Der Status quo

Die Ostsee prägt das Leben in Schleswig-Holstein. Sie ist ein einzigartiger, aber auch fragiler Lebensraum. Doch ihr Zustand ist schlecht. Sie ist zu hohen Belastungen ausgesetzt. Bisherige Bemühungen reichen nicht, um das Meer ausreichend zu schützen. Die Landesregierung möchte deshalb die Einrichtung eines Nationalparks in der Ostsee prüfen. Ein Nationalpark wäre ein großflächiges Schutzgebiet und würde gute Bedingungen für einen wirksamen Schutz der Ostsee bieten. Bei der Meinungsbildung sollten insbesondere Landwirtschaft, Naturschutz, Tourismus, Wirtschaft und Fischerei gehört werden und aktiv beteiligt werden.

Lesen Sie hierzu den ausführlichen Artikel "Nachhaltige Landwirtschaft zum Schutz der Ostsee" mit der ausführlichen Behandlung der Themen "Die Ostsee, das größte Brackwassermeer der Erde, Die Entstehung der Ostsee, die verschiedenen Gebiete der Ostsee und deren Salinität".

Zur Salinität unserer Meere, auch der Ostsee, lesen Sie "Der unterschiedliche Salzgehalt unserer Meere". Der Nationalpark Wattenmeer war durch Beschluss der drei norddeutschen Anrainerländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg zum 1. Januar 1986 geschaffen worden und hatte seit 2009 die höchste Auszeichnung als UNESCO-Weltnaturerbe erhalten.

Lebhaftes Pro und Kontra

Ein Ansatz der Fraktion der Grünen ist es, die kommerziell genutzten Fischbestände zu schützen. Dazu hat sich inzwischen das Thünen-Institut, ein Bundesforschungsinstitut für ländliche Räume, Wald und Fischerei, bereits geäußert. Themenfelder des Instituts sind ein thematischer Querschnittsbereich, in dem mehrere Thünen-Fachinstitute zusammenarbeiten und ihre sozioökonomischen, ökologischen und technologischen Kompetenzen bündeln. 

Nach deren Ansicht ist der Einfluss der Fischerei auf die Bestände von Hering und Dorsch zur Zeit im Vergleich zu anderen Stressoren wie Eutrophierung und Klimawandel gering. Diese Faktoren ließen sich nicht oder nur eingeschränkt mit Hilfe eines Nationalparks adressieren. Für nicht-kommerziell genutzte Fischarten sei ein signifikanter positiver Einfluss eines Fischereiausschlusses aber wenig wahrscheinlich.

Weitere Argumente gegen einen Nationalpark Ostsee kommen von den Berufsfischern, aus dem Tourismus und dem gesamten Freizeitbereich von Hobbyanglern über Surfer und Segler, die meinen, ihr Hobby würde ihnen genommen.

Argumente gegen einen Nationalpark Ostsee liefert der BUND selbst, obwohl er für den Nationalpark Ostsee ist, wegen der hohen Auslastung der deutschen Seewege: "Der kommerzielle Seeschiffsverkehr ist ein bedeutendes Transportmittel in der Nord- und Ostsee. Fast 25 Prozent aller weltweiten Schiffsbewegungen finden auf der Nordsee statt und haben dieses Meer zu einem der meistbefahrenen Gebiete der Welt gemacht. Viele dieser Schiffsverkehre führen bis in die Ostsee.

Die Seeschifffahrt bringt aber mehrere gravierende Umweltbelastungen und -risiken mit sich. Das bleibt nicht ohne Folgen für das Ökosystem. Zu den Problemen zählen Schiffsemissionen, Lärm, Müll, Rückstände von den Antifoulinganstrichen sowie die Gefahr von Havarien (Schiffsunglücke). Dadurch kommt es regelmäßig zu Schädigungen der Natur. Lange unbeachtet blieb die Gefahr, die dem Ökosystem durch mit dem Ballastwasser eingeschleppten Arten droht."

Der Nord-Ostsee-Kanal (NOK) ist die meist befahrene Wasserstraße der Welt und erspart den Schiffen als stark genutztes Nadelöhr auf dem Weg in die Ostsee den zirka 900 Kilometer langen Umweg durch den Skagerrak und um die Spitze Dänemarks herum. Bei der Zahl der Schiffspassagen ist der Nord-Ostsee-Kanal in Schleswig-Holstein zwischen Brunsbüttel und Kiel "einsame Spitze". Zwar kann der Kanal beim Frachtaufkommen mit den anderen großen Kanälen der Welt nicht mithalten, aber bei den Schiffspassagen ist er unschlagbar, denn er verzeichnet zweimal so viel Passagen wie der Suezkanal und sogar zweieinhalbmal so viele Passagen wie der Panamakanal. Selbst Kreuzfahrtschiffe durchqueren gern das schöne Schleswig-Holstein auf ihrem Weg von der Nord- in die Ostsee und zurück, weil links und rechts des Kanals neben der wunderschönen Landschaft viele Sehenswürdigkeiten zu bestaunen sind. Alle Schiffe von ganz klein bis zum luxuriösen Traumschiff können den Kanal benutzen.

