Kein medienrechtlicher Begriff ist in Österreich in den letzten Jahren so häufig verwendet worden wie das Wort "Unschuldsvermutung". Es sollte ursprünglich verhindern, Personen vor ihrer rechtskräftigen Verurteilung in Medien als Kriminelle darzustellen. Stattdessen macht er die Runde durch diverse Unwort-des-Jahres-Ranglisten und ist ein beliebter Pointenbringer für Kabarettisten.

 Wegen seines inflationären Gebrauchs hat der Begriff "Unschuldsvermutung" mittlerweile nolens volens einen ironischen Beigeschmack.  Und dieser schlägt bei keiner anderen Person so deutlich durch wie beim ehemaligen Finanzministers Karl-Heinz Grasser, der im Verdacht steht, sich beim Verkauf des Immobilienverwalters BUWOG und weiteren Malversationen unrechtmäßig bereichert zu haben. 

Heftige Diskussion im Parlament

Eine erinnerungswürdige Podiumsdiskussion im Wiener Parlament versuchte, dem schwammig und nichtssagend gewordenen Wort Unschuldsvermutung Konturen und Profil zurückzugeben. Eröffnet wurde sie durch eine scharfe Attacke von Grassers Anwalt Manfred Ainedter auf Medien und Instanzen, die die Geschäfte seines Mandanten und dessen befreundeten Umfelds um die Lobbyisten Walter Meischberger und Peter Hochegger seit langem einer kritischen Beobachtung und Berichterstattung unterziehen. Ainedter kritisierte, dass Medien dabei permanent aus geheimen Akten zitierten und klagte an: "Es gab in der 2. Republik keinen Fall derartiger Vorverurteilung wie bei Grasser."

Karl-Heinz Grasser: Unschuldsvermutung ins Ironische verzerrt (Bild: Martin Juen/Flickr)

„Das Wort „Unschuldsvermutung ist pervertiert!“ – „Wundert es jemanden?“

Wenn nun in Berichten über Grasser stets angefügt werde, "es gilt die Unschuldsvermutung", dann sei dies eine reine Farce. "Das Wort "Unschuldsvermutung ist pervertiert!", beklagte Ainedter "Wundert es jemanden?", replizierte Peter Pilz, Abgeordneter der Grünen und unermüdlicher parlamentarischer Aufdecker, rheotorisch. 

Diskusssionsrunde im Parlament; v.l.: Florian Krenk, Peter Pilz, Maria Windhager, Manfred Ainedter (Bild: Mike Ranz / Zolles)

„Wertungen obliegen dem Gericht. Das hindert uns nicht, Fakten zu beschreiben“

Florian Klenk, der mehrfach preisgekrönte Redakteur der Wiener Stadtzeitung Falter, der wiederholt die Aktivitäten Grassers auf eine für diesen nicht übertrieben vorteilhafte Weise beleuchtet hat, versuchte anhand einer Begriffsklärung die Relationen klarzustellen: "Unschuldsvermutung besagt, dass Journalisten keine strafrechtliche Beurteilung von Fakten bringen dürfen. Wenn mich der Herr Ainedter erschießt, dann darf ich schreiben,,Ainedter hat Klenk erschossen‘. Ich darf aber nicht schreiben,,Ainedter hat Klenk ermordet‘. Es könnte ja Notwehr gewesen sein, weil ich unter der Bank mit einem Revolver auf ihn gezielt habe. Diese Wertung vorzunehmen obliegt den Gericht. Das hindert uns nicht daran, Fakten zu beschreiben. Wenn Grasser sagt, ich habe mich mit Meischberger an dem Tag nie getroffen, wir für genau den Tag aber eine Tagebucheintragung Meischbergers finden,,habe mich mit KH getroffen‘, dann ist das keine Medienjustiz. Das sind Recherchen. Ich finde, was Herr Grasser jetzt macht, ja auch sehr lustig. Ich bin kürzlich in die APA 2006 gegangen:,Bundesminister für Finanzen Grasser ist froh über die Verhaftung Elstners.,Alle Schuldigen sollen in voller Härte bestraft werden‘. Wo war da die Unschuldsvermutung, die er jetzt einfordert? Das scheue, von der linkslinken Jagdgesellschaft gejagte Reh Grasser war damals ein Jäger, und viel ärger, als wir ihn behandeln! In Wirklichkeit geht es um etwas anderes. Er will nicht, dass wir über die Geschäfte von ihm und seinen Freunden berichten."

