Hier die Zuordnung des Tarot:

  • Die 1 - steht für den Magier
  • Die 2 - die Hohepriesterin
  • Die 3 - die Herrscherin
  • Die 4 - der Herrscher
  • Die 5 - der Hohepriester
  • Die 6 - die Liebenden
  • Die 7 - der Wagen
  • Die 8 - die Kraft
  • Die 9 - der Weise/Eremit
  • Die 10 - das Rad des Schicksals
  • Die 15 - der Teufel

Das ist überraschend:

Gehen wir zurück zu den Zahlen, die oben 'beim Nachrechnen' übrig blieben, sind wir bei der Sieben und der Acht.

Im Tarot ist die Zahl 7 der Wagen, der für das Vorwärtskommen, für einen Wechsel des Umfelds und für Veränderung und Verwirklichung steht. Der Wagen wird auf dem Kartenbild von einem wahren Magier gelenkt, der meistens als Gott interpretiert wird. Für das Vorankommen benutzt der Magier stets beide Kräfte, die positiven sowie auch die negativen, denn beide bringen ihn weiter. Es gibt keinen Unterschied zwischen den Kräften.

Dies gilt in der Interpretation der Karte auch für die Menschen. Sowohl die negativen Erlebnisse als auch die eigenen negativen Eigenschaften dienen dazu, uns voranzubringen, uns zu entwickeln. Gleiches gilt für die positiven Eigenschaften und Erlebnisse. Nur bei denen fällt es uns leichter, dies anzunehmen und zu akzeptieren.

Ist Faust das Böse, weil er seine Seele verkauft hat oder trägt er nach wie vor beides in sich? Dann wäre Gretchen das Gute. Doch diese Interpretation funktioniert nicht, weil auch Gretchen sich (nach damaligen Verhältnissen) versündigt, da sie ein sexuelles Liebesverhältnis mit Faust eingeht, ohne mit ihm verheiratet zu sein. So tragen also beide das Gute und das Böse in sich!

Die Zahl 8 ist im Tarot die Karte der Kraft. Sie steht für Kraft und Stärke, wobei eher die innere Stärke gemeint ist. Diese Karte steht für Mut, Leidenschaft und für die Kraft der Gefühle. Zudem besagt die Karte, dass derjenige, der seine eigenen 'tierischen' Triebe beherrscht, magische Macht (auch Allmacht) erlangt. Weiter besagt die Kraft im Tarot, dass gefährliche Kräfte mit Liebe und Sanftheit gezähmt werden können und einem selbst dann, anstatt sich ihm oder ihr entgegenzustellen, hilfreich zur Seite stehen. Dies kann ebenso wie die Karte 'Der Wagen' sowohl für Gretchen als auch für Faust gelten.

Doch das Tarot liefert auch für die andere Variante mit der Quersumme 15 überraschend passende Ergebnisse:

Die Quersumme der Zahl 15 ist die 6, die für die Karte 'die Liebenden' (Faust und Gretchen) stehen könnte.

Gleichzeitig bezeichnet die Zahl 15 im Tarot die Karte 'der Teufel'. Also die Person, mit der Faust den Pakt schloss. Wer nun fragt, ob Johann Wolfgang von Goethe sich mit dem Tarot beschäftigt haben könnte, dem würde ich antworten: Der Mann hat sich für alles Mystische interessiert und Tarot ist eine alte Kartenkunst, er wird es also gekannt haben. Schließlich hat er sich auch mit der Walpurgisnacht und den Bräuchen der Hexen, die sich alljährlich auf dem Brocken im Harz zur Feier der Walpurgisnacht treffen, auseinandergesetzt.

Eine Szene des Faust spielt in genau dieser Nacht auf dem Brocken und beinhaltet einen Hexentanz um ein Feuer. Das Hexeneinmaleins hört Faust - wie oben beschrieben - in der Szene 'Die Hexenküche', wo die dort herrschende alte Hexe das Einmaleins spricht. Mystische Dinge, Geheimnisse sowie okkulte Dinge waren Goethe also nicht fremd. Weshalb sollte er nicht auch das Tarot gekannt haben?

In der Verbindung der Karte der Liebenden mit dem Teufel ergibt diese Interpretation des Hexeneinmaleins bis zur Zahl 15 oder auch deren Quersumme, einen Sinn, da die Liebesgeschichte aufgrund des Paktes, den Faust mit dem Teufel schloss, scheitert.

Doch der werte Herr von Goethe hat selbst bis zu seinem Tode behauptet, dass das Hexeneinmaleins ganz bewusst einfach nur keinen Sinn ergibt. Es sollte diese seltsame Hexe besonders verwirrt erscheinen lassen, damit Faust einen Grund hat, sich zu wundern und zu fürchten.

Betty, am 21.12.2014
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