Stell Dir vor, es ist Aufschwung, und keiner merkt etwas davon

Vor einigen Wochen und Monaten überschlugen sich die Medien in Berichten über einen kraftvollen Wirtschaftsaufschwung in Deutschland, der ganz Europa nach oben ziehen könnte. Das 21. Jahrhundert könne gar ein deutsches Jahrhundert werden, hieß es. Dem musste ich auf den Grund gehen. Die optimistische Darstellung würde ja - wenn sie denn zuträfe - meine Thesen konterkarieren. Ich müsste in Sack und Asche gehen und um Vergebung bitten.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigt, die Arbeitslosenzahlen sinken, die Steuereinnahmen sprudeln wieder - so das amtlich autorisierte Bild aus den letzten Quartalen. Bettet man die jüngste Aufwärtsentwicklung aber in einen längeren Zeitraum (sagen wir, fünf Jahre) ein, entsteht der Verdacht, dass es sich um eine rein technische Kontraktion handelt, die nach dem massiven Einbruch in 2008/09 kommen musste. Das Jobwunder, das baldige Vollbeschäftigung in Aussicht stellt, ist bei genauerem Hinsehen ein Minijobwunder. Ein Heer von Kleinst- und Scheinselbständigen, oftmals Hartz-IV-Aufstocker, verschönt das Bild zusätzlich. Und die unerwartet erfreulichen Steuereinnahmen? Nichts Nachhaltiges, mutmaßlich ein vorübergehender einmaliger Effekt, der aus Eindeckungskäufen resultieren kann, etwa im Vorfeld der jüngsten Tabaksteuer-Erhöhung.

Allenfalls massive Preissteigerungen könnten ein Indiz für das Anspringen der Wirtschaft sein, doch eine Belebung der Nachfrage kann nicht der Auslöser sein. Woher sollte sie auch kommen? In Deutschland verharren die Reallöhne selbst nach den offiziellen Statistiken auf unverändert niedrigem Niveau oder sind gar rückläufig. Doch die Preiskartelle funktionieren, und allein sie schieben die Teuerung an.

Der Aufschwung dürfte daher vor allem ein Verdienst der Statistik sein. Ist das Märchen vom wirtschaftlichen Wiederaufstieg also die deutsche Variante des griechischen Selbstbetruges? Die Teuerung geht in die Umsatz- und Gewinnzahlen ein. Und selbst wenn das Wachstum "inflationsbereinigt" berechnet wird, entsteht kein brauchbares Bild. Denn die bei der statistischen Berechnung angesetzte Inflation ist gewiss niedriger als die tatsächliche. Wie hoch die wirkliche Teuerung ist, weiß keiner. Solange es hierzu keine verlässliche Aussage gibt, kann keine Wachstumsstatistik als seriös gelten. Es bestehen noch weitere Vorbehalte gegen die Aussagekraft von BIP-Wachstumszahlen, für deren Ermittlung übrigens jedes Land seine eigene Methode hat. Einen weltübergreifenden Standard gibt es nicht.

Dauerhafte Wende oder nur eine Kontraktion?
BIP-Wachstum in Deutschland 1980-2010

BIP-Wachstum in Deutschland 1980-2010 (Bild: destatis)

Wie belastbar sind überhaupt Statistiken?

Die amtliche Statistik verarbeitet die aus der Wirtschaft gelieferten Daten. Es wird unterstellt (und es geht gar nicht anders), dass diese zutreffend sind. Aus der jüngeren Vergangenheit sind zahlreiche Fälle von Bilanzschönung bekannt. Der spektakulärste Fall wurde vor neun Jahren in den USA aufgedeckt, er verbindet sich mit dem Namen Worldcom. Dieses Unternehmen hatte mit krimineller Energie ein Lügengebäude aus Fehlbuchungen errichtet. Das war kein Einzelfall, sondern die Spitze eines Eisbergs.

In Deutschland sind vor allem Banken auffällig geworden, zum Beispiel IKB und DePfa, nicht zu vergessen auch die öffentlich-rechtlichen Sparkassen und ihre Dachkonstrukte, die Landesbanken. Es muss nicht alles kriminell sein. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es viele Gestaltungsmöglichkeiten kreativer Buchführung gibt. Die Wirklichkeit kann auf ganz legalem Wege bis zur Unkenntlichkeit verzerrt werden. Das deutsche Handelsgesetzbuch, in dem sich die Bilanzierungsvorschriften befinden, ist bei weitem nicht so konservativ, wie es sein Geburtsjahr 1871 vermuten lässt. Die deutschen Buchführungsregeln sind weitaus weniger rigide als zum Beispiel das US-amerikanische Recht. Die Kreativität funktioniert übrigens in beiden Richtungen. Man kann die eigenen Gewinne auch kleinrechnen, wie es beispielsweise die Kapital-Lebensversicherer tun.

Die Ostblock-Staaten wiesen bis zum Kollaps 1989 beeindruckende Wachstums-Zahlen aus, in der Regel zwischen vier und fünf Prozent pro Jahr. Nach der Statistik waren sie in der Wirtschafstleistung dem Westen in etwa ebenbürtig. Das wurde (im Westen) sogar geglaubt. Die DDR hätte ansonsten kurz vor Toresschluss nicht den Milliarden-Kredit bekommen. Wir wissen, wie die Sache ausging. Es war fast alles heiße Luft.

