Reiten lernen ohne Angst
Für Reiter wurde ein besonderes Modell entwickelt, um ein angstfreies Reiten zu ermöglichen und mehr Vertrauen zum Pferd aufzubauen.Trockenübungen auf dem Holzpferd
Die Reiter/Reitanfänger werden zuerst intensiv auf den gesamten Umgang mit dem Pferd vorbereitet. Wer das Tier im direkten Umgang in seiner ganzen Art und Weise kennen und schätzen lernt, vertraut dem Vierbeiner mehr und Ängste kommen nicht so schnell auf.
Ein ganz wichtiger Punkt zu Beginn der Ausbildung sind die Trockenübungen, die für alle anfallenden Lektionen auf dem geduldigen Holzpferd vorbereitet werden. Bis die Übungen sitzen, wird auf dem Ersatzpferd geübt. Dieses Vorgehen gibt den Reitschülern die nötige Sicherheit die sie brauchen, um auf die spätere Praxis optimal vorbereitet zu sein.
Das Erfassen von neuen Situationen greift üblicherweise auf die visuelle Wahrnehmung zurück. Da Blinde und Sehbehinderte diese Fähigkeit nicht oder nicht mehr besitzen, greifen sie auf ihre anderen Sinne zurück. Die zukünftigen Reiter sollen sich ihrer Bewegungen bewusster werden und dadurch ein besseres Gefühl für den eigenen Körper entwickeln. Schon auf dem Holzpferd werden die Schüler durch die aktive Hilfe der Reitlehrerin (natürlich nur mit vorheriger Erlaubnis sie dabei berühren zu dürfen) auf die Bewegungen im Trab vorbereitet.
Auf dem Holzpferd den Takt lernen (Bild: Cornelia Buron)
Arbeit am Boden - Vertrauen aufbauen
Den Schülern wird das richtige Führen des Pferdes auf beiden Händen, die Hufschlagfiguren und neue Bahnkommandos zuerst vom Boden aus beigebracht. Das Marburger Modell gibt die einzelnen Bausteine vor, bei dem die jeweils erworbene Fertigkeit auf die nächsthöhere Stufe vorbereitet. Das Lerntempo wird durch die Reitschüler individuell bestimmt. Zusätzlich werden Reflektionsgespräche nach der Stunde geführt. Dabei wird jeder auch noch so kleine Erfolg transparent gemacht, sodass der Reiter immer positive Erfahrungen aus den Unterrrichtsstunden mitnimmt.
(Bild: Cornelia Buron)
Die Wahrnehmung fördern - Aufsteigen in Bewegungsrichtung
Vor dem Aufsteigen wird das Pferd im Schritt und Trab vom Reiter geführt, damit beide gut aufgewärmt sind. Die Schüler machen entsprechende Lockerungsübungen. Beim Führen sollen die zukünftigen Reiter zuerst ihrer eigenen Schrittbewegung bewusst werden, um dann den Schritttakt des Pferdes aufzunehmen, das Beweglichmachen der eigenen Beckenpartie und schließlich das Dehnen der Beinmuskulatur zu erreichen. Das Aufsteigen erfolgt immer in Bewegungsrichtung und grundsätzlich über die Aufsteighilfe.
Einerseits erleichtert die Hilfe dem Reiter selbst das Aufsteigen und andererseits wird die Rückenmuskulatur des Pferdes nicht unnötig belastet. Der Reithelfer verhindert ein mögliches Loslaufen des Vierbeiners, wenn es plötzlich das Gewicht verspürt. Und der Reitschüler erhält dadurch zusätzliche Sicherheit.
Haltung der Zügel (Bild: Cornelia Buron)
Länge der Steigbügel korrigieren (Bild: Cornelia Buron)
Keine Angst vor dem Reiten aufkommen lassen
Beim ersten Mal sitzen die Reitschüler auf einem ungesattelten Tier, um die Schrittbewegungen deutlicher zu fühlen. Die Beine hängen bei den ersten Runden im Schritt locker herunter. Zu einem Pferd gehören immer zwei Schüler, die sich als Reiter bzw. Reithelfer abwechseln und gegenseitig helfen, damit Überforderungen vermieden werden. Der Helfer führt das Pferd am Zügel und bleibt dabei auf Schulterhöhe. Es wird alles getan, damit keinerlei Ängste beim Reiten entstehen.
Sitzt der Schüler bereits im Sattel, werden nach den Schrittrunden mit Hilfe der Reitlehrerin oder Reittherapeutin die Steigbügel auf die korrekte Länge verschnallt. Die Steigbügellänge muss noch öfters korrigiert werden, denn dabei werden immer die jeweiligen Körpermaße berücksichtigt und auf das richtige Fundament, nämlich die Linie Hüfte-Knie-Wade-Fuß eines jeden Schülers, abgestimmt. Das Bein wird senkrecht gehalten und der Steigbügel an der breitesten Stelle des Fußes aufgenommen. Der Absatz muss parallel zum Boden gehalten werden und sollte nicht tiefer als die Fußspitze sein.