Ainedter: „Grasser wird zum Freiwild erklärt“

Auch bei Medienanwältin Maria Windhager hält sich das Mitleid mit Grasser in Grenzen: "Grasser ist eine öffentliche Figur, die sich jederzeit wehren kann und auch seinerseits früher offensiv die Öffentlichkeit gesucht hat. Er kann sich jederzeit zur Wehr setzen. Andere Menschen können sich nicht wehren. Etwa Fritzls Angehörige, als Zeitungen gnadenlos private Details publik gemacht haben."  

Dagegen wendet Ainedter ein: "Es kann doch nicht sein, dass jemand zum Freiwild erklärt wird, nur weil er früher gerne in der Öffentlichkeit gestanden ist. Grasser könnte jeden Tag Medienprozesse führen, doch irgendwann geht einem die Energie aus. Ich frage mich, ob die Gewaltentrennung in unserem Staate noch intakt ist. Das Parlament soll Gesetze beschließen und bis zu einem gewissen Grad Kontrolle ausüben – in Ordnung. Die Exekutive soll die Gesetze vollziehen und die Justiz soll darüber urteilen. Aber wenn bei uns alles dreifach parallel läuft – zum einen hab‘ ich das Gerichtsverfahren, zum anderen die Medien, die tagtäglich Justiz üben und drittens habe ich dann noch die Untersuchungsausschüsse, deren Sinn sich mir auch nicht erschließt – dann frage ich mich: Was hat das für einen Nutzen, außer, dass man den Rechtsstaat untergräbt?"

 

Peter Pilz, Abgeordneter der Grünen, „parlamentarischer Aufdecker“ (Bild: Mike Ranz / Zolles)

Pilz konterte: "Kontrolle bis zu einem gewissen Grad – das ist eine hochinteressanter Vorschlag. Ich kann mir schon vorstellen, Herr Dr. Ainedter, wer Ihrer Meinung nach über den,gewissen Grad‘ bestimmen sollte: Das sind wahrscheinlich Sie, Ihresgleichen und Ihre Mandanten. Zweitens: Was soll das ganze Gejammer? Haben Sie nicht einmal genug Selbstbewusstsein, dass Sie den Fakten vertrauen, dass Sie sagen, ich habe so viele gute Argumente, ich habe den Kritikern, den Staatsanwälten, den Polizeibeamten, dem Untersuchungsausschuss so viel entgegenzuhalten? Sie haben einen Mandanten Grasser, der das ganze Verfahren an sich persönlich und politisch inszeniert. 

 

Briefe an sich öffentlich verliest. Seine Schönheit ins Feld führt. Andere Unschuldsvermutung begründende Umstände ins Feld führt. Da verzagen Sie und rufen nach Zensur? Das zeugt nicht von großem Vertrauen in den Rechtsstaat!"

Das konnte Ainedter nicht auf sich sitzen lassen: "Lassen Sie diese Untergriffe von wegen jammern. Ich sage ja auch nicht, dass Sie offensichtlich eine ausgeprägte Hemdenphobie haben, weil Sie überall im Ruderleiberl auftreten!"

 

„Sie haben von der Pressefreiheit wenig Ahnung! Das enttäuscht mich"

Erwartungsgemäß hatte neben Pilz auch Florian Klenk manchen verbalen Strauß mit Ainedter auszufechten. "Sie haben die Frage gestellt: Wer spielt uns Akten zu?", wandte sich Klenk an den Strafverteidiger. "Ich sage Ihnen die Antwort: Das geht einen Rechtsstaat nichts an. Und zwar aus dem Grund, weil die Presse sonst nicht arbeiten könnte. Der Rechtsstaat toleriert diese Art von Verrat, weil er weiß, dass das der Kontrolle dient. Das zu kriminalisieren und als Amtsmissbrauchsjournaille hinzustellen, zeigt, – das muss ich leider sagen, obwohl ich Sie sehr schätze – dass Sie von der Pressefreiheit wenig Ahnung haben. Und das enttäuscht mich. Denn die Pressefreiheit ist ein Grundrecht. Das steht in der österreichischen Verfassung, das steht in der Europäischen Menschenrechtskonvention."

 

Florian Klenk, Falter (Bild: Mike Ranz / Zolles)

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