Gesundes Misstrauen ist also grundsätzlich angebracht. Man sollte sich einmal die Frage stellen, weshalb überhaupt Statistiken erstellt werden. Ein wichtiger Grund liegt darin, dass die so gewonnenen Angaben in die Bewertung der Kreditwürdigkeit eines Staates einfließen. Je besser die Darstellung, desto attraktiver gestalten sich die Konditionen der Kreditvergabe. Man darf sich nur beim Schummeln nicht erwischen lassen (Griechenland!).

Das deutsche Problem

Die Logik der Kapitalverwertung funktioniert ganz einfach: Billigst herstellen, möglichst teuer absetzen. Davon macht das investive Geld seine Standortentscheidung abhängig. Natürlich zählen auch andere Kriterien, zum Beispiel bestehende Infrastrukturen, Rechtssicherheit, ökologische Standards (Kosten!), aber hauptrelevant sind drei Faktoren: Herstellungskosten, Absatzmöglichkeiten und: Steuergestaltung.

Im klassischen deutschen Binnenmarkt bestand eine Balance. Die Produzenten verdienten genug, um ihre Produkte auch selbst kaufen zu können. Die ungeordnete Globalisierung hat diese Gleichgewichte, wo sie bestanden, zerstört. Es gibt unter den Nationen produzierende Billiglohn-Standorte und Konsumzentren. Wie lässt sich Deutschland einordnen?

In den letzten Jahren hat sich ein signifikanter Wandel vom industriellen Warenproduzenten zum Anbieter von Dienstleistungen vollzogen, der Prozess stellt sich im Ergebnis als Abstieg dar. Stärker als in anderen entwickelten Wirtschaftsnationen ist der Binnenmarkt in Deutschland systematisch geschwächt worden, Folge sinkender Reallöhne und wachsender Belastungen durch Steuern und Abgaben. Das hat die Kaufkraft der Deutschen nach unten katapultiert. Das war nicht zwingend notwendig, dahinter ist vielmehr eine strategische Absicht zu vermuten: Deutschland soll als attraktiver Wirtschaftsstandort Investoren anlocken, und Attraktiv wird mit Billig gleichgesetzt. Darin besteht der Grundirrtum, und deshalb funktioniert das nicht.

Als "Werkbank", als Billiglohnland kann Deutschland in der Konkurrenz der Produktionsstandorte nicht mithalten. Es wird auch bei weiter fallenden Löhnen Länder wie China, Indonesien oder Brasilien nicht unterbieten können. Die Lebenshaltungskosten, in welche auch hohe Mieten, Sozialversicherungsbeiträge und infrastrukturelle Aufwendungen einfließen, bleiben relativ hoch. Die Einsparpotentiale sind bis zum Anschlag ausgereizt. Der Kostendruck hat seine Grenze erreicht.

Als Dienstleistungsstandort aber bietet Deutschland den notwendigen qualifizierten Fachkräften zu miserable Konditionen. Die Anlockung gut ausgebildeter Fachkräfte aus der dritten Welt vor einigen Jahren hat sich als kompletter Fehlschlag erwiesen. Deutschland ist schlicht nicht attraktiv genug. Im Strukturwandel der Wertschöpfung bekommt das Land den Spagat nicht hin.

Natürlich gibt es noch Zuzug nach Deutschland. Doch schauen Sie, wer rein kommt und wer raus geht. Das hat genug Aussagekraft. Sarrazin hat mit seiner düsteren Zukunftsprognose wahrscheinlich Recht. Ihm ist allerdings vorzuwerfen, dass er den Finger nicht auf die Ursachen legt, sondern andere Menschen, die letztlich auch Opfer sind, zu Schuldigen erklärt.

Die Schwächung des deutschen Binnenmarktes, das anhaltend niedrige Kaufkraftniveau zwingt fast alternativlos dazu, den Export weiter anzukurbeln. Noch immer werden in Deutschland Qualitätsprodukte hergestellt. Die Folge: Diese einseitige Fixierung nach außen führt zu wachsender Abhängigkeit. Deutschland kann wirtschaftlich nur überleben, wenn es anderen besser geht als uns. Und zweitens, die Importeure deutscher Waren müssen zahlungsfähig und -willig bleiben. Eine fatale Logik.

Das Fazit lautet, dass die deutsche Strategie des Gesundschrumpfens und Kranksparens letztlich ein Programm des dosierten wirtschaftlichen Selbstmordes ist. Denn die Schwächung des Menschen als Konsument, die systematische Absenkung von Kaufkraft wird über kurz oder lang auch den Produktionsstandort Deutschland kaputt machen. Der Mensch ist und bleibt gerade in Deutschland die mit Abstand wichtigste Ressource, denn Bananenplantagen und Ölquellen haben wir nicht.