Korrekte Änderung der Laufrichtung
Bis jetzt lagen die Zügel verknotet über dem Pferdehals und wurden nur bei der Stütze mit umfasst. Für die Richtungsänderung sind nun die korrekten Hilfen mit dem Gewicht und den Zügeln erforderlich. Die Schenkelhilfe wird erst den fortgeschrittenen Reitschülern beigebracht. Da beim Reiten nach dem Marburger Modell, ähnlich wie beim Westernreiten, nur Impulse gegeben werden, ist es unerlässlich, dass die Schüler den Unterschied zwischen Anspannung und Lockerung genau kennen.
Um zu fühlen, wieviel Druck das Pferd bei der Gewichtsverlagerung spürt, kann die Hand zwischen Sattel und Pferd gelegt werden. Für die korrekte Zügelführung lernen die Schüler den Einsatz der drückenden und der öffnenden, in die gewünschte Laufrichtung weisenden Hand. Gleichzeitig werden der Körper und der Kopf mit in die Bewegungsrichtung geführt, die Augen blicken in die gewünschte Richtung.
(Bild: Cornelia Buron)
Angstfrei Reiten: die Bewegung des Pferdes zulassen und selbst elastisch aufnehmen
Vor dem Traben im Sicherheitssitz wird das Fundament vorbereitet und am Pferdehals durch die Hände unterstützt. Sie liegen ungefähr in der Halskerbe und die Arme können die Bewegung elastisch abfedern. Bis zur nötigen Sicherheit kann ein Halsriemen benutzt werden. Durch die gesteigerte körperliche Wahrnehmung ist der hintere Sattelkranz beim Einnehmen des Sicherheitssitzes gut zu erfühlen, das Gleichgewicht besser zu halten und der Reiter einfacher in der Lage, den Takt zu finden.
Die Schüler sollen dabei nicht aktiv aufstehen, sondern den Takt erspüren und sich entsprechend geschmeidig auf die gefühlte Bewegung einlassen. Es ist ganz wichtig, dass die Schüler lernen, die Bewegungen des Pferdes einfach zuzulassen und mit dem eigenen Körper elastisch aufzunehmen. Besondere Bedeutung liegt auf der guten Verarbeitung der Vorgaben, denn dann können die Reiter deutlicher spüren, ob sie die richtige Haltung wie vorgeschrieben, einnehmen, oder ob sie ins Hohlkreuz gehen oder einen Katzenbuckel machen. Zwischen den einzelnen Trabreprisen können immer wieder Schrittphasen eingelegt werden, in denen die Reiter mit locker herabhängenden Beinen im gestreckten Sitz sitzen und/oder zusätzlich gymnastizierende Übungen machen können."
(Bild: Cornelia Buron)
(Bild: Cornelia Buron)
Reiten in unterschiedlichen Sitzarten
Können die zukünftigen Reiter leichttraben und ihr Gewicht verlagern, kann vorsichtig die Aufrichtung geübt werden, damit sie zuerst zeitweise auch ohne die helfende Stütze am Hals auskommen. Begonnen wird das mit einem rhythmischen Pendeln der Arme im Takt der Bewegung des Pferdes. Aus der Schulter werden die Arme ohne Muskelkraft locker vor und zurück gependelt, exakt im Takt des Schrittes und später im Trab, bis diese Bewegung die Schüler ohne ihr Zutun aufrichtet.
Bevor der Zeitpunkt für den ersten Galopp gekommen ist, müssen sie die Gewichtsverlagerung beherrschen, das Leichttraben können und die richtige Balance in drei Sitzarten beherrschen. Dabei wird der Unterschied gemacht zwischen dem Sitz "Im Sattel" = gestreckter Sitz in den Schrittpausen zur Erholung (später auch zum Dressurreiten), "Am Sattel" = Sitz am hinteren Sattelkranz (Sicherheitssitz beim Traben) und "Über dem Sattel" = wie die Bezeichnung bereits sagt, der Sitz, bei dem der Po etwas über dem Sattel schwebt und im Galopp eingenommen werden kann.
(Bild: Cornelia Buron)
(Bild: Cornelia Buron)
Reiten lernen nach dem Marburger Modell heißt Reiten ohne Angst
Am Ende einer Reitstunde gibt es verschiedene Möglichkeiten wieder auf den Boden zu kommen: zum Beispiel mit dem Überschlag, quer aus dem Seitsitz oder einfach auf dem Bauch hinten vom Pferd hinabrutschen. Die Sicherheit muss dabei natürlich immer gewährleistet sein. Um das Reiten nach dem Marburger Modell zu lernen, kommen deshalb nur Lehrpferde in Frage, die einen geeigneten Charakter besitzen, gelassen und entsprechend ausgebildet sind. Das Vertrauen der Reitschüler in die Vierbeiner darf durch nichts erschüttert werden.
Dieses Modell soll das Reiten lernen genauso wie das einfühlsame Reiten ohne Angst für jeden ermöglicht werden, der den Wunsch verspürt, in den Sattel eines Pferdes zu steigen. Egal ob für jüngere Reitschüler oder Späteinsteiger ist das erklärte Ziel: Vertrauen zum Pferd aufbauen und entspannt reiten können.
Bildquelle:
uwemueller - Liepnitzsee
(Liepnitzsee – für mich der schönste Ort zum Nordic Walking)