Das schärfste Argument gegen einen Nationalpark Ostsee sind aber die Altlasten an Munition. In deutscher Nord- und Ostsee lagern Altlasten von ca. 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Munition und 5.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe, die im Zweiten Weltkrieg durch Militäroperationen oder danach durch Verklappung versenkt wurden. Dies gefährdet Schiffsverkehr, Fischerei, Tourismus, Menschen an Stränden sowie die 

Meeresumwelt und behindert Offshore-Installationen und Seekabel-Verlegungen. Zu bedenken sind besonders die

  • Schadstoffbelastung durch chemische Munition
  • Schadstoffbelastung durch weißen Phosphor
  • Bergung der Munitionsaltlasten

Die Metallhüllen der Munitionskörper (zum Beispiel Bomben, Minen und Granaten) rosten mit der Zeit durch und setzten dabei die enthaltenen Schadstoffe in die Meeresumwelt frei.

In der Ostsee wurden mit 5000 Tonnen deutlich mehr chemische Munition versenkt als in der Nordsee mit 90 Tonnen.

Weißer Phosphor fand als Wirkmittel in Brandbomben Verwendung. Bis heute werden Brocken von weißem Phosphor, die wie Bernstein aussehen, an deutsche Strände gespült, insbesondere bei Usedom, wo circa 1,2 Tonnen durch Fehlwürfe von Brandbomben ins Meer gelangten.

Gegenwärtig wird bei Gefährdung der Schifffahrt durch Munitionsaltlasten diese durch Kampfmittelräumdienste entschärft, geborgen und der einzigen deutschen Entsorgungsanlage in Munster/Niedersachsen, zur Vernichtung zugeführt.

Falls eine Entschärfung durch Taucher nicht möglich ist, wird die Munition gesprengt. Da dabei die Schadstoffe nicht vollständig vernichtet, sondern erst recht in die Umwelt freigesetzt werden, sollten Sprengungen vermieden werden. Zudem können Sprengungen durch den Unterwasserknall das Gehör von Meeressäugern verletzen.

Die Umweltministerkonferenz hat 2019 beschlossen, die Daten- und Informationslage zur Gefährdung der Meeresumwelt durch Munitionsaltlasten zu verbessern und auf dieser Grundlage über die Notwendigkeit und Eignung von Maßnahmen, einschließlich Bergung und Entsorgung, zu befinden und mit der Ostsee zu beginnen.

Der BUND, NABU und die Bewegung Fridays for Future unterstützen die Ambitionen zur Schaffung eines Nationalparks Ostsee.

Die Basis grenzt sich ab

Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) musste schon bei seinem Besuch Ende August 2023 auf Fehmarn erfahren, wie stark das Thema polarisiert und auch mit ihm als Regierungschef verbunden wird. Als er sich mit Vertretern aus Kommunalpolitik, Tourismus und Verwaltung auf der Insel traf, um über den Nationalpark Ostsee zu sprechen, wurde er von vielen Gegnern mit Buhrufen und lautstarken Protesten empfangen. Die Debatte um den Nationalpark Ostsee wird inzwischen emotional geführt.

Inzwischen werden auch in der CDU werden die Stimmen lauter, die eine deutlichere Abgrenzung von dem grünen Projekt fordern. Auf die Diskussionen der schleswig-holsteinischen Landesregierung einen Nationalpark an der Küste zu errichten, reagieren jetzt mehrere CDU-Kreisverbände mit Abwehr. Die CDU in Schleswig-Flensburg, Rendsburg-Eckernförde, Flensburg und Ostholstein bereitet einen Antrag gegen den Nationalpark vor. Die Kreise liegen an der Ostseeküste und wären unmittelbar betroffen von einem strengeren Schutzstatus. In ihrem Antrag fordern die Kreisverbände einen "besseren Schutz der Ostsee" und wollen stattdessen Maßnahmen vorstellen, die unter anderem mit Landwirtschaft, Fischerei, Tourismus und Wassersport abgestimmt sind. Zum CDU-Landesparteitag am 5. Oktober lag der Antrag bereits vor.

Unterstützung erfahren die Kreisverbände dabei auch von der Jungen Union (JU). Die Jugendorganisation der CDU nennt das Vorhaben ein "grünes Prestigeprojekt" und spricht sich einstimmig dagegen aus. Auch sie beteiligte sich an dem Antrag.

Dilemma für Ministerpräsident Günther

Ministerpräsident Günther steckt zwischen seiner Parteibasis auf der einen und dem Wunschprojekt des grünen Koalitionspartners auf der anderen Seite. Ein eindeutiges Urteil sei noch nicht gefallen, argumentiert Günther.

Ende des Jahres 2023 will die Regierung ein endgültiges Urteil fällen, ob der Nationalpark kommt oder nicht. Die Debatten in der CDU erhöhen dabei den Druck auf die Entscheidungsfindung.

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