 

 

 

Unaufhörlich wachsende Belastungen

Steuern und Abgaben steigen trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse permanent weiter an. Die Einkommensteuerprogression hat sich dank der Inflation immer mehr nach unten gefressen. Wo Einkommensteuern aufgrund von Lohnabsenkung oder Arbeitslosigkeit wegbrechen, werden Verbrauchsteuern und Sozialabgaben erhöht, was die soziale Schieflage immer mehr verschärft. Der Grundzug deutscher Steuerpolitik im Allgemeinen besteht - nicht erst seit Schwarz-Gelb - darin, das große Geld zu entlasten und das kleine Geld zu belasten. Die Abschaffung der Vermögensteuer, die Reduzierung des Spitzensteuersatzes bedurften ja einer Kompensation ("Gegenfinanzierung"). Das kleine und mittlere Geld musste bluten. Staatliche Steuergestaltung erweist sich so im Ganzen als Beschleuniger der Umverteilung von Einkommen und Vermögen - einseitig von Unten nach Oben.

Es ist kein Ende abzusehen. Der jüngste Schnellschuss kam vom Deutschen Städtetag. Dort wurde gefordert, die Gewerbesteuer künftig auch auf Freiberufler auszudehnen. Das wird wiederum nicht die Dickfische treffen, sondern im Schwerpunkt die Mittelschicht.

 

Die neueste Belastung: Zwangsinvestitionen

Der deutsche Bürger muss in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer, Unternehmer, Rentner, Krankenversicherter und Pflegefall zahlen. Doch nun erschließt sich ein weiterer Kanal: Der Deutsche ist entweder Grundeigentümer oder Mieter. Die Immobilie wird als Kostentreiber die Fußfessel der Zukunft sein. Sie bedarf der fortgesetzten Erneuerung. Das wird als Rechtspflicht festgeschrieben werden. Den Auftakt bildet die Sanierung zur Energieeinsparung.

Es handelt sich um nichts anderes als ein staatlich angeordnetes Konjunkturprogramm ohne finanzielle Beteiligung des Staates. Durch Zwangsinvestionen an Gebäuden soll flächendeckend eine wirtschaftliche Belebung induziert werden. Das von der Regierung präsentierte Programm liegt schon lange in der Schublade, lange vor Fukushima und der spektakulären Wende in der Energiepolitik. Ursprünglich sollte es unter dem Aufkleber "Klimawandel" starten, doch das Atomausstiegs-Argument hat eine viel größere Durchschlagskraft.

Fukushima kam wie gerufen. Angela Merkel ist gar nicht so dumm, wie es ihre bisweilen tapsige Rhetorik vermuten lässt. Noch immer wird gerätselt über die Gründe des schlagartigen Umdenkens. War es opportunistische Anpassung, war es Angst vor sinkenden Umfragewerten? War es gar ein kraftvoll erwachtes ökologisches Gewissen? Dann müsste Politik ganz neu geschrieben werden. So naiv wollen wir nicht sein.

 

Die Öko-Plagiatoren

Angela Merkel

Die Folgen des Atomausstiegs

Die Folgen des Atomausstiegs, der - wie nicht anders zu erwarten -  sozial unausgewogen erfolgen wird, werden in einer Dreifach-Belastung des Bürgers bestehen, nämlich:

-in seiner Eigenschaft als Nutzer einer Wohnimmobilie, über die Zwangsinvestition werden die Kosten der baulichen Umrüstung wohl vollständig auf ihn abgewälzt;

-in seiner Eigenschaft als Endverbraucher von Energie, denn die Umstellung auf erneuerbare Energieträger wird Investitionen in beachtlichem Umfange erfordern. Darüber hinaus wird sich eine Verteuerung auch durch Stromimporte aus dem Ausland (perfiderweise auch Atomstrom) ergeben;

-schließlich in seiner Eigenschaft als Steuerzahler, wenn nämlich die Schadensersatzforderungen der Energiekonzerne in Milliardenhöhe zu begleichen sind. Die Erfolgsaussichten der Stromriesen aus rechtlicher Sicht dürften sehr gut sein.

Das alles wird den deutschen Durchschnitts-Haushalt hoffnungslos überfordern. Der Ausfall privater Kaufkraft schlägt im Ergebnis auf die staatlichen Kassen zurück - hier etwa in Gestalt des Wohngeldes bzw. Lastenzuschusses, das sich zur Zeitbombe entwickeln könnte.

Die Geschichte der Kernkraftnutzung in Aufstieg und Fall ist übrigens ein Lehrbeispiel für die Folgen unsinnigen Wachstums, für Wertvernichtung in volkswirtschaftlicher Größenordnung. Horrende Investitionen wurden seinerzeit getätigt, um die Energieversorgung auf eine nukleare Basis zu stellen. Noch höhere Investitionen sind jetzt nötig, um diese Entwicklung rückgängig zu machen. Auch das hat zur gigantischen Staatsverschuldung beigetragen.

Ich bin fast fertig. Ich möchte dann auch auf die Kommentare eingehen, doch bevor ich das tue, soll ein letzter Beitrag diese Serie abschließen. Es geht darum, wie wir ganz persönlich mit den beschriebenen Herausforderungen umgehen sollen. 

Autor seit 13 Jahren
13 Seiten
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